Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Magie der Eisenmänner
Kaum eine Herausforderung übt größere Anziehungskraft aus als der Ironman. Über einen Mythos, der auch ein gutes Geschäft ist. Und einen Sportler, der die Grenzen verschiebt
Augsburg Unter den Eisenmännern finden sich viele verrückte Typen. Verrückt ist, das sei an dieser Stelle erwähnt, respektvoll gemeint. 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radeln und 42,195 Kilometer Laufen ergeben einen Ironman – und setzen ein gewisses Maß an Verrücktheit voraus. Einer der Verrücktesten im Lager der Eisenmänner kommt von Lord Howe Island, einer kleinen Insel vor der Ostküste Australiens. Cameron Wurf absolvierte vor kurzem innerhalb einer Woche zwei Langdistanzen auf internationalem Top-Niveau.
Den Ironman Nizza beendete er als Dritter. Nur eine Woche später wurde Wurf in Roth Fünfter. Beide Male fuhr er die beste Radzeit, in Roth stellte er auf der Teilstrecke in 4:05,37 Stunden einen Rekord auf. „Für mich war es das perfekte Training“, sagte Wurf. Niemand decke zu diesem Zeitpunkt der Saison alle Karten auf, auch er nicht.
Der 34-Jährige lebt die meiste Zeit des Jahres in Andorra. Während Triathlon-Superstar Jan Frodeno mit Manager und persönlichem Physiotherapeuten anreist, fährt Wurf mit seiner Freundin im weißen Kleinwagen vor – Hund Olive auf der Rückbank, das Hightech-Fahrrad im Kofferraum.
Auf dem Heimweg aus Roth besuchte Wurf Freunde in Augsburg und absolvierte ein Training im Bärenkeller-Freibad. Wer eine Schwäche suchte, fände das Schwimmen. Im Gegensatz zu Frodeno. „Ihn musst du auf dem Rad unter Druck setzen. Das geht aber nur, wenn du nach dem Schwimmen nicht zu viel Rückstand hast“, sagt Wurf.
Alles ist auf die Ironman-WM im Oktober auf Hawaii ausgerichtet. Im vergangenen Jahr nahm Wurf dort zum ersten Mal teil. Auf der Radstrecke verbesserte er den Rekord um sechs Minuten auf 4:12,54 Stunden, wechselte als Erster zum Laufen – und wurde auf Platz 17 durchgereicht. Sein Hawaii-Ziel in diesem Jahr: „Gewinnen natürlich.“
Es ist auch dieses unerschütterliche Selbstvertrauen, das den Australier zu einem ernsthaften Rivalen für die Favoriten um Frodeno und Titelverteidiger Patrick Lange macht. Basis ist aber die Rad-Stärke Wurfs. Dabei hatte er seine Karriere einst als Ruderer begonnen und
2004 an den Olympischen Spielen in Athen teilgenommen (Platz 16.).
2007 wechselte er in den Radsport und absolvierte als Profi zweimal den Giro d’Italia und einmal die Vu- elta a España. Aber auch das war Wurf zu langweilig. „Ich wollte noch etwas anderes ausprobieren und bin beim Triathlon gelandet.“
Die Kombination aus drei Sportarten boomt. Vor allem die Ironman-Distanz übt eine magische Anziehungskraft aus – auch und besonders auf Sportler jenseits der 30er, die sich beweisen wollen. Diese meist finanzkräftige Kundschaft macht Triathlon zu einem guten Geschäft. 1990 kaufte Jim Gills die Marke Ironman für vier Millionen Dollar. 2008 verkaufte er das Paket an Providence Equity für 85 Millionen Dollar. 2015 sicherte sich die chinesische Dalian Wanda Group die Rechte an der weltweiten Serie. Preis: 650 Millionen Dollar. Inzwischen dürfte der Wert die Milliardengrenze überschritten haben.
Der Hype ist groß. Mediziner raten jedoch, die Extrembelastung durchaus mit Vorsicht zu genießen. „Dabei entsteht eine exorbitante Entzündungsreaktion im Körper“, sagt Prof. Martin Halle, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Prävention und Sportmedizin der TU München. „Die Entzündungswerte gehen extrem in die Höhe. Das beeinträchtigt den ganzen Körper. Die Immunabwehr fragt sich, was denn da in der Muskulatur passiert. Dass derjenige gerade einen Ironman absolviert, weiß das Immunsystem ja nicht.“Grundsätzlich sei Sport extrem gesund, sagt Halle, „aber es gibt sicherlich einen Bereich, in dem es nicht mehr günstig ist. In dem es keinen Zusatzgewinn mehr für die Gesundheit gibt.“Jeden Tag 30 Minuten Sport habe einen positiven Effekt, auch ein bis zwei Stunden. „Wenn wir aber in den Bereich einer Maximalbelastung wie die eines Ironman-Wettkampfs kommen, weiß keiner, ob das nicht auch negative Effekte haben kann.“
Rund 72 Stunden dauert es allein, bis sich die Entzündungswerte im Körper normalisiert haben – abhängig vom Trainingszustand. Der des Cameron Wurf müsse außergewöhnlich gut sein, wenn er innerhalb einer Woche zwei Langdistanzen auf Topniveau absolvieren könne, sagt der Sportmediziner und Sportkardiologe. „So eine Belastung löst eine Extremreaktion im Körper aus, von der man sich erst einmal erholen muss. Und deswegen sind so kurze Abstände sehr ungewöhnlich. Dazu muss man schon wahnsinnig fit sein mit einem hohen Regenerationspotenzial. Denn auch die entleerten Energiespeicher sind ja nicht mit ein paar Müsliriegeln wieder aufgefüllt.“