Augsburger Allgemeine (Land West)

„Bachs Musik ist süffig wie ein Glas Rotwein“

Der weltbekann­te Dirigent Hansjörg Albrecht kommt mit seinem Münchner Bach-Ensemble erstmals zu einem Konzert nach Augsburg

- Interview: Alois Knoller

Der renommiert­e Münchner BachChor und das Bach-Orchester eröffnen am 27. Juli in Evangelisc­h St. Ulrich die neue Reihe der „Augsburg Konzerte“. Ist es tatsächlic­h sein erster Auftritt in Augsburg?

Hansjörg Albrecht: Zumindest seit den 1980er Jahren. In den Aufzeichnu­ngen Karl Richters habe ich nichts darüber gefunden. Obwohl Augsburg so naheliegen­d war.

Sie haben dann ja noch ein ganz eigenes Motiv, nach Augsburg zu gehen?

Albrecht: Vor einem halben Jahr hat mich der Komponist Wilfried Hiller darauf angesproch­en: Wusstest du eigentlich, dass Carl Orff drei Jahre lang den Münchner Bach-Verein geleitet hat? Dieser ist Anfang des 20. Jahrhunder­ts gegründet worden. Doch schon 1842 hat Franz Lachner in München die erste Matthäuspa­ssion aufgeführt und tiefen Eindruck hinterlass­en. Bach war nie in Bayern, aber er war in Bayern sehr präsent durch Familienmi­tglieder in Coburg und Schweinfur­t, durch Schüler in Memmingen, Kaufbeuren und Augsburg an St. Anna. Wir versuchen jetzt, nach und nach an die Orte in Bayern zu gehen, wo Bach präsent war, weil das der Grundpfeil­er unserer Arbeit war.

Bach geht immer. Was macht den Thomaskant­or so unsterblic­h?

Albrecht: Bach ist wahnsinnig menschlich, aber seine Musik ist ein Weltwunder, das zum Glück keiner erklären kann, sie bleibt Mysterium. Sie spricht in allen Menschen etwas an, es reichen die ersten Takte eines Stückes. Die Menschen kommen zur Ruhe, sie werden in eine unglaublic­he Seelentief­e hineingezo­gen. Seine Musik ist wie Meditation.

Aber jede Zeit hört Bach anders und spielt Bach anders?

Albrecht: Das ist gut und richtig so. Sie können seine Werke auf einer noch so schlechten Orgel und mit einem schlechten Orchester spielen, aber die Musik klingt trotzdem. Bach ist wie ein Steinbruch, wo sich jede Generation dran versucht, ihre eigene Deutung zu finden.

Für welche haben Sie sich entschiede­n?

Albrecht: Seit Aufkommen der historisch­en Aufführung­spraxis hat man versucht, die Grammatik besser zu verstehen. In vielen Ausgaben steht nur Forte und Piano, sonst nichts. Man muss wissen, dass, wenn die Melodie nach oben steigt, das automatisc­h mit einem Crescendo verbunden ist. Wenn man diese Grundregel von schwer und leicht kennt, kommt ein anderes Klangbild zustande. Bachs Musik ist süffig wie ein volles Glas Rotwein – zwar absolut klar wie eine mathematis­che Anwendung, aber sie darf wie eine Urgewalt die Menschen hinwegfege­n und sie mitreißen.

Was machen Sie im Münchner BachChor nicht mehr so wie Karl Richter?

Albrecht: Es gab ein Jahrzehnt, da war alles perfekt gemacht, aber es war, als ob ein Gerippe seziert wird. Bach ist und bleibt sinnliche Musik mit einem unglaublic­hen Ausdruck. Wir haben verkleiner­te Besetzung, der Klang ist durchsicht­ig. Ich gehe vom Wort aus wie bei einem Schubert-Lied und lasse die Musik sprechen. Das ist sehr plastisch und kann sehr dramatisch werden. Schöne Musik allein wäre mir zu langweilig.

Sie führen in Augsburg ein Oster-Oratorium auf. Dieses Bach-Werk scheint mir ziemlich unbekannt zu sein?

Albrecht: Wir sind eingeladen zum Abschlussk­onzert der Orff-Festspiele in Andechs. Der Veranstalt­er wünschte ein Werk Bachs, wo es um Auferstehu­ng geht. Denn dort wird es in Kombinatio­n mit einem OsterMyste­rienspiel von Orff gespielt. Anders als in Oratorien üblich wird in Bachs Oster-Oratorium nicht die biblische Erzählung von einem Evangelist­en vorgetrage­n, sondern das Geschehen in frei nachgedich­teter Form wiedergege­ben.

Wieso kombiniere­n Sie in Augsburg Bach mit dem Zeitgenoss­en Arvo Pärt?

Albrecht: Pärts Berliner Messe ist eine unglaublic­h meditative Betrachtun­g, man kommt fast in einen Flow rein – ein langsamer Flug über das Meer, ohne Klippen, ohne Kanten. Wissen Sie, ich bin musikalisc­h breit aufgestell­t, habe Orchester dirigiert, Cembalo, Orgel und Klavier gespielt – vor allem in Liederaben­den von Peter Schreier. Viele packen mich in die Bach-Kiste, aber ich dirigiere auch Mahler, Strauss oder Wagner.

OKonzert Zu Johann Sebastian Bachs 268. Todestag führen der Münchner Bach Chor und das Bach Orchester am Freitag, 27. Juli, um 20 Uhr in Ev. St. Ulrich u. a. Bachs Oster Oratorium und die Berliner Messe von Arvo Pärt auf.

Hansjörg Albrecht, 1972 in Frei berg/Sachsen geboren, kam mit acht Jahren in den Dresdner Kreuz chor. Als Assistent des Organisten von St. Michaelis zu Hamburg stu dierte er Orgel und Dirigieren. Mit Peter Schreier reiste er als Assistent fünf Jahre durch die Welt. Seit 2005 ist er künstleris­cher Leiter des Münchner Bach Chores. (loi)

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Foto: Mats Karlsson Hansjörg Albrecht wird mit dem renommiert­en Münchner Bach Chor und dem Bach Orchester in Evangelisc­h St. Ulrich auftreten.

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