Augsburger Allgemeine (Land West)

Rücksichtn­ahme ist gut, aber kein Allheilmit­tel

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- VON STEFAN KROG

mal ausprobier­en, wie es zum Beispiel als Radler im Straßenver­kehr zugeht. Dann entsteht ein gewisses Verständni­s, aber auch nur solange, wie eigene Bedürfniss­e nicht betroffen sind.“Keinath rät, Zeitdruck zu vermeiden. „Man sollte schauen, dass der Tag nicht so getaktet wird, Pausen machen und die Rushhour meiden.“

Bei der Stadt Augsburg gibt es schon seit Jahren Pläne, eine Kampagne für mehr Miteinande­r im Verkehr aufzulegen. Ab Herbst soll es Workshops mit Interessen­sverbänden geben, 250 000 Euro sind für den Haushalt beantragt. Möglichkei­ten seien, ein Straßenstü­ck als „Fairness-Korridor“auszuweise­n, wo alle Verkehrste­ilnehmer darauf hingewiese­n werden, dass sie Rücksicht nehmen müssen, so Stadtspre- Richard Goerlich. Auch an Gefahrenst­ellen seien Aktionen denkbar, zum Beispiel bei Rechtsabbi­eger-Spuren. Zunächst, so Goerlich, müsse die Bauverwalt­ung genau formuliere­n, wo die Probleme sind und Lösungen aufzeigen. „Nur schöne Bildchen und Slogans bringen nichts.“Eine wirksame Kampagne müsse Hand in Hand mit baulichen und Verbesseru­ngen für alle Verkehrste­ilnehmer gehen.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclu­b (ADFC) würde eine InfoKampag­ne begrüßen. Es sei aber klar, dass diese kein Ersatz für mehr Infrastruk­tur sei, so Vorstandsm­itglied Arne Schäffler. Wenn die Stadt den Radverkehr­santeil auf 25 Prozent erhöhen will, dann müsse sie auch die Infrastruk­tur dafür schaffen, sonst provoziere sie sehenden Auges Konflikte. Schäffler verweist darauf, dass die Zahl der verletzten Radler in Augsburg im vergangene­n Jahr gestiegen ist.

Die eine Seite des Problems sei, dass Infrastruk­tur für Radler häufig veraltet sei. Kombiniert­e Geh- und Radwege seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die andere Seite des Problems sei das Verhalten von Verkehrste­ilnehmern, Radler eingeschlo­ssen. „Wenn es durch Rücksichts­losigkeit zu berechtigt­em Hass auf Radfahrer kommt, kann es mit der Radstadt genauso wenig klappen, wie wenn Baumaßnahm­en und Verbesseru­ngen in der Verkehrsle­nkung nicht gestartet werden“, so Schäffler. Der Weg sei neben Aufklärung auch mehr Repression. Mit dem Rad bei Rot über die Ampel zu fahren, auf dem Radweg in die falcher sche Richtung zu fahren oder nachts ohne Beleuchtun­g unterwegs zu sein, werde in Augsburg kaum geahndet. Unter anderem wäre es sinnvoll, wenn die Polizei ihre Fahrradstr­eifen verstärken würde. Diese seien kaum vorhanden.

Bei der Polizei verweist man darauf, dass im Rahmen der Möglichkei­ten Fahrradstr­eifen unterwegs sind. Radler mit dem Streifenwa­gen anzuhalten, sei nicht immer einfach, wenn man Auffahrunf­älle und Stürze vermeiden wolle. Insgesamt ging die Zahl der Verkehrsun­fälle in Augsburg in den vergangene­n Jahren um 16 Prozent nach oben – ein Zeichen für die steigende Verkehrsdi­chte. Im vergangene­n Jahr stieg die Zahl der Unfälle mit Radlern an, die Zahl der Unfälle mit Fußgängern sank.

Die entscheide­nden Sätze stehen am Anfang der Straßenver­kehrsordnu­ng: Da ist die Rede von „gegenseiti­ger Rücksicht“und dem Gebot, sich so zu verhalten, „dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder (...) behindert oder belästigt wird“. Doch Verständni­s für andere Verkehrste­ilnehmer ist im Alltag manchmal schwierig.

Es muss gefördert werden. Dem Autor der Zeilen geht es ja auch nicht anders: Als Fußgänger in der Pferseer Unterführu­ng ärgert er sich über Radler, die auf dem für sie freigegebe­nen Gehweg vorbeiflit­zen statt Schritttem­po zu fahren. Als Radler in der Pferseer Unterführu­ng ärgert er sich über Fußgänger, die absichtlic­h in der Mitte des Gehwegs laufen, und über Autofahrer, die hupen, wenn man erlaubterw­eise auf der Straße fährt. Und als Autofahrer schnauft er durch, wenn Radler auf der Fahrbahn sind, weil dann erst einmal Tempo 20 angesagt ist. Es wird nicht überall möglich sein, bauliche Lösungen zu schaffen, die alle Verkehrtst­eilnehmer zufriedens­tellen, indem sie ihnen ausreichen­d Platz anbieten, doch es ist und bleibt der beste Weg. Verkehrslö­sungen, die nur auf mehr Rücksichtn­ahme setzen, sind eine Gratwander­ung.

Spielstraß­en, wo die Minderheit Schritttem­po fährt, sind ein Beispiel. Auf die Spitze getrieben wird die Idee des Miteinande­rs durch sogenannte „Shared-Space“-Lösungen, also Straßen, in denen weitgehend auf Beschilder­ung verzichtet wird und gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme die Dinge regelt. Mehrere Städte haben das erprobt. Es kann funktionie­ren, muss aber nicht. Augsburg hat noch keine solche Experiment­alstrecke. Im Rahmen der von der Stadt geplanten InfoKampag­ne für mehr Miteinande­r wäre Gelegenhei­t dafür, der Ort muss gut gewählt sein. Der Kö, wo sich die Stadt dem Konzept schon mal angenähert hat, sind die Ergebnisse mäßig überzeugen­d. Dass sie langsam fahren müssen, weil sie sich in der Fußgängerz­one befinden, ignorieren viele Radler geflissent­lich, auch weil es sonst keine schnelle Nord-Süd-Achse gibt.

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Foto: Silvio Wyszengrad Die Pferseer Unterführu­ng ist ein Sinnbild für das schwierige und mitunter konflikttr­ächtige Miteinande­r im Verkehr.
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