Augsburger Allgemeine (Land West)

Nach den Zeitzeugen müssen die Objekte sprechen

Das Jüdische Kulturmuse­um Augsburg steht vor einem personelle­n Wechsel. Benigna Schönhagen leitete das Haus 17 Jahre lang. Jetzt geht sie in den Ruhestand und hinterläss­t ihrer Nachfolger­in neue Aufgaben

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Bei Ihrer Bewerbung ins Jüdische Kulturmuse­um Augsburg wurden Sie gewarnt, die Leitung sei ein „Schleuders­itz“. Wie haben Sie es geschafft, so lange dieses Museum zu leiten? Benigna Schönhagen: Es gibt verschiede­ne Phasen. Anfangs war vieles ungeklärt. Die Gemeinde war im Umbruch. Dass ich so lange bleiben konnte, hat sicher auch damit zu tun, dass die im November 2006 eröffnete Dauerausst­ellung gut angenommen wurde.

In welchem Zustand haben Sie das Kulturmuse­um angetroffe­n? Schönhagen: In einem schwierige­n: Gold- und Silberarbe­iten auf beigem Rupfen. Eine Fülle von Ritualgege­nständen in nostalgisc­her Manier in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts gefertigt. Das kann man damit erklären, dass es 1985 kein vergleichb­ares jüdisches Kulturmuse­um in Deutschlan­d gab. Die Idee von Julius Spokojny war, man stellt die Schönheit der jüdischen Religion aus – ganz allgemein über 5000 Jahre. Er wollte das Wort Holocaust nicht erwähnt haben und er hatte keinen Fokus auf Augsburg.

Welche Projekte hatten Sie sich anfangs vorgenomme­n?

Schönhagen: Schon bei der Vorstellun­g hatte ich davon gesprochen, dass man die Region einbeziehe­n sollte. Damals gab es keine richtige Dokumentat­ion im Museum. Das Museum existierte 17 Jahre und niemand hat die Sammlung inventaris­iert.

Es waren höchst wechselhaf­te Vorgänger mit höchst wechselhaf­te Qualifikat­ionen vor Ihnen im Museum tätig. Schönhagen: Deswegen war es gut, dass am Anfang Geld gefehlt hat. Die Tatsache, dass ich erst 2006 die Ausstellun­g eröffnen konnte, hatte damit zu tun, dass das Geld, das vorgesehen war, in keiner Weise dem Bedarf einer Neugestalt­ung entsproche­n hat. Lange Zeit war unklar, wo das Geld herkommt.

Hatten Sie bestimmte Aufträge seitens des Stiftungsr­ates?

Schönhagen: In meinem Arbeitsver­trag stand, dass die Konzeption von Religion und Region zu verwirklic­hen sei. Die Ideen dazu stammten von dem Wissenscha­ftlichen Beirat, der gerade installier­t worden war. Ich habe versucht, jüdische Religion nicht abstrakt, sondern als religiöse Praxis im Wandel der Zeit darzustell­en.

Welche Widerständ­e waren zu überwinden?

Schönhagen: Erst einmal war im Stiftungsr­at die Vorstellun­g von einem profession­ell geführten Museum durchzuset­zen. Das war ein langer Kampf und ich versuchte, an verschiede­nen Stellen Gelder zu akquiriere­n. Bevor Georg Haindl kam und mit ersten Zuschüssen eine Menge ermöglicht­e. Die Dauerausst­ellung ist zu etwas über 50 Prozent von privater Hand finanziert worden. Wenn das Museum jetzt seit vier, fünf Jahren in der Öffentlich­keit wahrgenomm­en wird, hat das auch damit zu tun, dass in dem Moment erst ausreichen­d Personal vorhanden war. Ich habe das Museum übernommen mit einer Sekretärin und einer Volontärin. So war der Bestand bis 2009. Erst 2014 hatte ich den Personalst­and, den wir jetzt haben.

Sie haben das Jüdische Kulturmuse­um Augsburg bestens vernetzt. Ergab sich ein Kontakt aus dem anderen? Schönhagen: Ich bin ja schon mit einem Beziehungs­netz gekommen, ich habe ja vorher auch ein Jüdisches Museum eingericht­et und konzipiert. Ich habe mich sehr bemüht, in Verbindung zu treten mit den bürgerscha­ftlichen Gruppen, die mit dem Thema zu tun haben. Es gab auch keinen Zusammensc­hluss von Gedenkorte­n in der Region; es hat gedauert, bis ein Netzwerk entstanden ist.

Eine Stärke des Museums waren die „Lebenslini­en“schwäbisch­er jüdischer Familien. Jetzt sterben die unmittelba­ren Zeitzeugen. Wie wird die Vermittlun­g ihrer Schicksale in Zukunft geschehen?

Schönhagen: Das ist die Arbeit meiner Nachfolger­in. Wir haben, nachdem 2015 der letzte Augsburger Zeitzeuge bei uns war, gefragt: Was machen wir jetzt? Mit der Arbeit mit den Nachfahren ist ein neues Kapitel aufgeschla­gen. Das fängt auch in anderen Museen an.

Eines Ihrer großen Projekte war das jüdische Leben in Augsburg nach 1945. Half diese Spurensuch­e auch zur Identitäts­bildung der jetzigen Kultusgeme­inde?

Schönhagen: In der Kultusgeme­inde gibt es einen Kreis, der verstanden dass es dabei um die Geschichte der Vorgängerg­emeinde ging, und daran ernsthaft Interesse hatte. In Augsburg leben im Gegensatz zu Frankfurt oder München extrem wenig deutsche Juden. Nach dem Krieg waren die Displaced Persons meist aus Polen zahlenmäßi­g viel stärker. Auch dieses Wissen ist schon wieder am Verschwind­en.

Das Nebeneinan­der von lebendiger Gemeinde und Kulturmuse­um ist Chance und Problem zugleich. Wie funktionie­rt das Zusammensp­iel? Schönhagen: Das sind zwei Seiten einer Medaille, wie der Rabbiner sagt. Die Gemeinde übernimmt die soziale und die religiöse Vermittlun­g, das Museum die historisch­e und kulturelle. Im Gegensatz zu Museen in ehemaligen Synagogen, wo es also keine Gemeinde mehr gibt, kann unser Haus ein Stück Normalität zeigen und auch hier gehen jüdische Menschen ein und aus. Deshalb habe ich als eine meiner ersten Projekte den Europäisch­en Tag der jüdischen Kultur hierhergeh­olt, um mit der Gemeinde zusammen ein Forum zu bieten, miteinande­r zu reden.

Es genügt sicherlich nicht, die Juden immer nur aus der Opfer-Perspektiv­e darzustell­en?

Schönhagen: Ganz richtig: Es geht nicht um die zwölf Jahre, es geht auch um die Jahrzehnte, die Juden in Schwaben vorher gelebt haben. Da war vieles zu erforschen.

Ein großer Teil Ihrer Besucher sind Schüler. Welches Bild vom Juden und von jüdischer Existenz haben die Jugendlich­en von heute?

Schönhagen: Sie wissen in der Regel etwas von Moses, dass Hitler die Juden ermordet hat und vielleicht, dass es in ihrer Schule auch einen Juden aus Russland gibt. Es war immer unser Ziel, bewusst zu machen: Es gibt viele Gemeinsamk­eiten zwischen Juden und Christen und eine lange Tradition und es sind ganz normale Menschen, die nicht unbedingt Kippa tragen und jederzeit an die 613 Ge- und Verbote der Tora denken.

Es heißt, die alten judenfeind­lichen Ressentime­nts erstarken wieder und der Antisemiti­smus nehme in unserer Gesellscha­ft zu. Bemerken Sie davon etwas in der täglichen Museumsarb­eit? Schönhagen: Nein. Die Besucher, die kommen, haben in der Regel Interesse, es ist immer eine Auswahl. Es gibt immer wieder mal einen Jungen, der sich weigert, die Kippa aufzusetze­n. Aber es gibt viel mehr Mädchen, die sauer sind, weil sie keine aufsetzen dürfen. Ich meine, es ist nicht unbedingt Aufgabe eines Jüdischen Museums direkte Antisemiti­smus-Prophylaxe zu betreiben, jenseits seiner Aufklärung über jüdische Existenz allgemein, die natürlich Fremdheit abbaut und damit prophylakt­isch wirkt. Antisemiti­smus-Prophylaxe gehört aber meines Erachtens vor allem in Stadtmusee­n. Denn Antisemiti­smus ist doch vor allem ein Problem, das Nicht-Juden haben.

Sie hatten am Ende Ihrer Amtszeit in Augsburg eine große Tagung zum Thema „Die Kunst der Erinnerung“. Welche Aufgaben ergeben sich für die Zukunft?

Schönhagen: Für mich war Erinnerung immer wichtig. In allen Reden zum 9. November und zum 27. Jahat, nuar gehört die Forderung dazu, Erinnerung muss wach gehalten werden. Dabei müssen wir uns bewusst werden: Was ist Erinnerung und woran können wir erinnern? Können wir etwas erinnern, das wir nicht erlebt haben? Was können wir dann im Gedächtnis behalten? Dazu muss man weiterhin stark mit den Objekten arbeiten. Das ist die große Chance von Museen.

Wo liegen die kritischen Funktionen eines Jüdischen Kulturmuse­ums? Schönhagen: Sie halten vor Augen, inwieweit die Mehrheitsg­esellschaf­t bereit ist, ein Leben in Vielfalt zu akzeptiere­n. Wir alle müssen heute lernen, mit Vielfalt zu leben.

Sie haben eine Professur für jüdische Landesgesc­hichte in Tübingen und werden wahrschein­lich die Hände nicht in den Schoß legen?

Schönhagen: Ich kann mir nicht vorstellen, von heute auf morgen mich zur Ruhe zu setzen. Ich habe viele Ideen, ich werde in der Erinnerung­swerkstatt weitermach­en. Ich werde vielleicht auch Zeit haben, Gesammelte­s auszuwerte­n. Unabhängig vom Museum wären für Augsburg noch viele jüdische Themen zu schreiben.

Interview: Alois Knoller,

Richard Mayr

● Prof. Dr. Benigna Schönhagen, 65, leitet seit 2001 das Jüdische Kulturmuse­um Augsburg. Zuvor kon zipierte sie die Heimatmuse­en der Städte Laupheim und Riedlingen neu. Sie ist studierte Historiker­in und seit 2017 Honorarpro­fessorin für jüdische Geschichte an der Eber hard Karls Universitä­t Tübingen.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Benigna Schönhagen leitete 17 Jahre lang das Jüdische Kulturmuse­um, das in die Große Synagoge Augsburg integriert ist. Der Historiker­in sind die neue Dauerausst­ellung, eine enge Vernetzung in Stadt und Region sowie eine systematis­che Erfassung...
Foto: Michael Hochgemuth Benigna Schönhagen leitete 17 Jahre lang das Jüdische Kulturmuse­um, das in die Große Synagoge Augsburg integriert ist. Der Historiker­in sind die neue Dauerausst­ellung, eine enge Vernetzung in Stadt und Region sowie eine systematis­che Erfassung...

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