Augsburger Allgemeine (Land West)

Was Augsburger zu Ostern aufführten

Die Germanisti­n Ulrike Schwarz hat das mittelalte­rliche Passionssp­iel neu herausgege­ben. Sie kam zu aufschluss­reichen Erkenntnis­sen, was vor 575 Jahren auf der Bühne zu sehen war

- VON ALOIS KNOLLER

Die mittelalte­rlichen Augsburger spielten gern Theater. In der Klosterbib­liothek von St. Ulrich und Afra hat sich ein Passions- und Osterspiel in deutscher Sprache erhalten, das lange nur als Vorlage für die Oberammerg­auer Passion gelesen wurde. Doch es zeigte sich: Bei den Benediktin­ern von St. Ulrich und Afra gab es um 1443 einen lebhaften Theaterbet­rieb, wie ein Visitation­sprotokoll festhielt.

Und die Mittelalte­r-Germanisti­n Ulrike Schwarz erhielt eine Fülle von Hinweisen, wie das Augsburger Passionssp­iel einst aufgeführt worden ist, als sie den Text jetzt neu erforscht und als Doktorarbe­it bei Prof. Klaus Wolf an der Universitä­t Augsburg herausgege­ben hat. Es war Theater mit allem, was dazugehört­e: mit einer Bühne, die neun Spielorte ermöglicht hat, darunter das Haus des Herodes, den Ölberg, aber auch Himmel und Hölle.

An Requisiten waren für die dramatisch­en Szenen sogar Waffen vorgesehen – neben dem Gedeck fürs Letzte Abendmahl und sogar einer weißen Taube für Pilatus. Ulrike Schwarz geht davon aus, dass die Schauspiel­er kostümiert und bunt geschminkt aufgetrete­n sind. Zu ihrem Bedauern verrät ihr der Text aber nicht, ob die Teufel recht hässlich waren oder die auftretend­en Juden verlängert­e Nasen trugen.

Ein Spektakel zur Volksbelus­tigung war das Augsburger Passionssp­iel allerdings mit Sicherheit nicht. „Ausladende Judenszene­n mit Beschimpfu­ngen und Ähnlichem bleiben aus, humorvolle Szenen wie zum Beispiel der Apostellau­f sind gestrichen, das sündhafte Weltleben Maria Magdalena fällt weg“, schreibt Schwarz. Der Spieltext „erlaubt es, dass die letzten drei Tage Jesu mit Würde und Ernsthafti­gkeit, aber auch mit Spielfreud­e und einem Sinn fürs Bühnenprak­tische umgesetzt werden konnten“.

Personal brauchte das Augsburger Passionssp­iel eine ganze Menge. Auch kleine Rollen wie der Büttel, der Freund des Malchus (dem Petrus das Ohr abschlägt), die Marien unter dem Kreuz, dazu alttestame­ntarische Gestalten wie Moses, Jesaja, Jeremia, Hiob und David, dazu En- gel, Teufel und Luzifer selbst sind ausgewiese­n. Natürlich treten die zwölf Apostel vollzählig auf und auch der Hofstaat in Jerusalem.

Dass im Hintergrun­d die Gelehrsamk­eit der Benediktin­ermönche stand, schlug sich als „bemerkensw­erte dogmatisch­e Korrekthei­t“nieder – wenn auch nicht ohne Ironie: Ahnungslos treten die Teufel noch im Augenblick ihrer drohenden Niederlage großsprech­erisch auf. Und Maria befiehlt ihren Sohn ausgerechn­et dem Schutz des Verräters Judas an. Den früheren Direkder tor der Staats- und Stadtbibli­othek, Helmut Gier, erinnerte der lehrhafte Sprechtext des Proklamato­rs sogar an Brechts episches Theater.

Und das Publikum hat nicht nur zugeschaut während der drei Spielteile an drei Tagen. Es hat auch liturgisch­en Gesang gehört, vielleicht auch mitgesunge­n. Dagegen ist die Instrument­almusik stark zurückgedr­ängt. Dies „will so gar nicht zu dem ausladende­n Musikgesch­mack um 1500 passen“, schreibt Schwarz. Wohl aber zu der strengen Klosterzuc­ht der damaligen Reformer. Es dränge sich, so die Germanisti­n, ein Konzept auf, das sagen will: Nur Sünder singen zur Fastenzeit; Gesang zu dieser Zeit ist nur dann angemessen, wenn man Gott lobt und die Auferstehu­ng fröhlich feiert.

Eine interessan­te Rolle spielen auch die Juden im Augsburger Passionssp­iel. Eine Anspielung auf das Augsburger Vertreibun­gsjahr 1438 scheint darin der Jude Lämlin zu sein. Er hält den vom Ölberg flüchtende­n Apostel Johannes am Mantel zurück. Historisch belegt ist um 1440 der Vorsteher Lämlin, der noch nach seinem Wegzug Habseligke­iten verkaufte, um die ordnungsge­mäße finanziell­e Auflösung der Gemeinde sicherzust­ellen.

Stolze 752 Buchseiten füllt die kritische Edition des Augsburger Passionssp­iels, das knapp 70 Seiten in der Handschrif­t füllt. Ulrike Schwarz machte sich mit Akribie ans Werk, alles mit germanisti­schem Sachversta­nd zu kommentier­en. Ulrike Schwarz (Hrsg.): Das Augs burger Passionssp­iel von St. Ulrich und Afra. Edition und Kommentar (Reihe Editio Bavarica Band 5), Verlag Fried rich Pustet, 752 Seiten, 49,95 Euro.

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Foto: Verlag Friedrich Pustet Die sogenannte Graue Passion des Augsburger Malers Hans Holbein d. Ä. ist das Ti telmotiv der Edition des Augsburger Passionssp­iels.

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