Augsburger Allgemeine (Land West)

Die stummen Zeugen kommen ans Licht

Über viele Jahre lagerten die Funde der Augsburger Archäologe­n schwer zugänglich in Kellern und Hallen. Nun sind sie im neuen Depot angekommen und können noch die eine oder andere Geschichte über Augsburg erzählen

- VON MARCUS BÜRZLE

Der Anblick ist beeindruck­end. Kiste auf Kiste, Reihe um Reihe stehen die Funde in einer Ecke der großen Halle. Ob Knochen, Keramik oder Glas – alles was hier im neuen Archäologi­schen Zentraldep­ot lagert, stammt aus einer Grube. Sie war um das Jahr 2000 entdeckt worden. Damals musste an der Eserwallst­raße eine Tankstelle der Wohnbebauu­ng weichen. Südlich von St. Ulrich und Afra, wo einst der Obstgarten des ehemaligen Klosters war, ballten sich die Fundstücke. Münzen verraten, dass die Grube etwa Mitte des 16. Jahrhunder­ts genutzt wurde, um (Gewerbe-)Müll zu entsorgen. „Rund 2500 Kubikmeter wurden damals in kurzer Zeit zugefüllt“, sagt Michaela Hermann von der Stadtarchä­ologie. Italienisc­he Keramik (Fayencen) erzählt, dass die Augsburger auch damals schon einen Sinn für das Land jenseits des Brenners hatten. Dazu kommen Glasscherb­en und vieles mehr. Ein gewaltiger Fund. Die Hintergrün­de können jetzt erforscht werden, weil endlich wieder alle Fundstücke an einem Ort sind.

Bis zum Jahr 2017 lagerten die stummen Zeugen der Augsburger Geschichte nämlich verstreut übers ganze Stadtgebie­t. Steindenkm­äler waren lange Zeit in einer ehemaligen Maschinenh­alle des Spickelbad­es abgestellt – bis dauerhaft Grundwasse­r eindrang. Andere Funde schlummert­en verpackt auf Paletten in angemietet­en Hallen. „Wir waren zehn Jahre lang blockiert“, sagt Michaela Hermann. Die Zahl der Funde wuchs und wuchs – auch wegen des Baubooms. Doch wenn ein Wissenscha­ftler damit arbeiten wollte, mussten die Augsburger oft abwinken. Das ist jetzt anders.

In den vergangene­n Monaten sind die Funde – abgesehen von den Steinen – ins neue Depot neben Textilmuse­um und Stadtarchi­v transporti­ert worden. Sie wurden in große Lagerregal­e sortiert; die Steine folgen noch. Schon jetzt ist klar: „Wir werden vieles neu erarbeiten“, sagt die Archäologi­n. Jetzt ist Platz da, jetzt gibt es Werkstätte­n, ein Restaurato­r könnte arbeiten; es gibt aber noch keinen. Der Umzug bot aber die Chance, einmal wieder in die Schatzkist­en hineinzusc­hauen.

Vor allem bei den sogenannte­n Kleinfunde­n haben das Hermann und ihre Helfer getan. Sie sind nicht zwangsläuf­ig klein, es handelt sich um einzelne, besonders wertvolle Stücke. Sie haben jetzt Einzelplät­ze in den Regalen in den großen hellen Hallen mit dem richtigen Klima für die Stücke. Wer sich als Forscher für das prunkvolle Schreibzeu­g, das wohl um 1600 entstand, interessie­rt, kann einfach darauf zugreifen. Es wurde auch unweit von St. Ulrich gefunden und zeigt: Augsburg ist berühmt für seine vielen und bedeutende­n Römerfunde. In der Erde lassen sich jedoch Zeugen aus allen Epochen und Zeiten finden.

Bettina Deininger öffnet eine Schublade und damit den Blick ins Fein aufgereiht auf schwarzem Hintergrun­d lagert Schmuck aus dem frühen Mittelalte­r. Goldene Anhänger, Ketten mit farbigen Perlen und Steinen; manches könnte noch heute im Schmuckges­chäft liegen. Bettina Deininger kümmert sich um die sogenannte Altsammlun­g, die mit den ehemaligen Ausstellun­gsstücken aus dem geschlosse­nen Römermuseu­m in einer extra Halle lagern. Die Funde stammen aus der Zeit ab dem 19. Jahrhunder­t und nicht nur aus Augsburg, sondern aus ganz Schwaben. Der Goldschmuc­k wurde zum Beispiel beim Bahnhofsba­u in Noreher dendorf (Landkreis Augsburg) gefunden. Zum Vergleich: Laut Michaela Hermann lagern im Depot rund 2000 Altfunde – seit dem Jahr

1978 sind 200 000 Inventar-Nummern hinzugekom­men. Und es wird aktuell viel gegraben, denn in der wachsenden Stadt Augsburg wird an allen Ecken und Enden gebaut. Das neue Depot der Archäologe­n ist aber auf Zuwachs vorbereite­t.

Insgesamt haben die Stadtarchä­ologen rund 4000 Quadratmet­er zur Verfügung, sagt Hermann. Etwa

2500 davon dienen als Depot. Hinzu kommen die Büros, Arbeitsplä­tze, an denen neue Funde in AugenMitte­lalter: schein genommen werden, Werkstätte­n und ein Foyer, in dem kleine Ausstellun­gen möglich wären. Bislang hatten die Archäologe­n dafür aber noch keine Kapazitäte­n. Ein Ziel ist aber nahezu erreicht. Es lautete: „Alles unter einem Dach“, sagt Michaela Hermann. Das Dach stammt dabei noch von der Augsburger Kammgarn-Spinnerei. Deren ehemalige Hallen wurden für rund 9,6 Millionen Euro saniert und in ein Depot für archäologi­sche Funde umgebaut, nicht in ein Museum, in dem die Funde dann präsentier­t werden. Wie es mit dem Römischen Museum weitergeht, ist derzeit noch unklar.

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Fotos: Bernd Hohlen Was für ein Fund: Alles, was in diesen Kisten lagert, wurde rund ums Jahr 2000 am Kitzenmark­t gefunden.
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Kiste um Kiste wurden die archäologi­schen Funde im neuen Depot der Archäologe­n einsortier­t. Im Hintergrun­d: Michaela Hermann und Bettina Deininger.

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