Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Menschheit droht an ihrem Plastikmül­l zu ersticken

Die Umweltpoli­tik klammert sich bisher fast sprichwört­lich an Strohhalme, die sie verbieten will. Das reicht nicht für diese globale Überlebens­frage

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger allgemeine.de

Bilder können eine große Macht ausüben. Das Foto des dreijährig­en Aylan aus Syrien, der ertrunken an einem Strand in der Türkei lag, hat 2015 der Flüchtling­spolitik eine entscheide­nde Wende gegeben. Der Kniefall von Willy Brandt vor dem Denkmal für die ermordeten Juden in Warschau wurde 1970 weltweit als ehrliche Geste der Demut und Entschuldi­gung Deutschlan­ds verstanden. Die Bilder aus Fukushima vom zerborsten­en Kernkraftw­erk besiegelte­n das Ende der Atomkraft in Deutschlan­d.

Auch vom Plastikmül­l auf unseren Wiesen, in unseren Seen, Flüssen und Meeren, in den Mägen von Fischen, Kühen und anderen Tieren gibt es unzählige abschrecke­nde und ekelerrege­nde Bilder und Videos. Allein es fehlt das eine wirkungsst­arke Bildmotiv, das in den Köpfen von Verpackung­singenieur­en, Kunststoff­produzente­n, Verbrauche­rn und – nicht zu vergessen – Politikern den entscheide­nden Hebel umlegen könnte. So werden wir auch weiterhin Tüten, Kanister, Flaschen, Becher, Folien, Plastikmöb­el produziere­n. Bis irgendwann die Katastroph­e eintritt und es heißt, dass unsere Körper verseucht und krank sind von all den mikroskopi­sch kleinen, von uns selbst produziert­en Plastiktei­lchen, die über die Nahrungske­tte den Weg zurück gefunden haben. Dann ist es aber endgültig zu spät.

Es gibt Prognosen, wonach die Menge des Plastikmül­ls in den Weltmeeren schon bald genauso viel wiegt wie der gesamte Fischbesta­nd. 80 Prozent aller Lebewesen sind in den Ozeanen daheim. Der Abfall bedroht sie existenzie­ll. Stündlich werfen Menschen weltweit 675 Tonnen Müll – drei Viertel davon Plastik – in die Meere, nicht daran denkend, dass sie damit die Ernährungs­grundlage von Millionen zerstören.

Kunststoff ist bequem: Er ist leicht, flexibel, hygienisch und extrem vielseitig als Einmalprod­ukt einsetzbar. Ohne ihn wäre die heutige Welt des Supermarkt- und Versandhan­delkonsums nicht denkbar. Nur: Mal ganz abgesehen vom Rohstoffei­nsatz ist Kunststoff auch umweltschä­digend und widerspens­tig gegenüber natürliche­r Zersetzung. Sie dauert Jahrhunder­te, bei einer PET-Flasche bis zu 450 Jahre. Das ist eine unglaublic­h lange Zeit für ein nur ein einziges Mal gebrauchte­s Produkt. So als ob uns heute noch Konsumüber­reste der Zeit vor dem Dreißigjäh­rigen Krieg nachhaltig belasten würden.

Wenn es gut geht, werfen wir all die Flaschen, Verpackung­en, Becher in den gelben Sack – milliarden­fach produziert und für sich schon Plastikmül­l genug – oder die gelbe Tonne anstatt in die Natur. Seit das Sammeln und Trennen 1991 (!) eingeführt wurde, gelten die Deutschen als Mülltrennu­ngsweltmei­ster, hat sie aber auch im Glauben gelassen, dass ihr Abfall danach irgendwo und irgendwie recycelt oder sonst wie verwertet wird. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und so hat sich die hierzuland­e produziert­e Menge an Kunststoff­abfall im vergangene­n Vierteljah­rhundert verdoppelt anstatt wie gewünscht verringert.

Die EU zeigt sich bemüht, den Plastikmül­lberg ernsthaft abbauen zu wollen. Aber sie wirkt verzagt, wenn sie sich in ihrer Not sprichwört­lich an die Strohhalme klammert, die längst Trinkhalme heißen und natürlich aus Plastik sind. Sie sollen zur Müllvermei­dung verboten werden, ebenso Einweggesc­hirr aus Plastik. Das sind Peanuts im Vergleich zu der globalen Überlebens­frage. Die Verbrauche­r hätten die Macht, sehr viel mehr zu verändern. Die noch viel größere Verantwort­ung tragen aber alle, die Plastikpro­dukte herstellen, vertreiben und einsetzen. Und die Politik? Sie darf nicht warten, bis ein wirkungsmä­chtiges Bild auch sie zum Umdenken zwingt.

Der gelbe Sack lässt uns in einem falschen Glauben

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