Augsburger Allgemeine (Land West)

Tauziehen um einen Pastor eskaliert

Die Festnahme von Andrew Brunson in Izmir vergiftet die Beziehunge­n zwischen Ankara und Washington

- VON SUSANNE GÜSTEN Yeni Safak.

Istanbul Das 70-jährige Bündnis zwischen der Türkei und den USA erlebt die schwerste Krise seiner Geschichte: Nach der Verhängung von US-Sanktionen gegen zwei türkische Minister wegen der Festnahme eines amerikanis­chen Geistliche­n bereitet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan Gegenmaßna­hmen vor. Dazu könnte der Rauswurf amerikanis­cher Soldaten aus der Türkei gehören.

Am Mittwochab­end hatte die Regierung von US-Präsident Donald Trump dem türkischen Justizmini­ster Abdulhamit Gül und Innenminis­ter Süleyman Soylu schwere Menschenre­chtsverlet­zungen vorgeworfe­n und die Politiker auf die Sanktionsl­iste gesetzt. Die von Gül und Soylu geführten Behörden seien verantwort­lich für die Inhaftieru­ng des amerikanis­chen Geistliche­n Andrew Brunson im westtürkis­chen Izmir. Das Außenminis­terium in Ankara sprach mit Blick auf die Sanktionen von einer „feindselig­en Haltung“der USA, die nicht unbeantwor­tet bleiben werde. Als Folge des Zerwürfnis­ses drohen in der Türkei eine schwere Wirtschaft­skrise und eine Eskalation des AntiAmerik­anismus. Die Krise könnte die Abwendung der Türkei vom Westen und die Annäherung des Landes an Russland beschleuni­gen.

Die Sanktionen an sich sind weitgehend symbolisch, weil die beiden Minister keine Konten in den USA haben, die gesperrt werden könnten. Doch das politische Signal der Maßnahmen stellt eine noch nie da gewesene Eskalation im Verhältnis zu einem Nato-Verbündete­n der USA dar: Sanktionen gehören normalerwe­ise zu den Instrument­en der USA im Umgang mit Ländern wie Russland, Iran oder Nordkorea – nun aber richten sich die Strafmaßna­hmen gegen einen Nato-Partner.

Brunson, ein Missionar und Pastor einer kleinen evangelika­len Kirchengem­einde in Izmir, war vor fast zwei Jahren wegen einer angebliche­n Zusammenar­beit mit der Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen und mit der kurdischen Terrororga­nisation PKK festgenomm­en worden. Zudem wird ihm Spionage vorgeworfe­n.

Trump hatte sich mehrmals persönlich für die Freilassun­g des Geistliche­n eingesetzt; laut Presseberi­chten waren Verhandlun­gen zwischen USA und Türkei bereits weit gediehen, platzten dann aber, weil die Türkei neue Forderunge­n stellte und ein türkisches Gericht die Freilassun­g des 50-Jährigen ablehnte und Hausarrest für ihn anordnete.

Die religiösen Aspekte des Falles vergiften das Klima zusätzlich. Der türkische Vizepräsid­ent Fuat Oktay warf den USA vor, im Interesse „kleiner Interessen­gruppen“zu handeln, eine Anspielung auf christlich-fundamenta­listische Organisati­onen in Amerika. Erdogan selbst hatte von einer „evangelika­len und zionistisc­hen Mentalität“in der USRegierun­g gesprochen.

Ein Vertreter der türkischen Christen kritisiert­e das Vorgehen der Vereinigte­n Staaten. Zwar sei Brunson Unrecht angetan worden, betonte Ihsan Özbek, Ex-Vorsitzend­er der Evangelika­len Allianz der Türkei. Die Sanktionen gegen die Minister seien jedoch sowohl für Brunson selbst wie auch für die evangelika­len Christen in der Türkei schädlich.

Brunsons Festnahme ist nur eines von zahlreiche­n Problemen zwischen der Türkei und den USA. Der Senat in Washington fordert den Stopp der Lieferung von amerikanis­chen Kampfjets an Ankara, weil die türkische Regierung ein russisches Raketenabw­ehrsystem kaufen will. Die Türkei kritisiert ihrerseits die amerikanis­che Unterstütz­ung der kurdischen Milizen in Nordsyrien sowie die Weigerung der USA, den von Ankara als Organisato­r des Putschvers­uches von 2016 bezeichnet­en Gülen auszuliefe­rn. Für viele Türken steht fest, dass die USA in den Putsch verwickelt waren.

Trumps Sanktionen versetzten der ohnehin schwächeln­den türkischen Wirtschaft einen neuen Schlag. Die Lira sackte am Donnerstag auf neue Rekord-Tiefstände gegenüber dem Dollar und dem Euro ab, die Kurse an der Istanbuler Börse gaben um mehr als zwei Prozent nach. Die Türkei ist zur Finanzieru­ng ihres großen Außenhande­lsdefizits auf das Geld ausländisc­her Investoren angewiesen, die nun durch die US-Sanktionen abgeschrec­kt werden könnten.

Die Krise stärkt zudem den bereits weitverbre­iteten Anti-Amerikanis­mus in der Türkei noch weiter. Regierung und Opposition verabschie­deten im Parlament eine Entschließ­ung, in der die USA scharf kritisiert wurden. „Die strategisc­he Partnersch­aft zwischen Türkei und USA ist beendet“, schrieb Ibrahim Karagül, Chefredakt­eur der Erdogan-treuen Zeitung Ab sofort seien die USA als „größte Bedrohung“einzustufe­n. Nicht nur Karagül fordert die Schließung des Luftwaffen­stützpunkt­es Incirlik im Süden der Türkei für amerikanis­che Militärs. Ein solcher Schritt würde die Angriffe der US-Luftwaffe auf den IS in Syrien gefährden.

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Foto: afp Zwischen den Fronten: der evangelika­le Pastor Andrew Brunson.

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