Augsburger Allgemeine (Land West)
Unterm Pflaster liegt der Strand
Die Farben des Sommers? Warnwestenorange, Bauhelmgelb, Absperrbakenrotweiß, Baggerschaufelgrau, Schuttcontainergrün, Dixikloblau, Umleitungsschilderbraun, Teerschwarz. Baustellen prägen die Jahreszeit. Es gibt mehr davon als Biergärten und schattige Parkbänke zusammen. Wenn Ferien sind, wird geschuftet.
Baustellen bleiben ein ewiges Mysterium für den Außenstehenden. Ein jeder weiß ja jederzeit was (meint, etwas zu wissen), ein jeder mault und kommentiert und wundert sich auf seine Weise. Schon wieder! Haben sie das nicht erst aufgerissen? Hört das denn nie auf? So werden die nie fertig!
Leute, reibt euch nicht an den Baustellen. Blickt in die Gruben und Gräben und Löcher. Schaut zu, was dort geschieht. Sie suchen nach der Utopie. Sie graben nach dem Schatz. Sie presslufthämmern nach Beweisen für den schönsten aller Sommerstadtsätze: Unterm Pflaster liegt der Strand. Eine poetische, programmatische StadtguerillaParole. Nach den Zwischenstandsmeldungen von verschiedenen Baustellen, die wir eingeholt haben, sind die Arbeiter noch nicht fündig geworden. Sand ja – aber noch kein Strand. Wasserrohre ja – aber noch kein Meeressaum. Unterm Pflaster liegt der Strand? Schotter. Rohre. Kabelstränge. Rostige Muffen. Alter Beton. Aber sie graben weiter, reißen auf und reißen ab, schneiden in Straßendecken wie mit Messern in Lakritz.
Unterm dem Pflaster liegt der Strand: In dem Song von Schneewittchen müssten sich die Helden der Baustellen wiederfinden können. Heißt es doch da: Unter dem Pflaster / ja, da liegt der Strand,/komm reiß auch du / ein paar Steine aus dem Sand. Das Lied endet französisch: „Oui, au dessous du pavé est la plage.“Und sollte je Baustellenlärm uns stören: Lasst ihn klingen an diese Worte. Irgendwann werden wir alle fündig!