Augsburger Allgemeine (Land West)
Kroatien stürmt zum ersten Mal ins WM Finale
Der Außenseiter schlägt England in der Verlängerung 2:1 und trifft am Sonntag im Endspiel auf Frankreich. Zwei ehemalige Bundesliga-Spieler der Kroaten drehen einen 0:1-Rückstand zum späten Triumph
Moskau Siegtorschütze Mario Mandzukic trug Kapitän Luka Modric jubelnd über den Platz, Verteidiger Sime Vrsaljko schleuderte seinen Trainer Dalic vor lauter Freude zu Boden – und die Engländer saßen tief enttäuscht auf dem Rasen. Dank des späten Tores von Mandzukic greift Kroatien erstmals nach dem WM-Pokal und hat dem Mutterland des Fußballs eine ganz bittere Halbfinalniederlage zugefügt. Der frühere Münchner traf in der 109. Minute für den WM-Dritten von 1998, der sich mit 2:1 (1:1, 0:1) nach Verlängerung gegen England durchsetzte. Im Endspiel am Sonntag (17 Uhr/
wartet nun der 98er-Weltmeister Frankreich. Für das Team von Gareth Southgate platzte der Traum vom Endspiel 52 Jahre nach dem Triumph von Wembley gegen Deutschland. „Das tut verdammt weh“, sagte WM-Toptorschütze Harry Kane. „Wir haben uns so reingehängt, wir haben so hart gearbeitet.“
Vor 78 011 Zuschauern im Luschniki-Stadion in Moskau brachte Kieran Trippier (5.) England per Freistoß in Führung, Ivan Perisic
(68.) glich für die Mannschaft von Trainer Zlatko Dalic aus und leitete damit die Wende ein. England erwischte einen Traumstart, und wie so oft bei dieser WM ebnete eine Standardsituation den Weg zum Glück. Luka Modric hatte Dele Alli gut 20 Meter vor dem Tor in zentraler Position gefoult, und Trippier nutzte das eiskalt. Der Außenbahnspieler schlenzte den Freistoß rechts oben ins Eck, Kroatiens zuletzt so starker Keeper Danijel Subasic schaute nur hinterher. Im Londoner Hyde Park warfen zehntausende entfesselte Fans beim Public Viewing ihre Becher in die Luft und feierten den Treffer mit einer kollektiven Bierdusche. Es war Englands zwölftes Tor beim Turnier in Russland – das neunte nach einem ruhenden Ball. Die frühe Führung gab den Three Lions zusätzliche Sicherheit. Bei den Kroaten lief nicht viel zusammen. Das Aufbauspiel war langsam, die Pässe kamen häufig ungenau. Ein Distanzschuss des frühe- ren Dortmunders und Wolfsburgers Perisic, der sein Ziel um einen halben Meter verfehlte, war alles, was das Team von Trainer Dalic in der Anfangsphase zu bieten hatte (19.). Spielmacher Modric tat sich gegen Alli schwer. Die englischen Offensivspieler machten es besser. Immer wieder hängten sie ihre Gegenspieler ab und hätten sich nach einer halben Stunde fast mit dem zweiten Treffer belohnt. Alli steckte super durch auf Kane, doch der Angreifer scheiterte zunächst freistehend an Subasic und dann am Pfosten. Zwar pfiff der türkische Schiedsrichter Cüneyt Cakir anschließend Abseits, hätte seine EntBewacher scheidung bei einem Tor mithilfe des Videoassistenten jedoch wohl zurückgenommen.
Kroatien bekam keinen Zugriff, in den entscheidenden Situationen war die Mannschaft von Southgate zunächst immer einen Tick schneller. Jesse Lingard verzog aus aussichtsreicher Position (36.) – England hätte zur Pause auch schon 2:0 oder 3:0 führen können. Nach dem Seitenwechsel probierte Kroatien mehr. Einen strammen PerisicSchuss blockte Kyle Walker in höchster Not ab (65.). Drei Minuten später ließ sich der Verteidiger überraschen: Vrsaljko flankte ins Zentrum, von hinten stürmte Perisic heran und bugsierte den hohen Ball vor Walker ins Tor.
Plötzlich war Kroatien hellwach, England verunsichert. Perisic hatte das 2:1 auf dem Fuß, traf jedoch nur den Pfosten. So musste Kroatien zum dritten Mal nacheinander in die Verlängerung. Vrsaljko rettete nach einem Kopfball des englischen Abwehrspielers John Stones für seinen schon geschlagenen Torwart (99.), auf der Gegenseite war Pickford gegen Mandzukic zur Stelle (105.+2). Wenig später war der Keeper dann machtlos, nachdem Perisic auf Mandzukic vorgelegt hatte und der 32-Jährige zum 2:1 traf. 20 Jahre nach der Halbfinalniederlage gegen Frankreich hat Kroatien im Endspiel nun die Chance zur großen Revanche.