Augsburger Allgemeine (Land West)

„Als Fußball Profi kannst du nicht du selbst sein“

Martin Hinteregge­r gibt sich im Trainingsl­ager im Ötztal nachdenkli­ch. Der Abwehrspie­ler spricht über Fußball an der Basis und seinen Verzicht auf das Smartphone

- AUS TIROL BERICHTET JOHANNES GRAF SpVgg Langerring­en – FC Haunstette­n 1:3 Mesopotami­en SV – TG Viktoria 0:2 TSV Haunstette­n – Türkgücü Königsbrun­n n. E. 4:6 FC Königsbrun­n – Kissinger SC 1:2

Wenn Martin Hinteregge­r als CoTrainer die E-Jugendspie­ler des TSV Haunstette­n beobachtet, fühlt er sich in eine andere Zeit versetzt. Als er als Bub dem Ball nachjagte. Als er aus purem Vergnügen kickte und sich alles um das Spiel an sich drehte. Inzwischen ist Hinteregge­r 25 Jahre alt, er vertritt in der Nationalma­nnschaft Österreich­s Farben und verdient mit dem Fußballspi­elen viel Geld. Hinteregge­r ist Teil einer Branche, in der in jüngster Zeit dieses Spiel an sich immer stärker verdrängt wird. Von unbegreifl­ichen Ablösesumm­en. Von ausufernde­r Berichters­tattung über Randthemen. Von TV-Rechten in Milliarden­höhe. Von einer Selbstinsz­enierung der Profis in sozialen Netzwerken.

„Es geht in die extrem falsche Richtung“, betont Hinteregge­r. „Als Fußballpro­fi kannst du nicht du selbst sein.“Er erinnert sich an seine Erlebnisse auf dem Bolzplatz, an die Unbeschwer­theit seiner Haunstette­r Jungs und sagt mit Blick auf die jüngsten Auswüchse: „Vielleicht sollten sich die obersten Bosse das einmal anschauen. Dann wissen sie auch wieder, was Fußball ist.“

In Längenfeld bereitet sich der FC Augsburg auf die kommende Spielzeit vor. Hinteregge­r sitzt im Ötztal in der Lobby eines Wellnessho­tels. Wohler würde sich der gebürtige Kärntner wohl draußen fühlen, auf einer der Almen, die vom Tal aus zu sehen sind. Der Österreich­er steht dafür, seine Meinung zu sagen. Erfrischen­d offen erzählt er auch diesmal von Missstände­n seiner Branche. Er wirkt nachdenkli­ch. Ernst. Das Thema beschäftig­t ihn. Für ihn wäre es das Schönste, wenn der Fußballer noch Fußballer sein könnte, sagt er. „Wenn man ehrlich seine Meinung sagen könnte, ohne dass das gleich als Kritik aufgefasst wird“, sagt Hinteregge­r.

An sich selbst hat er über die Jahre Veränderun­gen wahrgenomm­en. Auch wenn er das gar nicht wollte. Er sei ein anderer Mensch geworden. Unter anderem trete er öffentlich wesentlich zurückhalt­ender auf, berichtet Hinteregge­r. Seine Meinung äußert er dennoch. Anfang Mai kritisiert­e er nach der von Per Mertesacke­r angestoßen­en Debatte um Druck im Profifußba­ll, niemand dürfe Schwächen zeigen, deshalb werde das Thema totgeschwi­egen. „Wer aber im Profifußba­ll keinen Druck verspürt, ist ein sehr einmaliger Spieler“, sagte Hinteregge­r damals.

Zudem zeigte er sich vom Verhalten junger Spieler verwundert, die sich permanent in sozialen Netzwerken bewegten, stets auf der Suche nach öffentlich­er Anerkennun­g. Hinteregge­r wurde deutlich: „Wer am Anfang seiner Karriere aber zu viel öffentlich­e Anerkennun­g bekommt, glaubt schnell, dass er schon etwas erreicht hat – obwohl dem nicht so ist. Nach dem ersten Hype geht die Leistungsk­urve oft schnell nach unten. Das liegt aber nicht am Sportliche­n, sondern am Mentalen.“Er selbst sucht nach eigenen Wegen, der Schnellleb­igkeit des Fußballs zu entkommen. Seine Hoffnung: Irgendwann findet er zu seinem Ursprung zurück, zu dem, was er sein will.

Wie ernst ihm diese Sache ist, unterstrei­cht er dadurch, dass er sich von seinem Smartphone getrennt hat und nun auf ein Modell aus dem Jahr 2008 zurückgrei­ft. Ohne Onlineverb­indung, ohne WhatsApp, ohne Instagram oder Facebook. Sogar aus der FCA-Spieler-WhatsApp-Gruppe ist er ausgestieg­en. Wenn er Nachrichte­n verschickt, dann per SMS. Mit seiner reduzierte­n Mediennutz­ung hat der Österreich­er gute Erfahrunge­n gemacht, viel mehr Zeit habe er jetzt. Außerdem legt er mehr Wert auf direkten Kontakt, er trifft sich häufiger mit Freunden. „Manchmal gehe ich vorbei und klingle einfach“, erzählt Hinteregge­r und schiebt eine rhetorisch­e Frage hinterher. „Wer macht das heutzutage noch?“

Privat wirft Hinteregge­r Ballast ab, ebenso konzentrie­rt er sich sportlich auf das Wesentlich­e. Die jüngsten Wechselger­üchte lächelt er weg, es sei nichts dran, versichert er. Unter anderem berichtete­n englische Medien, Premier-LeagueTeil­nehmer Westham United würde rund 15 Millionen Euro für ihn bezahlen. Hinteregge­r hingegen arbeitet an seiner Rückkehr ins Mannschaft­straining. Nach anhaltende­n Problemen in den Sprunggele­nken – er berichtet von insgesamt sechs Monaten mit Schmerzen in der vergangene­n Spielzeit – will er endlich wieder befreit trainieren und spielen.

Wie damals auf dem Bolzplatz. TOTO POKAL VOM MITTWOCH

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany