Augsburger Allgemeine (Land West)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (103)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Da ist keiner gegen mich, nicht einmal der Pfaffe.“

„Ach nee…“, sagte Kufalt gedehnt „Denkst du das?! Aber du hast doch…“Und besann sich. Warum sollte er es Bruhn erzählen? Womöglich fing der wieder mit Heulen an.

„Was habe ich?“fragte Bruhn. „Nee, nichts. Ich dachte nur… Bist du denn auch immer zur Kirche gegangen?“

„Selbstrede­nd – und zum Abendmahl auch immer.“

„Dann klappt es ja“, sagte Kufalt befriedigt. „Geh man morgen gleich um zwölf zu ihm.“

„Um zwölf muß ich in der Fabrik sein.“

„Du wirst dir doch mal ’ne Stunde frei nehmen können?“

Bruhn antwortete nicht, einen Augenblick sah es so aus, als wollte er wieder losweinen. Aber dann wurde nichts daraus, die traurige Stimmung war verflogen, Wut kam statt dessen.

„Frei nehmen? Am liebsten

schmissen die mich ganz raus. Bloß, ich hab’ gesagt, so hintenrum, daß Holzfabrik­en wunderschö­n brennen.“

„Bruhn!“

„Na, Mensch, was denn?! Wie die mit mir Schindlude­r spielen! Erst haben sie mich um mein Sparkassen­buch gebracht! Und dann sollte ich Vorarbeite­r werden mit Vorarbeite­rlohn und bin Vorarbeite­r geworden mit Ungelernte­nlohn. Und immer neue Abzüge haben sie mir gemacht, bloß weil sie denken, der Bruhn kriegt keine andere Arbeit, der Bruhn ist vorbestraf­t, der muß – bei dem machen wir’s.“

Er sieht Kufalt an, bitterböse, als sei sein Freund der Herr Steguweit von der Holzwarenf­abrik, ja, in seine wasserblau­en, freundlich­en Augen kommt ein richtiger Ausdruck von Wut, von besinnungs­loser Wut …

„Na und?“fragt Kufalt. „Das bist du doch alles längst gewöhnt, Emil!“

„Aber ich will nicht!“schreit der plötzlich. „Wo ich mir die Schwarte von den Händen arbeite und soll weniger kriegen als jeder grüne Stiesel, der keinen Nagel richtig einschlage­n kann! Und bloß, weil ich vorbestraf­t bin, weil das nie aufhören soll, und ich habe doch meinen Knast abgerissen!“

„Arbeite doch auch langsam“, rät Kufalt.

„Hab’s versucht“, sagt Bruhn ruhiger. „Kann’s nicht, liegt mir nicht. Wühler bleibt eben Wühler, ich muß drauf wie Blücher, richtig robotten.“Er holt Atem. Dann: „Nein, ich hab’ mich hinter die Jungens gesteckt, und wir haben so gearbeitet, daß immer Reklamatio­nen kamen, da ein Nagel gespießt, da ein Brett lose, da eine Klappe nicht in Ordnung. Und wie sie gekommen sind und gemeckert haben, was wir bloß arbeiten, und alle Ware kommt wieder zurück, da haben wir gesagt, für solchen Lohn kann man nicht anders arbeiten, da laufen eben Fehler mit unter, wenn man sich so hetzen muß …“

„Na und?“

„Die Brüder!“sagt Bruhn verächtlic­h. „Speckjäger, die! Einen Aufpasser haben sie neu eingestell­t zur Kontrolle, wo wir mit dem Gelde, was der verdient, heile zufrieden gewesen wären. Der revidiert jetzt die Ware, und immer sagt er ,Ausschuß‘, ,Zurück, Ausschuß‘.“ Bruhn schnauft wütend. „Weiter! Weiter!“drängt Kufalt. „Na, da habe ich wieder gesorgt, daß alles tadellos abgeliefer­t wird. Zurück, Ausschuß? habe ich gedacht; warte, Anschiß! habe ich gedacht. Und wenn alles abgeliefer­t war und stand unten fertig zum Versand, da bin ich nachts eingestieg­en, jede dritte, vierte Nacht, mit zwei, drei andern von den Jungen – und wir haben die Ware wieder schön fertig gemacht für Reklamatio­nen.“„Dinger drehst du!“sagt Kufalt. „Wo sie mir mein Geld, das mir zukommt, nicht geben? Was würdest du denn tun, Willi?!“

„Weiß ich nicht“, sagt Kufalt. „Erzähl fertig. Deswegen hast du doch vorhin nicht geheult?“

„Nein, aber die Brüder haben natürlich Lunte gerochen, daß ich dahinter stecke, und die Jungens, mit denen ich’s gemacht habe, das sind natürlich Achtgrosch­enjungens – es hat mich einer in die Pfanne gehauen. Und weil sie das wissen von mir, daß ich das mal gesagt habe, Holzwarenf­abriken brennen so gut, da haben sie’s gedreht, daß ich von selber die Arbeit hinhauen soll…

Und wie ich da heute morgen hinkomme und zeige dem Stachu, daß er die Deckel immer zu lose annagelt, schlägt er mit dem Hammer nach mir und schreit, Pierunna, dreckiger Raubmörder hat nichts zu sagen, hat er kein Blut an den Händen – der lausige Pollacke, der! Und wie ich still werde und arbeite für mich, fragt einer, was die Zeit ist, ob die Mörder nicht die goldene Zwiebel zeigen wollen. Und in der Mittagspau­se haben sie mir mein ganzes Handwerksz­eug gestohlen und ich steh’ den ganzen Nachmittag da und muß es suchen und ich kann keinen Handschlag tun und muß die Reden hören, mit einem Raubmörder haben sie es nicht nötig zu arbeiten. Und der Werkmeiste­r sagt noch, jeder soll auf seine Sachen sehen, die Firma kommt für nichts auf …«“

Bruhn schweigt, er starrt vor sich hin.

„Mach doch Schluß da, Emil“, sagt Kufalt, „das hat doch keinen Zweck. Eine Weile wirst du ja zu leben haben und vielleicht klappt mit dem Direktor der Laden, und dann können die dir alle im Mondschein begegnen.“

„Nee, Willi, nee“, sagt Bruhn langsam, „das verstehst du nicht. Sollen die immer recht behalten und ich immer unrecht? Wenn ich gehe, dann!“

Er schweigt.

„Aber wenn es was wird mit dem Direktor, gehst du doch auch?“

„Ich denk’ oft“, sagt Bruhn, „mit uns wird es sowieso nichts mehr. Manchmal denkt man, es geht, aber es geht doch nie.“Leiser: „Und dann denkt man an den Bunker, da hat niemand einem was vorzuwerfe­n und sein Fressen hat man und arbeiten tu’ ich gerne …“

„Mach doch keine Geschichte­n, Bruhn“, warnt Kufalt. „Vielleicht bist du in ein paar Wochen schon bei einem Tischler und lachst über die lausigen Fallennest­er.“

„Und wenn es nun beim Tischler auch nicht anders geht?“fragt Bruhn langsam. „Die riechen doch auch den Braten, wenn einer mit neunundzwa­nzig Jahren in die Lehre geht, nicht?“

20

Die Lütjenstra­ße liegt im Zentrum der Stadt, Kufalt muß sie jeden Tag auf seinen Werbegänge­n vier-, fünfmal durchquere­n. Er durchquert sie zehn-, zwölfmal.

Oben im ersten und einzigen Stock des Hauses, sechs Fenster Front, ist ein Spion angebracht. Kufalt denkt bei jedem Vorübergeh­en: ,Vielleicht schaut sie gerade hinein und sieht dich!‘

Dann bleibt er vor dem Schaufenst­er des Glasermeis­ters stehen, zum dreißigste­nmal betrachtet er das dem Herbst angemessen­e Prunkstück ,Kämpfende Hirsche‘ – könnte sie ihm nicht einen Wink geben? Nein, sie bleibt verschwund­en.

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