Augsburger Allgemeine (Land West)
Meine Bank bei Hölden
Was eine Sitzgelegenheit und eine Holztafel dem Wanderer über das Leben in den Stauden erzählen und wie sich die Liebe zur Heimat im Neufnachtal ausdrückt. Die Landschaft erinnert auch an die Toskana
Hölden Ja natürlich, diese Landschaft ist schön. Das wurde schon tausendmal gesagt. Und immer mit dem Versuch, diesen Satz so auszuschmücken, wie es die Grazie dieser Region verlangt. Doch es gibt keine angemessene Beschreibung. So sagen viele einfach nur Stauden. Außenstehende verbinden damit kein angemessenes Bild. Sie denken vielleicht nur an wilden Pflanzenwuchs. Wie falsch sie doch liegen.
Das Bild sanft gewellter Hügelzüge, der vielen Schattierungen von
Grün, die Wälder und Wiesen, die sich hier in keine Quadrate zwängen, keine geraden Fluchtlinien einhalten – all das hat offenbar noch keinen gefunden, der angemessen davon erzählen könnte. Einem Maler könnte es vielleicht leichter fallen. Warum sonst schweifen hier auf einer kleinen Bank bei Hölden meine Gedanken kurz in die Toskana ab? Von dort gibt es Bilder genug. Dort sind die Farben jedoch keineswegs satter, die Hügel zeichnen keine lieblicheren Linien. Dort finden sich halt mehr Künstler, um der Region zu huldigen. Die Begriffe Harmonie und Anmut fallen mir ein, ja das verbindet diese Landschaften. Ein Bildhauer würde hier zu weiblichen Formen inspiriert.
Dabei soll ausgerechnet eine Eiszeit diese Gegend modelliert haben. Mit schweren Gletscherzungen und schroffen Steinen hat sie die Täler Ein paar Kilometer hinter der nahen Landkreisgrenze hat die Mindel einer solchen Eiszeit den Namen gegeben. Im Tal hier unten ist es die Neufnach, die jene Zeit bezeugt, als noch Gletscherwasser viel Gewalt hatte.
Doch heute stört kein blanker Fels, keine steile Wand das friedliche Bild. Die Wanderwege auf den Höhenzügen links und rechts der Neufnach sind Pilgerwege, ein Stauden-Meditationsweg oder Besinnungsweg. Die Namensgebung ist verständlich. Die Gedanken schweifen ab vom Alltag, wenn einen ein Milan in der Luft ein Stück des Weges begleitet, wenn er am weiß-blauen Himmel kreist in der Hoffnung, die Schritte des Menschen oder das Klopfen seines Wanderstocks mögen Beute aufschrecken. Oder wenn blühender Fingerhut plötzlich mannshoch am Wegrand aufragt. In dieser Landschaft kann man leicht nachdenken über Gott und die Welt. Die Gedanken neigen hier dazu, an eine gute Welt zu glauben. Nichts Störendes ist sichtbar. Nicht einmal der Mensch.
Zehn Kilometer weit bin ich nun unterwegs von Unterrothan bis hier kurz vor Walkertshofen. Im Wald oberhalb von Langenneufnach nickte mir ein Bauer vom Traktor herab zu und drei erschöpfte Jogger trabten vorbei, ohne den Blick vom Boden zu heben. Ansonsten sangen mir nur Vögel etwas vor. Im Süden von Langenneufnach kam ich ins Tal, sah eine Gruppe Motorradfahrer am Gasthaus Akropolis aufsteigen und davonbrausen, verfolgte ihre Spur zurück in den Biergarten und ließ mir vom Kellner ein „Weizen-Zitrone-Alkoholfrei“empfehlen. Wie unhöflich von mir, ihn mit der Frage nach Spinakopitakia in Verlegenheit zu bringen, nur weil ich ihn für den Wirt hielt. Er sei kein
Grieche, gestand er und erwies sich dafür als gegeschliffen. wandter Bursche, der dennoch griechische Alternativen auf der Speisekarte zu preisen versteht. Das waren meine Begegnungen an diesem Tag.
Es ist Sonntagmittag. Die Sonne brennt zwischen den wenigen Wolken hindurch auf meinen Kopf und der Filzhut – eigentlich für Herbstwanderungen gedacht – kann sich nicht entscheiden, ob er mir als Schattenspender dienen oder zusätzlich einheizen will.
Entlang des Streuobstweges hinauf Richtung Habertsweiler lachen mir kleine Äpfel zu. Sie sind noch nicht reif, aber die Schilder an jedem Baum versprechen Erfrischung, falls ich in einigen Wochen wiederkomme. Oben im Dorf stellt mich eine Holzwand vor ein Rätsel. Neben dem alten, aber schmucken Buswartehäuschen mit gelbem Postkasten steht sie da: Die Maserung ihrer Bretter erinnert an die von Zeit und Wetter gefurchte Gesichtshaut eines alten Bergsteigers, der Sonnenhitze, Eiseskälte, Wind, Regen und Schnee getrotzt hat. Sechs Zettel hängen da, alle aktuellen Datums: drei amtliche Hinweise und drei Veranstaltungstipps. Rund herum hunderte Reiszwecken und Tackernadeln. Kleine Papierfetzen hängen noch daran und lassen auf ein Meer an Plakaten schließen, die während des Jahres hier für Zerstreuung werben oder gemeindliches Geschehen ankündigen, um immer wieder durch neue Hinweise ersetzt zu werden. Hier muss was los sein. Doch nicht sonntagmittags. Ebenso später der Eindruck in Gumpenweiler. Ein schmuckes Örtchen. Die Straßen sauber gefegt. Kein Laubblatt auf dem Asphalt. Die Gärten einladend. Doch kein Mensch auf der Veranda, kein Kinderlachen hinterm Haus, kein Geschirrklappern ist zu hören und keine ruckelnde Gardine verrät, dass dahinter einer nach draußen späht. Am Ende der Straße schreckt immerhin ein Hund von seiner Decke auf und bellt.
Trotzdem: Wer hier ankommt, fühlt sich geborgen. Des Friedens wegen? Oder weil selbst die Maschinenhalle so gepflegt wirkt, als erlebe der Bauer sein Tagwerk stets in Einklang mit der Natur? Das Gras rund um die „Kapelle Unsere Liebe Frau“ist so fest und kurz, als müsste es einem Golfplatz genügen, die Einfassung mit roten Rosen verdient Anerkennung durch eine Gartenbaukommission. Dahinter der Platz zur früheren Hofeinfahrt. Eine mannshohe Skulptur in Form einer Zinkgießkanne verrät auch noch Humor bei denen, die sich hier so viel Mühe geben. Wie sehr müssen diese Menschen ihre Heimat lieben, dass sie sie so behüten?
Es ist nicht mehr weit zu einem meiner Lieblingsplätze in den Stauden. An der Bank oben bei Hölden verraten nur die Kirchturmspitze in der Ferne und wenige Hausgiebel, wo im Tal Walkertshofen eingehüllt von Wald liegt und wo die Staatsstraße verläuft. Oben auf der Bank frage ich mich, wie es wohl im Winter sein mag. Bei Eis und Schnee, bei trübem Himmel und so weit weg vom nächsten Supermarkt. An der Straße durch den Wald nach Lauterbach jenseits der Landkreisgrenze warnt ein kleines Schild: Kein Winterdienst. Ich habe bei dieser Wanderung die Menschen hier leider nicht kennengelernt. Aber ich vermute, sie leben auch im Winter in Einklang mit ihrer Welt.