Augsburger Allgemeine (Land West)
Rücksichtnahme ist gut, aber kein Allheilmittel
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mal ausprobieren, wie es zum Beispiel als Radler im Straßenverkehr zugeht. Dann entsteht ein gewisses Verständnis, aber auch nur solange, wie eigene Bedürfnisse nicht betroffen sind.“Keinath rät, Zeitdruck zu vermeiden. „Man sollte schauen, dass der Tag nicht so getaktet wird, Pausen machen und die Rushhour meiden.“
Bei der Stadt Augsburg gibt es schon seit Jahren Pläne, eine Kampagne für mehr Miteinander im Verkehr aufzulegen. Ab Herbst soll es Workshops mit Interessensverbänden geben, 250 000 Euro sind für den Haushalt beantragt. Möglichkeiten seien, ein Straßenstück als „Fairness-Korridor“auszuweisen, wo alle Verkehrsteilnehmer darauf hingewiesen werden, dass sie Rücksicht nehmen müssen, so Stadtspre- Richard Goerlich. Auch an Gefahrenstellen seien Aktionen denkbar, zum Beispiel bei Rechtsabbieger-Spuren. Zunächst, so Goerlich, müsse die Bauverwaltung genau formulieren, wo die Probleme sind und Lösungen aufzeigen. „Nur schöne Bildchen und Slogans bringen nichts.“Eine wirksame Kampagne müsse Hand in Hand mit baulichen und Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmer gehen.
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) würde eine InfoKampagne begrüßen. Es sei aber klar, dass diese kein Ersatz für mehr Infrastruktur sei, so Vorstandsmitglied Arne Schäffler. Wenn die Stadt den Radverkehrsanteil auf 25 Prozent erhöhen will, dann müsse sie auch die Infrastruktur dafür schaffen, sonst provoziere sie sehenden Auges Konflikte. Schäffler verweist darauf, dass die Zahl der verletzten Radler in Augsburg im vergangenen Jahr gestiegen ist.
Die eine Seite des Problems sei, dass Infrastruktur für Radler häufig veraltet sei. Kombinierte Geh- und Radwege seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die andere Seite des Problems sei das Verhalten von Verkehrsteilnehmern, Radler eingeschlossen. „Wenn es durch Rücksichtslosigkeit zu berechtigtem Hass auf Radfahrer kommt, kann es mit der Radstadt genauso wenig klappen, wie wenn Baumaßnahmen und Verbesserungen in der Verkehrslenkung nicht gestartet werden“, so Schäffler. Der Weg sei neben Aufklärung auch mehr Repression. Mit dem Rad bei Rot über die Ampel zu fahren, auf dem Radweg in die falcher sche Richtung zu fahren oder nachts ohne Beleuchtung unterwegs zu sein, werde in Augsburg kaum geahndet. Unter anderem wäre es sinnvoll, wenn die Polizei ihre Fahrradstreifen verstärken würde. Diese seien kaum vorhanden.
Bei der Polizei verweist man darauf, dass im Rahmen der Möglichkeiten Fahrradstreifen unterwegs sind. Radler mit dem Streifenwagen anzuhalten, sei nicht immer einfach, wenn man Auffahrunfälle und Stürze vermeiden wolle. Insgesamt ging die Zahl der Verkehrsunfälle in Augsburg in den vergangenen Jahren um 16 Prozent nach oben – ein Zeichen für die steigende Verkehrsdichte. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Unfälle mit Radlern an, die Zahl der Unfälle mit Fußgängern sank.
Die entscheidenden Sätze stehen am Anfang der Straßenverkehrsordnung: Da ist die Rede von „gegenseitiger Rücksicht“und dem Gebot, sich so zu verhalten, „dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder (...) behindert oder belästigt wird“. Doch Verständnis für andere Verkehrsteilnehmer ist im Alltag manchmal schwierig.
Es muss gefördert werden. Dem Autor der Zeilen geht es ja auch nicht anders: Als Fußgänger in der Pferseer Unterführung ärgert er sich über Radler, die auf dem für sie freigegebenen Gehweg vorbeiflitzen statt Schritttempo zu fahren. Als Radler in der Pferseer Unterführung ärgert er sich über Fußgänger, die absichtlich in der Mitte des Gehwegs laufen, und über Autofahrer, die hupen, wenn man erlaubterweise auf der Straße fährt. Und als Autofahrer schnauft er durch, wenn Radler auf der Fahrbahn sind, weil dann erst einmal Tempo 20 angesagt ist. Es wird nicht überall möglich sein, bauliche Lösungen zu schaffen, die alle Verkehrtsteilnehmer zufriedenstellen, indem sie ihnen ausreichend Platz anbieten, doch es ist und bleibt der beste Weg. Verkehrslösungen, die nur auf mehr Rücksichtnahme setzen, sind eine Gratwanderung.
Spielstraßen, wo die Minderheit Schritttempo fährt, sind ein Beispiel. Auf die Spitze getrieben wird die Idee des Miteinanders durch sogenannte „Shared-Space“-Lösungen, also Straßen, in denen weitgehend auf Beschilderung verzichtet wird und gegenseitige Rücksichtnahme die Dinge regelt. Mehrere Städte haben das erprobt. Es kann funktionieren, muss aber nicht. Augsburg hat noch keine solche Experimentalstrecke. Im Rahmen der von der Stadt geplanten InfoKampagne für mehr Miteinander wäre Gelegenheit dafür, der Ort muss gut gewählt sein. Der Kö, wo sich die Stadt dem Konzept schon mal angenähert hat, sind die Ergebnisse mäßig überzeugend. Dass sie langsam fahren müssen, weil sie sich in der Fußgängerzone befinden, ignorieren viele Radler geflissentlich, auch weil es sonst keine schnelle Nord-Süd-Achse gibt.