Augsburger Allgemeine (Land West)
Von Siemens in die Wüste
Der frühere Top-Manager Klaus Kleinfeld wird Berater des saudischen Kronprinzen – und soll mit ihm das Land reformieren
Riad Riesige Felder von Sonnenkollektoren zur Energiegewinnung, eine Brücke über das Rote Meer, Hightech-Fabriken, Gewächshäuser und Trinkwassergewinnung in der Wüste – eine Oase der Moderne auf knapp 27000 Quadratkilometern: Das ist Neom, eine geplante MegaStadt in Saudi-Arabien, die in den kommenden Jahren an der Westküste des Königtums entstehen soll. Das 500 Milliarden Dollar teure Vorhaben ist ein Schlüsselprojekt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der SaudiArabien in die Zukunft führen will.
Jetzt hat der Prinz den bisherigen Neom-Chef zu seinem Berater im Königspalast von Riad ernannt: Es ist der deutsche Manager und ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld, der nun als einer der wenigen Ausländer direkten Einfluss auf die Politik der muslimischen Großmacht nehmen kann.
Der heute 60-jährige Kleinfeld, der im Jahr 2007 wegen einer Schmiergeldaffäre bei Siemens zurücktreten musste, arbeitete seit dem vergangenen Oktober als Leiter des Neom-Projekts. Die RetortenStadt soll auf einer Fläche entstehen, die fast so groß wie Belgien ist, und ihre eigenen Gesetze sowie ihre eigene Justiz erhalten. Anders als im Rest des Landes werden Frauen in Neom gleichberechtigt sein und sich ohne Verschleierung in der Öffentlichkeit bewegen können. In Neom – das Wort ist eine Kombination aus „neo“und dem arabischen Wort für Zukunft, „mustakbal“– soll sich vieles um künstliche Intelligenz und andere Zukunftstechnologien drehen. Damit wird das Projekt zu einem Labor für die Pläne des Kronprinzen: Seine Vorstellung, zusammengefasst in einem Reformplan namens „Vision 2030“, ist die eines modernen Landes, das sich von seiner Abhängigkeit vom Öl gelöst hat.
Nun soll Kleinfeld im Königspalast selbst an der Umsetzung dieser Vision arbeiten. Der Deutsche wird sich ab dem 1. August um die „wirtschaftliche, technologische und finanzielle Entwicklung Saudi-Arabiens“kümmern, wie es in einer Mitteilung der Regierung in Riad hieß. Der 32-jährige Mohammed bin Salman, der häufig nach seinen Initialen nur MBS genannt wird, will mit der Hilfe des fast doppelt so alten deutschen Managers den Umbau des Staates vorantreiben.
Viel wird davon abhängen, ob sich MBS und sein Team auf Dauer die Unterstützung der Jugend des Landes – zwei von drei Saudis sind weniger als 30 Jahre alt – sichern können und ob der Prinz die erwarteten Proteste des ultrakonservativen religiösen Establishments sowie Widerstände aus der eigenen Familie abwehren kann. Zwar strebt der Kronprinz keinen demokratischen Umbau an: Mohammed bin Salman will die Monarchie nicht abschaffen, sondern für eine Zukunft ohne Öl festigen. Doch konservative Geistliche und Teile der Königsfamilie, die sich von dem Prinzen benachteiligt fühlen, sind eine ernste Gefahr für die Macht des künftigen Königs.
Bisher hat der Kronprinz – mit teils rabiaten Mitteln – die Rivalen in die Schranken gewiesen. Im vergangenen Jahr ließ MBS mehrere hochgestellte Mitglieder der Herrscherfamilie in einem Luxushotel in Riad internieren. Sie wurden erst gegen Zahlung hoher Geldsummen wieder freigelassen. Im Frühjahr machten Gerüchte über ein Attentat auf MBS die Runde. Nur eindeutige Erfolge bei seinen Reformbemühungen können die Stellung des Kronprinzen auf Dauer sichern. Kleinfeld soll ihm helfen, dieses Ziel zu erreichen.