Augsburger Allgemeine (Land West)

Ursulas Bruder attackiert Justiz

Michael Herrmann bezweifelt die Schuld des Entführers und wirft dem Landgerich­t Augsburg mangelnden Aufklärung­swillen vor

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg Der Bruder der 1981 am Ammersee entführten und in einer Kiste erstickten Ursula Herrmann erhebt schwere Vorwürfe gegen die bayerische Justiz. In einem offenen Brief schreibt Michael Herrmann: „Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldig­er seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt. Die Menschen, die den Tod meiner Schwester zu verantwort­en haben, leben in Freiheit.“

Hintergrun­d ist ein seit Jahren laufender Zivilproze­ss. Herrmann hat den verurteilt­en Entführer seiner Schwester auf Schmerzens­geld verklagt. Möglicherw­eise fällt kommenden Donnerstag das Urteil. Michael Herrmann ist mit dem Verlauf des Verfahrens aber sehr unzufriede­n: Er wirft der 10. Zivilkamme­r des Landgerich­ts Augsburg mangelnden Aufklärung­swillen vor.

Der Fall Ursula gilt als einer der spektakulä­rsten Kriminalfä­lle. Am 15. September 1981 wurde das zehnjährig­e Mädchen in einem Waldstück entführt und in eine eigens gebaute Holzkiste gesperrt. Die Kiste wurde im Wald vergraben. Ursula erstickte. Jahrzehnte­lang blieben die Ermittlung­en erfolglos. Doch 2008 wurde in Norddeutsc­hland auf einmal Werner Mazurek verhaftet. Er hatte lange am Ammersee gelebt. 2010 wurde Mazurek in einem Indizienpr­ozess am Landgerich­t Augsburg wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs mit Todesfolge zu lebenslang­er Haft verurteilt. Der Bundesgeri­chtshof bestätigte das Urteil. Doch Mazurek bestreitet bis heute, Ursulas Entführer zu sein.

Ursulas Bruder hatte schon damals Zweifel an dem Urteil. Als Nebenkläge­r hatte er Akteneinsi­cht genommen. Die beiden tragenden Säulen des Urteils überzeugte­n ihn nicht: Ein Tonbandger­ät vom Typ Grundig TK 248, das bei Mazurek gefunden worden war und mit dem die Erpressera­nrufe hergestell­t worden sein sollen. Und das später widerrufen­e Geständnis eines Alkoholike­rs, im Auftrag Mazureks ein Loch im Wald gegraben zu haben. Ein halbes Jahr nach dem Urteil begann ein Tinnitus, Michael Herrmann zu quälen. Er entschloss sich zu der Schmerzens­geldklage über 20 000 Euro. Er wollte, dass sich noch einmal ein Gericht mit den Fragen befasst, die ihn umtreiben. 2013 reichte er mit seinem Anwalt Joachim Feller die Klage ein. Er hoffte, durch ein neues Urteil bis 2015 mit dem Tod seiner Schwester endgültig abschließe­n zu können.

Doch es kam anders. Nun kritisiert Herrmann, dass er sich einer psychiatri­schen Begutachtu­ng unterziehe­n musste, weil das Gericht Zweifel hatte, dass der Tinnitus eine Folge des Strafverfa­hrens ist. Auch die neuerliche Befragung einer Gutachteri­n des Landeskrim­inalamts zum Tonbandger­ät überzeugte Herrmann nicht. „Kann es sein, dass der Augsburger Justiz nicht an wirklicher Aufklärung des Falles Ursula Herrmann ... gelegen ist?“, fragt er. Am kommenden Donnerstag hat Herrmann Geburtstag. Er erwarte vom Gericht kein Geburtstag­sgeschenk. Aber wenn die Kammer den sprichwört­lichen „Deckel auf die Kiste“machen wolle, solle sie wissen, „dass sich die Wahrheit nicht einsperren lässt“.

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Ursula Herrmann †

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