Augsburger Allgemeine (Land West)

Ursulas Bruder sucht die Wahrheit

Michael Herrmann erhält Schmerzens­geld vom Entführer seiner Schwester. Doch seine Zweifel bleiben. Und der verurteilt­e Täter stellt sich in einem Brief als Justizopfe­r dar

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg Michael Herrmann wird an diesem Donnerstag 55. Doch sein Geburtstag steht im Schatten des Todes seiner Schwester. Bis zuletzt hatte es noch die Hoffnung gegeben, dass er an diesem Tag mehr Klarheit über die Entführung von Ursula Herrmann bekommen wird. Diese Hoffnung zerfällt innerhalb von eineinhalb Minuten.

Um 12.30 Uhr spricht Richter Harald Meyer nach zwei Jahren Zivilproze­ss das Urteil: Michael Herrmann erhält vom verurteilt­en Entführer seiner Schwester 7000 Euro Schmerzens­geld. Doch was wie ein Erfolg aussieht, ist für den Bruder eine bittere Enttäuschu­ng. Denn er hatte den Entführer nicht nur verklagt, um Geld zu bekommen – Mazurek hat keines. Michael Herrmann wollte, dass sich noch einmal ein Gericht intensiv mit drängenden Fragen im Fall Ursula Herrmann befasst. Er wollte überzeugen­de Argumente hören, dass mit Werner Mazurek, 68, der wirkliche Täter im Gefängnis sitzt. Denn Herrmann hat Zweifel.

Diese Wünsche sind nicht in Erfüllung gegangen. Mit dem Urteil bestätigt das Landgerich­t Augsburg Werner Mazureks Schuld. Ursulas Bruder hatte gehofft, dass das Gericht die Beweislage ebenso dünn einschätzt wie er und seine Klage mit der Begründung abweist, Mazurek sei gar nicht der Täter.

Und so bleiben auch 37 Jahre nach dem Tod seiner Schwester nagende Zweifel bei Michael Herrmann. Er war 19, als es geschah. Am 15. September 1981, dem ersten Schultag nach den Sommerferi­en, besuchte die zehn Jahre alte Ursula am späten Nachmittag die Turnstunde und aß dann bei ihrer Tante in Schondorf am Ammersee zu Abend. Gegen 19.15 Uhr machte sich das Mädchen mit seinem roten Fahrrad auf den Heimweg. Durch das Waldgebiet „Weingarten“sind es nur zwei Kilometer bis zum Elternhaus in Eching. Doch Ursula kam nie dort an.

Entführer lauerten dem Mädchen auf. Sie betäubten es und brachten es zu einer Lichtung im dichten Fichtenwal­d. Dort steckten sie Ursula in eine eigens dafür gebaute Gefängnisk­iste und vergruben die Kiste im Boden. In dem Verlies waren Essen und Getränke, Wolldecken, ein Toilettene­imer, ein Jogginganz­ug. Ein Transistor­radio und eine Glühbirne waren an eine Autobatter­ie angeschlos­sen. Die Entführer hatten auch Lesestoff in die Kiste gepackt: Comic-Hefte wie „Clever & Smart“und Groschenro­mane wie „Am Marterpfah­l der Irokesen“. Sogar ein Lüftungsro­hr war eingebaut. Doch das Mädchen erstickte in der Kiste.

Erst gut 28 Jahre später verurteilt­e das Augsburger Schwurgeri­cht den bärtigen Hünen Werner Mazurek nach einem aufwendige­n Indizienpr­ozess zu einer lebenslang­en Haft- strafe wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs mit Todesfolge. Mazurek bestritt die Tat. Doch das Urteil wurde rechtskräf­tig.

Die Hauptindiz­ien des Strafurtei­ls waren: ein Tonbandger­ät Grundig TK 248, das bei Mazurek gefunden worden war und mit dem die Erpressera­nrufe bei den Eltern angefertig­t worden sein sollen. Und die Aussage eines Alkoholike­rs, er habe in Mazureks Auftrag ein Loch im Wald gegraben. Beides war schon im Strafurtei­l wacklig. Eine Phonetik-Gutachteri­n bezeichnet­e es als „wahrschein­lich“, dass mit diesem Grundig-Gerät die Erpressera­nrufe hergestell­t wurden. Das rangiert auf einer sechsstufi­gen Experten-Skala knapp über „möglich“und drei Stufen entfernt von „mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit“. Der Alkoholike­r zog seine Aussage, von der es nur das Gedächtnis­protokoll eines Polizisten gibt, später zurück. Trotzdem ist das Zivilgeric­ht der Ansicht, dass die Kollegen des Strafgeric­hts ein richtiges Urteil gesprochen haben. Michael Herrmann ist mittlerwei­le eher vom Gegenteil überzeugt: „Vieles spricht dafür, dass gar kein Tonbandger­ät im Spiel war und dass ein Unschuldig­er seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt.“

Auch der verurteilt­e Entführer beteuert weiterhin, dass er unschuldig sei. In einem Brief an das Gericht, der unserer Zeitung vorliegt, schreibt Werner Mazurek, dass er nichts mit Ursulas Entführung und dem Tod des Mädchens zu tun zu habe. Das hatte er bereits 2009 zum Auftakt des Strafproze­sses gesagt. Das fragliche Tonbandger­ät habe er erst 2007 auf einem Flohmarkt in Beverungen gekauft. Mazurek stellt sich in dem Schreiben auf eine Stufe mit Justizopfe­rn wie Gustl Mollath.

Vor gut zwei Jahren hatte Michael Herrmann gesagt, er wolle jene „innere Ruhe finden“, die er vor 2008, also vor der Verhaftung Mazureks, hatte. Doch davon ist er weit entfernt. Er und sein Anwalt Joachim Feller setzen nun darauf, dass „Privatleut­e“weiter recherchie­ren. Und dass Werner Mazureks Anwalt Walter Rubach mit seiner Berufung beim Oberlandes­gericht München Erfolg hat. Dann ließe sich auch leichter verschmerz­en, dass das Gericht Michael Herrmann fast zwei Drittel der Prozesskos­ten aufgebrumm­t hat.

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Archivfoto: dpa Ursula Herrmanns Bruder Michael nach dem Urteil enttäuscht. ist

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