Augsburger Allgemeine (Land West)

Am Himmel herrscht Chaos – und das wird sich auch nicht mehr ändern

In diesem Jahr sind schon jetzt so viele Flüge ausgefalle­n oder zu spät gekommen wie noch nie. An dem Durcheinan­der sind nicht nur die Airlines schuld

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger allgemeine.de

Das Flugjahr 2018 gilt schon jetzt als Chaos-Jahr. Und das, obwohl es gerade erst in der zweiten Hälfte angekommen ist. Die Zahlen sind aus Sicht der Passagiere verheerend. So hat etwa die Fluggastre­chte-Plattform EUClaim ausgewerte­t, dass allein bis Ende Juli fast 20000 Flüge gestrichen worden sind – 9000 mehr als im gesamten vergangene­n Jahr. Ähnlich dramatisch ist es bei den Verspätung­en. Knapp 6000 Flieger landeten in den ersten sieben Monaten des Jahres mehr als drei Stunden zu spät, doppelt so viele wie 2017. Für Passagiere heißt das: Sie müssen sich auf Ärger, Stress und Probleme einstellen. Die Frage ist nur: Wie kommt das?

Vor Jahren galt Fliegen als die angenehmst­e Art zu reisen. Ein Gast kam am Flughafen an, checkte am Schalter ein, gab sein Gepäck auf, schlendert­e durch die Sicherheit­skontrolle und entspannte sich bis zum Abflug am Gate. Die Zeiten sind vorbei. Heute hat der Fluggast meist schon vorab im Internet eingecheck­t, das kleine Handgepäck­stück behält er bei sich, muss es dafür an der Sicherheit­skontrolle nach einer halben Ewigkeit Warterei fast komplett ausräumen. Am Gate stellt er fest, dass der Flieger Verspätung hat. Und wenn er endlich einsteigt, ist der Sitz noch warm vom Vorgänger.

Denn heute sind die Maschinen meist im Dauereinsa­tz. Der Grund: Es fliegen viel mehr Menschen als je zuvor. Die Deutsche Flugsicher­ung, die den Luftraum über der Bundesrepu­blik überwacht, vermeldet immer neue Rekordzahl­en. Und auch die Auslastung an den deutschen Flughäfen steigt und steigt und steigt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Warum auch? Fliegen ist wahnsinnig günstig. Oft billiger, als mit dem Zug oder dem Auto zu fahren. Die Folge: Die Airlines nutzen sämtliche zur Verfügung stehenden Flugzeuge und besetzen sie lückenlos. Reservemas­chinen gibt es praktisch keine mehr. Die Zeit, die ein Flugzeug am Boden verbringt, wird immer knapper. Geht dann etwas schief – sei es ein Gewitter auf dem ersten Flug des Tages, ein Problem mit der Technik oder eine verpatzte Sicherheit­skontrolle –, sitzen gleich hunderte Reisende fest. Umbuchunge­n scheitern, weil in anderen Fliegern keine Plätze mehr frei sind. Verspätete Maschinen verspäten sich noch mehr, weil sich ihr Zeitfenste­r zum Abheben geschlosse­n hat.

Weil außerdem die Konkurrenz unter den Airlines zunimmt, versuchen sie, sich gegenseiti­g bei den Preisen zu unterbiete­n. Die Besatzunge­n sind die Leidtragen­den des erbitterte­n Preiskampf­es. Also sind Piloten und Crew mit den Arbeitsbed­ingungen unzufriede­n und streiken. Wieder bleiben Maschinen am Boden und Passagiere zu Hause.

Das alles zeigt, wie komplex der Flugverkeh­r ist. Und dass er an seinen Kapazitäts­grenzen gelandet ist. Aber, und hier wird es für Verbrauche­r unbequem, es zeigt eben auch: Die Airlines sind an dem Durcheinan­der nicht alleine schuld. Jeder trägt dazu bei. Weil jeder möglichst billig und möglichst oft fliegen möchte. Nicht selten hängt etwa die Wahl des Urlaubsort­s davon ab, wohin es die günstigste­n Flüge gibt. Aber mit der Zahlungsbe­reitschaft muss auch die Erwartungs­haltung sinken. Wer einen Flug bucht, sollte Verspätung­en am besten gleich mit einplanen. Obwohl immer noch über 90 Prozent der Flugzeuge nicht nur abheben, sondern auch pünktlich an ihrem Ziel ankommen.

Und wer sich über das Verkehrsch­aos am Himmel ärgert, sollte sich auch die Frage stellen: Muss es wirklich immer der Flieger sein? Denn Fliegen ist ja nicht nur schon lange nicht mehr die angenehmst­e Art zu reisen, sondern auch die klimaschäd­lichste.

Wer wenig bezahlen will, darf nicht viel erwarten

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