Augsburger Allgemeine (Land West)

In den verblieben­en Kreißsälen geht es rund

Während das Augsburger Josefinum einen Halbjahres­rekord bei den Geburten meldet, machen in den Kleinstädt­en die Entbindung­sstationen dicht. Und eine Ministerin erklärt, warum der Freistaat zuschaut

- VON CHRISTOPH FREY

Region Augsburg Die Blitzgebur­t im Krankenwag­en machte Anfang des Jahres Schlagzeil­en. Auf dem Weg ins Augsburger Josefinum hatte es die kleine Angelin aus Meitingen auf einmal sehr eilig und erblickte irgendwo zwischen Stettenhof­en und der Autobahnau­ffahrt bei Gersthofen das Licht der Welt. Der kleine Otto aus Petersdorf kam Anfang Juli unter Obhut von Sanitätern der Johanniter in Augsburg auf dem Rücksitz des Familienau­tos auf die Welt. Hochschwan­gere, die – schon in den Wehen liegend – mit Blaulicht quer durch die Region geschafft werden: Diese Situation könnte künftig öfter eintreten. Denn während Geburtssta­tionen im Augsburger Umland zumindest vorübergeh­end dichtmache­n müssen, werden wieder mehr Kinder geboren. Und an der größten Geburtskli­nik weit und breit sind die Folgen dieser Entwicklun­g schon zu spüren. Josefinum-Sprecher Winfried Karg stellt fest: „Wir sehen einen Umverteilu­ngsprozess in der Region.“Schwangere Frauen weichen auf andere Kliniken aus und dort würden die Zahlen steigen. Das Josefinum verzeichne­te in den ersten sechs Monaten 2018 so viele Geburten wie noch in einem ersten Halbjahr in der Geschichte des Hauses – nämlich 1678.

Auch am Augsburger Klinikum geht es in den Kreißsälen rund. Dort geht man von einer Steigerung der Zahlen von bis zu fünf Prozent aus. Vergangene­s Jahr kamen hier 2444 Babys zur Welt. Die Folgen der Schließung­en von Geburtssta­tionen im Umland bereite dem Klinikum aber „nicht so große Sorgen“, sagt Sprecherin Ines Lehmann. Das Klinikum sei bei Schwangere­n aus dem Umland vor allem Anlaufstel­le für problemati­sche Schwangers­chaften und Geburten. In den anderen Fällen würden eher Mütter in Geburtssta­tionen in ihrer Nähe entbinden.

Falls es diese gibt. Die Geburtenst­ation am Aichacher Krankenhau­s ist seit Mittwoch geschlosse­n und macht erst im September wieder auf. Vorausgese­tzt, bis dahin stehen wieder genügend Hebammen zur Verfügung. In Schwabmünc­hen ist bereits seit Mai zu. Die Geburtshil­fen in Schrobenha­usen und Wertingen haben schon länger die Segel gestrichen. Die Ursachen sind überall ähnlich: fehlende Ausbildung­splätze, hohe Haftpflich­tprämien, Bezahlung, Arbeitsbed­ingungen.

Für die SPD-Landtagsab­geordnete Simone Strohmayr aus Stadtberge­n ist die Staatsregi­erung „für solch eine Misere verantwort­lich“. Bereits vor drei Wochen habe sie die zuständige Ministerin Melanie Huml (CSU) aufgeforde­rt, die Lage der ländlichen Kliniken zu verbessern. Deren Antwort sei gewesen: „Wir bitten um Geduld. “

Das ist nach Strohmayrs Ansicht für die betroffene­n Frauen „Hohn und Spott“. „Ich hoffe nur, dass sie es rechtzeiti­g schaffen, in andere Kliniken zu gelangen.“Wenig Erfolg hatten auch CSU-Mitglieder, die unter der Woche Huml bei einem Auftritt in Graben (Kreis Augsburg) fragten, warum der Freistaat die Geburtshil­fe der Wertachkli­niken mit ihren Häusern in Schwabmünc­hen und Bobingen nicht finanziell fördern wolle. Sie kassierten eine Absage. Es gebe eine Grenze, erklärte Huml. Und die sei sinnvoll, weil man so die erreiche, die den größten Bedarf abdecken.

Zwei Kriterien muss eine Klinik erfüllen, um in ein neues Förderprog­ramm zu kommen, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Sie muss mehr als 300 Geburten pro Jahr nachweisen – und zugleich 50 Prozent der Geburten im Landkreis betreuen. Mit einem Anteil von rund 40 Prozent im Landkreis Augsburg, wo jedes Jahr an die 2200 Kinder zur Welt kommen, verfehlen die Wertachkli­niken diesen Anteil. Grund: Sie decken hauptsächl­ich den Süden des drittgrößt­en bayerische­n Landkreise­s, während die Menschen aus der Mitte und dem Norden des Kreises nicht zuletzt die Augsburger Häuser bevorzugen. Versuche von Politikern aus dem Landkreis, München angesichts dieser Ausnahmesi­tuation zu einer Ausnahmere­gelung zu bewegen, sind bislang offenbar gescheiter­t. Und auch für Aichach sieht es schlecht aus. Mit etwas mehr als 300 Geburten verfehlt es die 40 ProzentMar­ke. Das Haus in Friedberg darf dagegen mit Zuschüssen rechnen. Wobei Aichach-Friedberge­s Landrat Klaus Metzger (CSU) sagt: „Geld allein macht nicht glücklich. Damit können wir uns auch keine Hebammen schnitzen.“

Auch das Josefinum ist „ständig auch der Suche nach Hebammen“, so Krankenhau­s-Sprecher Karg. Zusätzlich versuche das Haus, seine Abläufe zu verbessern, damit gesunde Mütter und Kinder früher nach Hause können. Was dem kirchliche­n Krankenhau­s außerdem hilft: Als dessen Modernisie­rung vor zehn Jahren geplant wurde, lagen die Geburtenza­hlen deutlich niedriger als heute. Der Freistaat bezuschuss­te deshalb nur den Bau von vier Kreißsälen, einen fünften bezahlte der Krankenhau­sträger KJF aus eigener Tasche. Karg: „Zum Glück, wie sich heute zeigt.“

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Auf dieser Geburtenst­ation scheint die Welt für die neuen Erdenbürge­r in Ordnung. Politisch aber ist in Sachen Geburtshil­fe einiges in Unordnung geraten: Vielerorts fehlen Hebammen, in kleineren Städten werden Kreißsäle dichtgemac­ht – und die großen...
Symbolfoto: Alexander Kaya Auf dieser Geburtenst­ation scheint die Welt für die neuen Erdenbürge­r in Ordnung. Politisch aber ist in Sachen Geburtshil­fe einiges in Unordnung geraten: Vielerorts fehlen Hebammen, in kleineren Städten werden Kreißsäle dichtgemac­ht – und die großen...

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