Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie soll ich nur weitermalen?
Das Barberini-Museum in Potsdam bündelt die abstrakten Bilder des großen Künstlers
Potsdam 90 Werke Gerhard Richters, verteilt auf neun Themenräume, das ist die neue, dem 86-jährigen Kölner Künstler gewidmete Ausstellung im Potsdamer Privatmuseum des Softwareunternehmers und SAP-Gründers Hasso Plattner. Titel: „Gerhard Richter. Abstraktion“. Angefangen mit Arbeiten aus den frühen 1960er Jahren bis hin zu nahezu atelierfrischen Bildern von
2016/2017 ermöglicht es die Schau, Kontinuitäten und Brüche im Werk des gebürtigen Dresdners anhand repräsentativer Schlüsselwerke und Serien nachzuvollziehen. Etliche Werke waren zuvor noch nie öffentlich ausgestellt.
Im Fokus der Schau stehen diverse abstrakte Strategien und Verfahren, die von Richter im Laufe der Jahrzehnte erfunden, weiterentwickelt, verworfen oder perfektioniert wurden. Es geht darum: Wie mit dem Malen weitermachen, wenn man sich – wie Gerhard Richter – als fortschrittlicher Künstler begreift? Dazu Ortrud Westheider, die Direktorin des Museum Barberini: „Richter legitimierte die Malerei, indem er sich mit ihren Grundlagen befasste.“
Den Anfang der sehenswerten Ausstellung markieren die überwiegend in Grau gehaltenen Bilder der frühen 1960er Jahre. Richter konzentriert sich hier noch ganz auf Strukturen, die er in der industriell produzierten Dingwelt vorfindet: Fenster, Wellbleche, Gitter, Röhren, Vorhänge. Indem er sie zunächst fotografiert und dann in abgestuften Grautönen auf die Leinwand bringt, baut er Distanz auf. Er notiert: „Mich interessieren nur die grauen Flächen, Passagen und Tonfolgen... Wenn ich eine Möglichkeit hätte, auf den Gegenstand als Träger dieses Gefüges zu verzichten, würde ich sofort abstrakt malen.“
1966 ist es dann soweit. Mit dem Bild „Ohne Titel (194-9)“– es besteht aus einem monumentalen Pinselstrich – proklamiert er gewissermaßen die radikale Gegenstandslosigkeit. Was folgt, ist die analytische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Farbe an sich.
In Potsdam versammelt sind nahezu alle zentralen Farbtafeln Richters. Inspiriert von Musterkarten aus dem Farbgeschäft, füllte Richter ab den späten 1960er Jahren etliche Leinwände mit gleichmäßig angeordneten, kleinen farbigen Rechtecken. Das Spektrum reicht vom übersichtlichen Bild „Zwei Grau übereinander (143-2)“von 1966 bis zum 1973 entstandenen, drei mal drei Meter großen Gemälde „1024 Farben (351)“.
Neutralität und das Prinzip Zufall stehen hier im Vordergrund. Die Farbfolgen bestimmte nämlich ein Losverfahren. Das Farbmaterial wird hier sozusagen mit unterkühltem Gestus vorgeführt. Ein individueller künstlerischer Ausdruck, wie im Abstrakten Expressionismus der Amerikaner oder dem deutschen Informel üblich, wird komplett negiert.
Was und wie malen also, um von der illustrierenden Wiedergabe realer Gegenstände wegzukommen? Die seit 1976 bis heute entstandenen „abstrakten Bilder“Richters feiern die Farbverläufe im Ungegenständlichen. Die Rakel, ein Kratz- und Abstreichinstrument, wird jetzt zu seinem bevorzugten Malwerkzeug. Auf oft mehrere Quadratmeter große Leinwände trägt Richter Schicht für Schicht Farbe auf. Mit der Rakel fährt er dann mal sanft, mal kraftvoll durch die noch nicht getrocknete Oberfläche und erzeugt Strukturen, Verwischungen und partielle Freilegungen. Er verschmilzt ältere Zustände mit neueren und erzeugt so, was er selbst einmal den „gegenstandslosen Anschein unbestimmter Schönheit“genannt hat.
Und wenn der Betrachter dann doch versucht sein sollte, in den „abstrakten Bildern“etwas erkennen zu wollen? Für den altersmilden Gerhard Richter ist auch das in Ordnung: „Es ist ein natürliches Bedürfnis, dass wir immer erkennen wollen, was wir sehen“, so der Maler in Potsdam.
OÖffnungszeiten: bis 21. Oktober täg lich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr