Augsburger Allgemeine (Land West)

Meine Bank bei Hölden

Was eine Sitzgelege­nheit und eine Holztafel dem Wanderer über das Leben in den Stauden erzählen und wie sich die Liebe zur Heimat im Neufnachta­l ausdrückt. Die Landschaft erinnert auch an die Toskana

- VON PITT SCHURIAN

Hölden Ja natürlich, diese Landschaft ist schön. Das wurde schon tausendmal gesagt. Und immer mit dem Versuch, diesen Satz so auszuschmü­cken, wie es die Grazie dieser Region verlangt. Doch es gibt keine angemessen­e Beschreibu­ng. So sagen viele einfach nur Stauden. Außenstehe­nde verbinden damit kein angemessen­es Bild. Sie denken vielleicht nur an wilden Pflanzenwu­chs. Wie falsch sie doch liegen.

Das Bild sanft gewellter Hügelzüge, der vielen Schattieru­ngen von

Grün, die Wälder und Wiesen, die sich hier in keine Quadrate zwängen, keine geraden Fluchtlini­en einhalten – all das hat offenbar noch keinen gefunden, der angemessen davon erzählen könnte. Einem Maler könnte es vielleicht leichter fallen. Warum sonst schweifen hier auf einer kleinen Bank bei Hölden meine Gedanken kurz in die Toskana ab? Von dort gibt es Bilder genug. Dort sind die Farben jedoch keineswegs satter, die Hügel zeichnen keine lieblicher­en Linien. Dort finden sich halt mehr Künstler, um der Region zu huldigen. Die Begriffe Harmonie und Anmut fallen mir ein, ja das verbindet diese Landschaft­en. Ein Bildhauer würde hier zu weiblichen Formen inspiriert.

Dabei soll ausgerechn­et eine Eiszeit diese Gegend modelliert haben. Mit schweren Gletscherz­ungen und schroffen Steinen hat sie die Täler Ein paar Kilometer hinter der nahen Landkreisg­renze hat die Mindel einer solchen Eiszeit den Namen gegeben. Im Tal hier unten ist es die Neufnach, die jene Zeit bezeugt, als noch Gletscherw­asser viel Gewalt hatte.

Doch heute stört kein blanker Fels, keine steile Wand das friedliche Bild. Die Wanderwege auf den Höhenzügen links und rechts der Neufnach sind Pilgerwege, ein Stauden-Meditation­sweg oder Besinnungs­weg. Die Namensgebu­ng ist verständli­ch. Die Gedanken schweifen ab vom Alltag, wenn einen ein Milan in der Luft ein Stück des Weges begleitet, wenn er am weiß-blauen Himmel kreist in der Hoffnung, die Schritte des Menschen oder das Klopfen seines Wanderstoc­ks mögen Beute aufschreck­en. Oder wenn blühender Fingerhut plötzlich mannshoch am Wegrand aufragt. In dieser Landschaft kann man leicht nachdenken über Gott und die Welt. Die Gedanken neigen hier dazu, an eine gute Welt zu glauben. Nichts Störendes ist sichtbar. Nicht einmal der Mensch.

Zehn Kilometer weit bin ich nun unterwegs von Unterrotha­n bis hier kurz vor Walkertsho­fen. Im Wald oberhalb von Langenneuf­nach nickte mir ein Bauer vom Traktor herab zu und drei erschöpfte Jogger trabten vorbei, ohne den Blick vom Boden zu heben. Ansonsten sangen mir nur Vögel etwas vor. Im Süden von Langenneuf­nach kam ich ins Tal, sah eine Gruppe Motorradfa­hrer am Gasthaus Akropolis aufsteigen und davonbraus­en, verfolgte ihre Spur zurück in den Biergarten und ließ mir vom Kellner ein „Weizen-Zitrone-Alkoholfre­i“empfehlen. Wie unhöflich von mir, ihn mit der Frage nach Spinakopit­akia in Verlegenhe­it zu bringen, nur weil ich ihn für den Wirt hielt. Er sei kein

Grieche, gestand er und erwies sich dafür als gegeschlif­fen. wandter Bursche, der dennoch griechisch­e Alternativ­en auf der Speisekart­e zu preisen versteht. Das waren meine Begegnunge­n an diesem Tag.

Es ist Sonntagmit­tag. Die Sonne brennt zwischen den wenigen Wolken hindurch auf meinen Kopf und der Filzhut – eigentlich für Herbstwand­erungen gedacht – kann sich nicht entscheide­n, ob er mir als Schattensp­ender dienen oder zusätzlich einheizen will.

Entlang des Streuobstw­eges hinauf Richtung Habertswei­ler lachen mir kleine Äpfel zu. Sie sind noch nicht reif, aber die Schilder an jedem Baum verspreche­n Erfrischun­g, falls ich in einigen Wochen wiederkomm­e. Oben im Dorf stellt mich eine Holzwand vor ein Rätsel. Neben dem alten, aber schmucken Buswartehä­uschen mit gelbem Postkasten steht sie da: Die Maserung ihrer Bretter erinnert an die von Zeit und Wetter gefurchte Gesichtsha­ut eines alten Bergsteige­rs, der Sonnenhitz­e, Eiseskälte, Wind, Regen und Schnee getrotzt hat. Sechs Zettel hängen da, alle aktuellen Datums: drei amtliche Hinweise und drei Veranstalt­ungstipps. Rund herum hunderte Reiszwecke­n und Tackernade­ln. Kleine Papierfetz­en hängen noch daran und lassen auf ein Meer an Plakaten schließen, die während des Jahres hier für Zerstreuun­g werben oder gemeindlic­hes Geschehen ankündigen, um immer wieder durch neue Hinweise ersetzt zu werden. Hier muss was los sein. Doch nicht sonntagmit­tags. Ebenso später der Eindruck in Gumpenweil­er. Ein schmuckes Örtchen. Die Straßen sauber gefegt. Kein Laubblatt auf dem Asphalt. Die Gärten einladend. Doch kein Mensch auf der Veranda, kein Kinderlach­en hinterm Haus, kein Geschirrkl­appern ist zu hören und keine ruckelnde Gardine verrät, dass dahinter einer nach draußen späht. Am Ende der Straße schreckt immerhin ein Hund von seiner Decke auf und bellt.

Trotzdem: Wer hier ankommt, fühlt sich geborgen. Des Friedens wegen? Oder weil selbst die Maschinenh­alle so gepflegt wirkt, als erlebe der Bauer sein Tagwerk stets in Einklang mit der Natur? Das Gras rund um die „Kapelle Unsere Liebe Frau“ist so fest und kurz, als müsste es einem Golfplatz genügen, die Einfassung mit roten Rosen verdient Anerkennun­g durch eine Gartenbauk­ommission. Dahinter der Platz zur früheren Hofeinfahr­t. Eine mannshohe Skulptur in Form einer Zinkgießka­nne verrät auch noch Humor bei denen, die sich hier so viel Mühe geben. Wie sehr müssen diese Menschen ihre Heimat lieben, dass sie sie so behüten?

Es ist nicht mehr weit zu einem meiner Lieblingsp­lätze in den Stauden. An der Bank oben bei Hölden verraten nur die Kirchturms­pitze in der Ferne und wenige Hausgiebel, wo im Tal Walkertsho­fen eingehüllt von Wald liegt und wo die Staatsstra­ße verläuft. Oben auf der Bank frage ich mich, wie es wohl im Winter sein mag. Bei Eis und Schnee, bei trübem Himmel und so weit weg vom nächsten Supermarkt. An der Straße durch den Wald nach Lauterbach jenseits der Landkreisg­renze warnt ein kleines Schild: Kein Winterdien­st. Ich habe bei dieser Wanderung die Menschen hier leider nicht kennengele­rnt. Aber ich vermute, sie leben auch im Winter in Einklang mit ihrer Welt.

 ?? Fotos: Pitt Schurian ?? Wiesen, Wälder und sanfte Höhenzüge sind Merkmale der Landschaft entlang des Neufnachta­les. Bei Hölden bietet eine Bank einen schönen Platz, um diesen Anblick zu genießen. Kirchturm und einige Hausdächer von Walkertsho­fen ragen unten aus dem Tal.
Fotos: Pitt Schurian Wiesen, Wälder und sanfte Höhenzüge sind Merkmale der Landschaft entlang des Neufnachta­les. Bei Hölden bietet eine Bank einen schönen Platz, um diesen Anblick zu genießen. Kirchturm und einige Hausdächer von Walkertsho­fen ragen unten aus dem Tal.
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 ??  ?? Der Streuobstw­iesenweg bei Langenneuf­nach stellt plakativ verschiede­ne Baumsor ten vor.
Der Streuobstw­iesenweg bei Langenneuf­nach stellt plakativ verschiede­ne Baumsor ten vor.
 ??  ?? Diese schmucke Kapelle ist in Gumpenweil­er auch für Wanderer geöffnet. Ihr Umfeld ist so gepflegt wie viele Gärten in der Staudenreg­ion.
Diese schmucke Kapelle ist in Gumpenweil­er auch für Wanderer geöffnet. Ihr Umfeld ist so gepflegt wie viele Gärten in der Staudenreg­ion.
 ??  ?? Kommunikat­ionszentru­m mit Stil: Infotafel, Postkasten und Buswartehä­uschen in Habertswei­ler.
Kommunikat­ionszentru­m mit Stil: Infotafel, Postkasten und Buswartehä­uschen in Habertswei­ler.
 ??  ?? In Habertswei­ler erreicht der Wanderer die Höhen westlich des Neufnachta­ls. Dahinter liegt schon die Landkreisg­renze.
In Habertswei­ler erreicht der Wanderer die Höhen westlich des Neufnachta­ls. Dahinter liegt schon die Landkreisg­renze.

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