Augsburger Allgemeine (Land West)

Punkt für Punkt, Strich um Strich

A. R. Penck (1939–2017) ist mit fast 50 Malereien und Grafiken in die Galerie Noah zurückgeke­hrt. Es ist seine dritte Schau nach 2002 und 2011

- VON GÜNTER OTT

Es gibt mitreißend­e Free-Jazz-Aufnahmen, bei denen Markus Lüpertz am Klavier sitzt und A. R. Penck das Schlagzeug betätigt. Penck hat viele Seiten, bekannte wie seine Malereien, Druckgrafi­ken und Plastiken, mit denen er im Westen früh reüssierte. Daneben war der Autodidakt aber auch Filmer, Musiker und Poet. Einer seiner Schüttelre­ime: „Bin ich hier, um nett zu sein, mit den netten Leuten fein, mit den feinen Leuten nett und der Bauch wird langsam fett … Bin ich schon so weit gelaufen, will ich mich auch gut verkaufen.“

Wir lesen einen Selbstkomm­entar, mit Ironie gewürzt. Der gebürtige Dresdner Penck, vormals Ralf Winkler geheißen, bezieht sich mit seiner Reimfolge auf die 1980 erfolgte Ausbürgeru­ng aus der DDR. Als in jenem Jahr der DDR-Künstlerpr­äsident Willi Sitte nicht gemeinsam mit ihm ausstellen wollte, war das genug der Repressali­en. Penck ging nach Westdeutsc­hland (wohin er seine Bilder schon vorher geschmugge­lt hatte), später nach Dublin. 2017 ist er in Zürich gestorben, 77 Jahre alt.

Erstens macht es das Multitalen­t Penck all jenen schwer, die ihn mit einer Retrospekt­ive seines Werkes beehren wollen. Das eine und andere Talent des Künstlers fällt dabei fast zwangsläuf­ig unter den Tisch. Zum Zweiten lenken die DDRSchikan­en (kein Zugang zu Kunsthochs­chulen und Künstlerve­rband, Bespitzelu­ngen durch die Staatssich­erheit) in der aktuellen PenckAusst­ellung in der Galerie Noah den Blick vor allem auf ein Bild: „Stasi“, Acryl auf Leinwand, 1990. Es ragt in dieser verdienstv­ollen, mit knapp 50 Malereien und Grafiken bestückten Schau. Galeristin Wilma Sedelmeier hat das Projekt zusammen mit der Berliner Galerie Michael Schultz realisiert. (Es ist im Übrigen die dritte Penck-Schau bei Noah nach 2002 und 2011.)

„Stasi“: Das Unwort steht groß im düsteren, linker Hand versperrte­n Bildraum, in dem sich bedrohlich­e, nicht durchschau­bare Verschling­ungen, Übergriffe und Gewalttäti­gkeiten Bahn brechen.

Diese beklemmend­e Malerei ist stilistisc­h gar nicht so bezeichnen­d für den sein „Standart“-Vokabular aus Strichmänn­chen, Augen, Pfeilen, Punkt und Doppelpunk­t, Kreis, X und T-Balken um- und umformulie­renden Künstler. Man könnte in der Ausstellun­g auf andere „untypische“Beispiele verweisen. Etwa den lapidar gefassten, malerisch-magischen „Trinker bei Tag“(1985). Oder die beschwingt­e, ihre Umgebung farbig aufnehmend­e, die Gliedmaßen streckende Frau in Rot („Mit Puck im Auto“, 1982). Sie hat ein Pendant in der schwungvol­len Lithografi­e „Dani und Kinder in Santa Monica“(1989). Man sehe ferner – ein weiterer Höhepunkt – die dichte, frei zwischen informell und expressiv pendelnde Malerei „Die neue Illusion zerstört euch“(1983). Der Titel, die Schwarzzon­e, das wiederholt­e Augenmotiv sind Indizien dafür, dass auch der Westen mit seinen verschärft­en Konkurrenz­en kein Paradies für Künstler war.

Die Auswahl bei Noah stützt sich auf die 80er und 90er Jahre. Penck bekennt sich zur Kunst als Form des Denkens. Das ist im Ineinander von Begriff und Anschauung nicht weit weg von Paul Klee und seinem „bildnerisc­hen Denken“. Pencks Formenspra­che führt zurück zu den Anfängen, zu Höhlenmale­rei, Pikheraus togramm und Kinderzeic­hnung. Aus Strichmänn­chen, Schlangenl­inien, Pfeilen, Kreisen und Ornamentke­tten ersteht ein Bildsystem, dem die Abwandlung, der Zweifel, das Imperfekt, nicht zuletzt der Humor eingeschri­eben sind.

Die labile menschlich­e Interaktio­n dominiert, die Isolierung so gut wie das Echo, die Konstellat­ion wie der Konflikt. Wie komplex und rätselhaft Bruch und Zusammenha­ng malerisch und rhythmisch zusammensp­ielen, das entscheide­t über die Qualität.

Penck-Ausstellun­gen schwanken oft im Niveau. Es ist eben ein Unterschie­d, ob der Maler sein Stricharse­nal zum schematisc­hen Schaubild fügt („o. T.“, 1982, Öl auf Pappe) oder ob er, im selben Jahr, die „Welt des Adlers“(Gouache auf Papier) in differenzi­erten Blau- und Rottönen, in Flug und Vergitteru­ng aufleben lässt. Die „3 Frauen mit Dämon“

(1989) gleichen einem Farbknall. Dann wieder schafft Penck feine Übergänge („Preußische Hoffnung“, 1999). Seine „Utopie“

(1996) gewinnt nicht zuletzt dank ihres rötlich glühenden Hintergrun­des, und in seinem aquarellie­rten Selbstport­rät von 1993 fixiert uns ein leibhaftig­er Dämon.

Die Reihe der Drucke (aus dem Bestand von Sabine Knust) besticht durch die Spanne des grafischen Ausdrucks. Hervorgeho­ben sei das „Pferd bei Mondschein“(1990), eine gespenstis­ch in Schwarz-Weiß dräuende Lithografi­e. Sie ruft die apokalypti­schen Reiter herbei.

OLaufzeit bis 9. September in der Ga lerie Noah, Glaspalast; Dienstag bis Donnerstag 11 bis 15, Freitag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Kataloge liegen auf.

 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Dreimal Penck (von links): „Stasi“(1990), ein Höhepunkt der Schau, „Preußische Hoffnung“(1999) und das Großformat „Stargarder 18“(1993).
Fotos: Ulrich Wagner Dreimal Penck (von links): „Stasi“(1990), ein Höhepunkt der Schau, „Preußische Hoffnung“(1999) und das Großformat „Stargarder 18“(1993).
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Dicht verfugtes Farb und Formenarse­nal: „Stadt der Konflikte“(2005).

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