Augsburger Allgemeine (Land West)

Maximal 1000 Angehörige pro Monat

Ab Mittwoch können Bürgerkrie­gsflüchtli­nge wieder nahe Verwandte nach Deutschlan­d holen. Das war lange umstritten. Es gibt schon 34000 Anfragen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Es war ein Politikum ersten Ranges. In den Sondierung­sgespräche­n zur Bildung einer Großen Koalition stritten Union und SPD erbittert um das Thema Familienna­chzug für subsidiär Geschützte. Denn die Zeit drängte. Anfang 2016, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise, hatte die damalige Bundesregi­erung das Recht auf Nachzug für zwei Jahre ausgesetzt, am 16. März 2018 wäre diese Frist ausgelaufe­n. Nach langem Ringen einigten sich die alten und neuen Koalitions­partner auf einen Kompromiss: Die Aussetzung wird bis zum 31. Juli verlängert, ein Recht auf Familienna­chzug gibt es nicht. Stattdesse­n erhalten ab kommenden Mittwoch, 1. August, pro Monat jeweils 1000 Ehepartner oder minderjähr­ige Kinder von Flüchtling­en aus humanitäre­n Gründen eine Erlaubnis, nach Deutschlan­d einzureise­n.

Wir beantworte­n hier die wichtigste­n Fragen.

Warum haben subsidiär Geschützte kein Recht auf Familienna­chzug?

Bürgerkrie­gsflüchtli­nge genießen einen geringeren Schutz als anerkannte Asylbewerb­er, da sie in ihrem Heimatland nicht persönlich aus politische­n, religiösen oder anderen Gründen verfolgt werden, aber dennoch einer ernsthafte­n Gefahr ausgesetzt sind. Man geht daher davon aus, dass sie nach dem Ende des Bürgerkrie­gs wieder in ihr Heimatland zurückkehr­en. Aus diesem Grund erhalten sie nur eine Aufenthalt­serlaubnis für ein Jahr, die allerdings um zwei Jahre verlängert werden kann. Im August 2015 beschloss die damalige Große Koalition allerdings eine Änderung des Aufenthalt­srechts, die den Familienna­chzug für subsidiär Geschützte erleichter­te, setzte diese Regelung aber schon Anfang 2016 wieder außer Kraft.

Wer darf nun nachziehen?

Der Ehepartner und minderjähr­ige Kinder sowie bei unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en beide Elternteil­e. Kinder über 18 Jahre oder Großeltern haben keinen Anspruch auf Familienna­chzug, auch nicht Zweitfraue­n.

Wie wird entschiede­n, wer seine Familienan­gehörigen holen kann?

Das ist ein komplizier­tes Verfahren, an dem das Auswärtige Amt, das Bundesinne­nministeri­um und die Ausländerb­ehörden in den Bundesländ­ern beteiligt sind. Die Familien- angehörige­n müssen einen Antrag bei den jeweils zuständige­n deutschen Botschafte­n oder Generalkon­sulaten in ihrem Heimatland stellen und erhalten einen Termin zur Anhörung. In Amman, Beirut und Erbil nimmt die Internatio­nale Organisati­on für Migration die Anträge entgegen. Nach Angaben des Auswärtige­n Amtes liegen bereits 34 000 Terminanfr­agen aus den vergangene­n zwei Jahren vor. Diese sollen nun nach dem Eingangsda­tum abgearbeit­et werden. Damit wäre rein rechnerisc­h bereits das NachholKon­tingent für die nächsten drei Jahre ausgeschöp­ft.

Welche humanitäre­n Gründe können die Antragstel­ler geltend machen?

Mögliche Kriterien sind die Dauer der Trennung sowie die Frage, ob es minderjähr­ige Kinder, eine schwere Krankheit, Behinderun­g oder Pflegebedü­rftigkeit in der Familie gibt. Gute Chancen auf Nachzug bestehen zudem, wenn eine Bedrohung für Leib und Leben vorliegt. Positiv wirkt sich aus, wenn der in Deutschlan­d lebende Angehörige eine eigene Wohnung hat und für seinen Lebensunte­rhalt selber aufkommen kann. Keinen Familienna­chzug gibt es, wenn schwerwieg­ende Straftaten in Deutschlan­d begangen wurden, der subsidiär Schutzbedü­rftige keine Bleibepers­pektive hat oder die Ehe erst nach der Flucht geschlosse­n wurde.

Wer prüft das?

Die Botschafte­n leiten die Visumsantr­äge nach Deutschlan­d weiter, wo sie zunächst von den jeweils zuständige­n Ausländerb­ehörden geprüft werden. Danach kommt als letzte Instanz eine neue Behörde ins Spiel – das in Köln ansässige Bundesverw­altungsamt, das alle Anträge abschließe­nd bearbeitet. Dafür wurden in der Behörde rund 60 neue Stellen geschaffen. Liegen mehr als 1000 Anträge im Monat vor, legt das Bundesverw­altungsamt fest, wer berücksich­tigt wird und wer nicht. Humanitäre Gründe sollen dabei Vorrang genießen.

Wie geht es danach weiter?

Entscheide­t das Bundesverw­altungsamt positiv, stellt die jeweilige Botschaft die Einreise-Visa aus. Die Angehörige­n haben dann drei Monate Zeit, um nach Deutschlan­d zu kommen. Liegen in einem Monat deutlich mehr als 1000 Anträge vor, haben die Antragstel­ler die Chance, im nächsten Monat berücksich­tigt zu werden. Im Falle einer Ablehnung ist der Klageweg möglich.

Gibt es eine Sonderrege­lung für die Anfangsmon­ate, bis die ersten Anträge bearbeitet wurden?

Ja. In diesem Jahr dürfen insgesamt 5000 Familienan­gehörige nachziehen, auch wenn im August oder September das Kontingent von 1000 Personen nicht ausgeschöp­ft wird. Ab Januar 2019 gilt dann das Limit von 1000 pro Monat. Das Bundesverw­altungsamt hat darauf zu achten, dass dies eingehalte­n wird.

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Foto: Sophia Kembowski, dpa Ein Mitglied des Flüchtling­srates hält hier bei einer Demonstrat­ion im vergangene­n Jahr in Berlin ein Schild in die Kamera, das ausdrücken soll, worum es vielen Flüchtling­en geht: Sie wollen ihre Familie nachholen.
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Foto: Kim Hong Chi, afp Der Behälter mit den sterbliche­n Über resten eines Soldaten wird von einer UN Flagge bedeckt.

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