Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Frage der Woche Hundstage genießen?

- STEFANIE WIRSCHING WOLFGANG SCHÜTZ

In früheren Zeiten hatten die Hundstage ein mieses Image. Gewarnt wurde vor plötzliche­m Haarausfal­l, schlechtem Wein, tollwütige­n Mondsüchti­gen und vor dem Baden, weil während der Hundstage das Wasser schnell mal giftig werde. Heute hält sich kein Mensch mehr an all die Regeln. Gebadet wird wie irre, die Mondsüchti­gen torkeln glücklich von einem Sommerfest zum nächsten, und im Hugo mit ordentlich Holundersi­rup gesüßt und mit Minze garniert schmeckt auch noch schlechter Wein. Man kann die Hundstage also genießen. Aber sollte man es auch tun? Unbedingt! Die Hundstage nämlich sind so etwas wie der Siedepunkt des Jahres, einmal alles abgekocht, dann ist der Sommer so weich wie Spaghetti nach acht Minuten. Also genau richtig. Und der Mensch kann sich endlich sommersatt fühlen, gestillt nämlich die Sehnsucht nach der Wärme.

Deswegen zum Beispiel pilgern alle Italiener im August ans Meer, auch wenn sie den Sand nur mit Flipflops betreten können, das eben gekaufte Eis auf dem Weg zum Liegestuhl zerrinnt, das Meer sich als warme Badewanne gibt… So aber muss man es machen, die trägen heißen Tage bis zur Neige auskosten, so wie man auch ab und an ordentlich ausschlafe­n muss! Dann aber kann es wieder weitergehe­n, darf der erste kühle Hauch an den Herbst erinnern, kann man sich ein wenig wehmütig vom Sommer verabschie­den, die dickeren Jacken wieder rausholen, die Schulhefte fürs neue Jahr kaufen, an die ersten Weihnachts­geschenke denken … Weil einem die Kälte nicht mehr schrecken kann, wenn man zumindest einmal die Hitze gefühlt hat. Weil die Hundstage so etwas wie die goldene Essenz des Sommers sind. Weil man nur dann Rilke zitieren kann: „Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.“

Sommer ist es, und ja: wie schön! Das Licht, die lauen Abende und luftigen Textilien, und von mir aus auch das Grillen und so. Aber darum muss man sich ja auch nicht gleich über alles freuen müssen, oder? Und die brütend heißen Hundstage sind ja nun grundsätzl­ich und nachweisli­ch eine Belastung für den Körper – aber erst recht gilt das für unsere Breiten.

Denn zum einen ist die hiesige Hitze gar nicht mit der in südlichen Ländern vergleichb­ar, an die und deren irgendwie zauberhaft lähmende Schwere sich sonnenblin­de Schwärmer trotzdem erinnert fühlen wollen. Und zum anderen stellt sich spätestens dann heraus, dass unser gesellscha­ftliches Leben eben so gar nicht auf eine solche Hitze ausgelegt ist. Alle schlafen in jenen kaum abkühlende­n Nächten schlechter und deutlich weniger – alle Werktätige­n bleiben aber in den üblichen Tagesrhyth­mus eingebunde­n. Nix da mit Zweiteilun­g des Tages, nix da mit Läden dicht und drei, vier Stunden Siesta zum kochenden Mittag, nix da mit sehr spätem Abendessen, halben Nächten im Freien – denn das Büro und der Laden wollen zu den üblichen Zeiten besetzt, die Pakete ausgeliefe­rt, die Gäste bedient sein. Wer also nicht allein schon durch die drückende Hitze seufzen und sich um seinen Kreislauf sorgen muss, der gerät spätestens durch die sonst normale, nun aber beschwerli­che Taktung des Lebens ins Schwitzen statt ins Schwelgen. Dazu muss man kein notorische­r Wetternörg­ler, sondern bloß ehrlich sein. Denn zu diesem Schwelgen: Was machen etwa Florentine­r in den heißesten Sommertage­n? Sie flüchten in kühlere Gefilde, nach Norden. Bloß wir im Norden denken, die Hitze auch noch „genießen“zu müssen. Kennen Sie Ulrich Seidls großartige­n Film „Hundstage“? Die heißesten Tage des Jahres: Es ist die Hölle.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany