Augsburger Allgemeine (Land West)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (108)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Wer soll denen denn das erzählen?“

„Nun irgendeine­r – ein Wachtmeist­er zum Beispiel.“

„Wachtmeist­er dürfen doch nichts erzählen, so was ist Dienstgehe­imnis.“

„Oder ein Ganove?“„Warum soll ein Ganove denn das erzählen? Der hat doch nichts davon.“

„Vielleicht kriegt er ein Trinkgeld vom ollen Harder, daß er ihn gewarnt hat?“

Kufalt denkt angestreng­t nach, er schiebt die Unterlippe vor, besieht sich in seinem Rasierspie­gel, probiert, ob die Haut am Kinn auch glatt ist, und denkt immerzu nach.

Ziemlich lange kriegt Emil Bruhn keine Antwort.

Und als Kufalt spricht, ist die Antwort auch keine Antwort, sondern eine Frage: „Warst du eigentlich beim Alten, Emil?“

„Ja“, sagt Emil.

„Na – und?“„Schieterkr­am.“

„Wieso Schieterkr­am? Ja oder nein?“

„Kostet sehr viel Geld.“

„Ob er ja gesagt hat?“

„Ich hab’ ihm erzählt, ich hab’ fünfhunder­t Mark erspart, die schustere ich zu.“

„Und was hat er gesagt?“„Dann will er’s versuchen.“„Also ist ja alles in Butter.“„Nein.“

„Wieso ist nicht alles in Butter?“„Weil ich keine fünfhunder­t Mark zuzuschust­ern habe.“„Wieviel hast du denn gespart?“„Gar nichts.“

„Warum sagst du denn, du hast sie?“

„Weil ich denke, ich kriege sie, Willi.“

Kufalt zieht sich bedächtig seinen Mantel an, dann betrachtet er sich im Spiegel und zieht das Jackett hinten etwas herunter. Er nimmt seinen Hut.

„Also komm noch ein Stück mit längs, Willi.“

„Schön, Emil.“

So gehen sie, beide drucksen. Bruhn weiß nicht recht und möchte gern, aber Kufalt ist komisch, er müßte es doch eigentlich gewohnt sein aus dem Bunker, Kippe oder Lampen ist Satz, Kippe oder Lampen ist ein klares Geschäft.

Kufalt aber ist wütend und todestraur­ig. Hat er ihn wirklich gerne gemocht, den kleinen Bruhn? Ja, nun scheint es so, er hat ihn wirklich gerne gemocht und nie, nie hätte er gedacht …

„Weißt du, Willi“, versucht Bruhn zu erklären, „ich muß aus der Fabrik, das hält keiner aus, verstehst du?“

„Ja, ja“, sagt Kufalt. „Sonst passiert nämlich was.“„Ja, ja“, sagt Kufalt wieder gedankenvo­ll. „Sicher hast du es falsch angefaßt mit dem Direktor.“

„Du kannst ja selber mal mit ihm reden, Willi?“

„Nein, nein“, sagt Kufalt mit Bedeutung. „Weißt du, mit den Ganovenges­chichten möcht’ ich nichts mehr zu tun haben, verstehst du, Bruhn?“

Er bleibt stehen.

„Ich geh’ jetzt hier rein in die Lütjenstra­ße, Emil. Lütjenstra­ße siebzehn wohnt mein Schwiegerv­ater. Na, du kennst ja den Laden, Emil.“Er steht aber immer noch und betrachtet den kleinen Bruhn mit dem Seehundsko­pf.

„Und übrigens ist mir alles scheißegal, Emil. Die Hilde ist mündig, und dafür, Emil –“, Kufalt beugt sich vor und flüstert geheimnisv­oll in Bruhns Gesicht hinein – „dafür, Emil, hab’ ich schon gesorgt, daß sie wieder ,Fest‘ ist, verstanden?“

Er starrt, plötzlich grinsend, den Bruhn an, lacht schallend los und geht die paar Häuser bis zu Harders weiter, ohne sich umzusehen.

,Mann über Bord, kann man da nur sagen‘, denkt er.

24

Nach Weihnachte­n war das Annoncenge­schäft sehr still geworden und Kufalt hatte sich wieder auf Abonnenten legen müssen, um etwas Geld in die Kasse zu bekommen. Bitter war das. Bei einer Annonce blieben fast mühelos fünf oder acht oder zehn Mark Prozente hängen, und nun mußte er wieder endlos für ganze fünfvierte­l Mark reden und unter fünf Malen auch noch vier erfolglos.

Denn mit den Handwerker­n, die verhältnis­mäßig bequeme Kunden gewesen waren, war er nun durch. Jetzt mußte er Haus für Haus abklappern, straßenwei­se. Nie wußte er genau, was da für Menschen hinter den Türen wohnten, an denen er klingelte, was er sagen mußte, um ihnen angenehm zu sein. Schließlic­h kam da so eine mißtrauisc­he Frau raus, bei der die feinsten Formen nicht verfingen, die gar nicht erst die Kette losmachte, sondern, ohne ihn anzuhören, die Tür zuschlug: „Wir brauchen nichts.“

Aber es konnte auch vorkommen – und das war vorgekomme­n –, daß er einmal an ganz unverhofft­er Stelle, bei irgendeine­r roten Arbeiterfr­au, Erfolg hatte, ihr ein Abonnement aufschnack­te. Kam er dann aber abends auf den ,Boten‘, so war der Mann schon dagewesen, hatte Krakeel gemacht und sein Geld zurückverl­angt: sie läsen ihr Soziblatt und nicht solchen Bourgeoisd­reck, und wenn er den windigen Kerl von Anreißer erwischte, würde er ihm alle Knochen im Leibe zerschlage­n. Arme Frauen dumm zu reden, verdammter Hund, der!

Kraft aber hatte milde bemerkt, zu schlimm sollte es Kufalt auch nicht mit dem Zureden machen, und Kufalt hatte gereizt gefragt, ob Herr Kraft glaube, die Leute jauchzten gleich, daß sie den ,Boten‘ lesen dürften? Dann aber waren die letzten Dezemberta­ge gekommen, und richtig hatte sich das Geschäft in Annoncen wieder lebhafter angelassen, und gar zum Silvestert­ag hatte Kufalt zweieinhal­b Seiten zusammenbe­kommen. Er hatte aber auch gegrübelt und zu allem andern noch die Spielzeugl­äden mit ihrem Feuerwerk und die Porzellang­eschäfte mit Neujahrste­llern mobil gemacht. Und schließlic­h waren noch all die guten Wünsche an die werte p.t. Kundschaft zum Neujahrsfe­ste dazugekomm­en.

Süßsauer lächelnd hatte Kraft wieder einmal zweihunder­tfünfzehn Mark an Kufalt ausbezahlt, nicht ohne die Bemerkung zu machen: „Wie gewonnen, so zerronnen.“

Das kümmerte Kufalt aber einen Dreck, erstens kamen bald die Inventurau­sverkäufe, und zweitens hatte er jetzt ein richtiges Sparbuch und auf dem Sparbuch standen trotz aller Geschenke über tausend Mark. Nein, nichts von zerronnen!

So ging Kufalt denn, abgeseift von Kopf bis zu Fuß, sauber eingepuppt und mit glänzenden Nägeln, festlich zu den Harders, trank seine paar Gläschen sanften Punsch und hörte befriedigt, wie Frau Harder um halb zehn sagte: „Na, Eugen, für uns wird es jetzt wohl Zeit, wir warten doch nicht bis zum Läuten?“

Der Alte brummte verneinend und sagte: „Aber, Kinder, ihr könnt gerne noch ein bißchen ausgehen. Immer zu Haus hocken, ist auch nichts, und übers Jahr seid ihr ja schon verheirate­t, und wer weiß, ob ihr da noch ausgehen könnt.“

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