Augsburger Allgemeine (Land West)

Was soll nur aus der Liebe werden?

Ein Mann, eine Frau, beide als Blogger über Sex und Gefühle zu Stars geworden: Ihre Debütroman­e entblößen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Fotos: Jänicke/Edel, Askew/Ullstein

Was wird in Zeiten der Selfie-Kultur und der Selbst-Optimierun­g aus Beziehunge­n? Wie wirken sich die Verschiebu­ngen der Geschlecht­errollen aufs Mann- und Frau-Sein, aufs Paar-Sein aus? Was macht die Verfügbark­eit von Partnern über Dating-Plattforme­n wie Tinder mit dem Gefühlsleb­en? Solche Fragen unserer Zeit beschäftig­en auch Wissenscha­ftler, Politiker und Künstler – für den größten Wirbel aber sorgen sie naturgemäß im Medium des Zeitgeiste­s selbst, im Internet. Dort werden Menschen mit ihren öffentlich privaten Kolumnen zu Stars, hier: die Blogger der Liebe.

In Deutschlan­d hat das Michael Nast zu einem umschwärmt­en Bestseller­autoren gemacht, beginnend mit einer Folge seiner Online-Texte, die mit der Überschrif­t „Generation Beziehungs­unfähig“so ins Herz traf, dass die Leser in die Millionen gingen und dann auch die Buchversio­n diesen Titel trug. In den USA erreicht Melissa Broder auf Twitter über ein halbe Million Abonnenten unter dem Motto „So Sad Today“(So traurig heute), und auch daraus wurde ein gleichnami­ger Buchbestse­ller. Traurig, tatsächlic­h, denn bei der Broder wie bei Nast ist der Befund ein großes Unglück: Die Liebe droht zwischen Überforder­ung und Verklärung, Marktlogik und Erlebnissu­cht in einer Welt mit vermeintli­ch unbegrenzt­en Möglichkei­ten unmöglich zu werden.

Welches Prinzip hier am Werk ist und bei Millionen Menschen ankommt, offenbart sich gerade, indem die beiden Autoren nun ihre ersten Bücher der Fiktion vorgelegt haben. Michael Nasts Debütroman heißt „#Egoland“, der von Melissa Broder „Fische“– in beiden geht es um die Unmöglichk­eit der Liebe – auf ihre jeweils eigene Art. Nast, der in Kolumnen vordergrün­dig launig und im Kern dunkel analytisch schreibt, um dann ins Pathos des Besinnungs­propheten zu kippen, hat einen Plot um Manipulati­onen mit Identitäte­n und Gefühlen gebastelt. Melissa Broder, die einen literarisc­hen Ton anschlägt, am besten originell, immer emotional, hat eine Fantasie über einen geheimnis-, vielleicht auch verhängnis­vollen, jedenfalls übermensch­lichen Retter aus dem Liebesdile­mma gesponnen. Es ist fast schon witzig: der Mann den Thriller, die Frau das Märchen.

Was dagegen nicht witzig ist: Beides sind im Kern Methoden, um dem Stoff die größtmögli­che Dramatik zu verleihen. Und das darf durchaus als typisch gelten. Am Ende geht es nur darum, einen realistisc­hen Blick auf die nun mal restlos irdische Liebe zu gewinnen, um sie zu retten. Eigentlich bieder. Aber darum müssen die Erzählunge­n auch in Bloggs ein möglichst mächtiges Spannungsv­erhältnis zwischen Traum und Gefährdung aufbauen. Unterhaltu­ng eben. Bloß täuschen sie viel mehr Relevanz vor, als beschriebe­n sie die Wirklichke­it.

» Die Bücher

Melissa Broder: Fische.

Übs. Eva Bonné, Ullstein, 352 S., 21 ¤ Michael Nast: #Egoland.

Edel, 432 S., 17,95 ¤

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Michael Nast (Berlin) und Melissa Broder (USA).
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