Augsburger Allgemeine (Land West)

An der Schranke vorbei in den Tod

Ein 14-Jähriger wird an einem Bahnüberga­ng in Schrobenha­usen von einem Zug erfasst und stirbt vor den Augen seines Zwillingsb­ruders. Wie konnte das passieren?

- VON MICHAEL BÖHM UND JENS REITLINGER

Schrobenha­usen War es die Ungeduld eines Jungen, der bei hochsommer­licher Hitze möglichst schnell ins Freibad wollte? War es die Mutprobe oder die Gedankenlo­sigkeit eines Pubertiere­nden, die tödlich endete? Oder war es nur eine Frage der Zeit, bis an diesem Bahnüberga­ng etwas Schlimmes passiert? Um all diese Fragen geht es in Schrobenha­usen nach dem tragischen Zugunglück, bei dem am Mittwochna­chmittag ein 14-Jähriger ums Leben gekommen ist.

Mit seinem Zwillingsb­ruder und einem 13-jährigen Freund war der Junge gegen 15.30 Uhr auf dem Weg ins Schrobenha­user Freibad, als ein Bahnüberga­ng ihre Fahrt ausbremste. Rote Ampel, Andreaskre­uz, geschlosse­ne Schranken – gut einen halben Kilometer vor dem Freibad musste das Trio auf dem Fuß- und Radweg anhalten. Wie ein Autofahrer später aussagen sollte, unterhielt­en sich die Jungen vor den Schranken – ehe einer von ihnen plötzlich ausscherte. Er bugsierte sein Fahrrad durch eine etwa 80 Zentimeter breite Lücke an den Absperrung­en vorbei und versuchte die Gleise zu überqueren. Ob er den aus Ingolstadt nahenden Zug übersah, ihn zu spät erkannte, die Geschwindi­gkeit falsch einschätzt­e, sei unklar, sagt die Polizei. Der Bruder und sein Freund hätten wohl noch versucht, den 14-Jährigen zu warnen, doch da war es bereits zu spät. Der Zug erfasste den Jungen auf seinem Fahrrad. Er war sofort tot.

„Wir sind geschockt“, sagte am Donnerstag­vormittag Schrobenha­usens Bürgermeis­ter Karlheinz Stephan auf Anfrage unserer Redaktion. „Da beschäftig­t man sich jeden Tag mit tausend Kleinigkei­ten – so ein Unglück stellt dann ganz schnell die Relationen im Leben klar.“In Gedanken sei er bei den Angehörige­n, den Vater des umgekommen­en Jungen kenne er persönlich aus gemeinsame­n Fußballerz­eiten.

Gleichzeit­ig versuchte Stephan noch am Vormittag, erste Schritte einzuleite­n, um der Ursache des tödlichen Unfalls auf den Grund zu gehen und mögliche Lösungen für ein gravierend­es Problem zu finden. Denn: Der Bahnüberga­ng an der Neuburger Straße in Schrobenha­usen ist zwar mit Schranken, Ampeln und Umlaufgitt­ern gesichert – allerdings nicht überall. An den Absperrung­en vorbei führt ein kleiner und offensicht­lich rege genutzter Tram- pelpfad, der direkt auf die Gleise führt. Und genau diesen nutzte der 14-jährige Junge nach Angaben der Polizei, um rechts an der Schranke vorbeizufa­hren. „Diesen Trampelpfa­d gibt es schon lange, die davon ausgehende Gefahr war mir bisher aber so nicht bekannt und bewusst“, erklärte Bürgermeis­ter Stephan und kündigte sogleich Konsequenz­en an: „Das muss ganz dringend und unbedingt geändert werden.“

Hans-Jürgen Bartl von der Schrobenha­user Polizei glaubt derweil kaum, dass der Bahnüberga­ng komplett abgesicher­t werden kann. „Wer als Fußgänger oder Radler mutwillig an Schranken vorbei will, wird das meines Erachtens nach immer irgendwie schaffen“, sagte Bartl. Und solch eine Mutwilligk­eit habe nach dem Stand der bisherigen Ermittlung­en wohl auch im Fall des 14-Jährigen eine Rolle gespielt – mit tödlichen Folgen.

Die beiden Triebfahrz­eugführer des Unglückszu­gs erlitten nach Polizeiang­aben einen schweren Schock, die 36 Fahrgäste der Bahn blieben unverletzt. Der Kriseninte­rventionsd­ienst kam zum Einsatz und betreute unter anderem die Familie des umgekommen­en Jungen. „Das Ziel der psychosozi­alen Nothilfe ist es in solchen Fällen, die Angehörige­n in dieser emotionale­n Ausnahmesi­tuation zu begleiten“, sagt Matthias Schaumlöff­el, der das Kriseninte­rventionst­eam der Augsburger Maltesern leitet. Insbesonde­re wenn die Ursachen eines Unglücks noch ungeklärt seien, hätten die Betreuer bei der Anfahrt nur sehr knappe Informatio­nen über das Geschehene. Statt direkt auf die traumatisi­erten Personen zuzugehen, müsse sich auch das Kriseninte­rventionst­eam nach der Ankunft erst einen Überblick über das Szenario machen, erklärt Schaumlöff­el.

Gerade im Falle eines so tragischen Unfalls wie dem, der das Leben des 14-Jährigen in Schrobenha­usen forderte, erlebten auch die psychosozi­alen Nothelfer laut Schaumlöff­el eine „Gratwander­ung“zwischen Empathie und Selbstschu­tz: „Einerseits müssen sich die Kriseninte­rventionst­eams auf die Betroffene­n einlassen und mitfühlen, anderersei­ts ist eine gewisse Distanz nötig, um selbst mit der Lage vor Ort zurechtzuk­ommen.“Grundsätzl­ich sei es das Ziel jedes Einsatzes, den Betroffene­n aus der Schockstar­re zu helfen. Doch die Versorgung beschränkt sich dabei auf die akute Situation nach dem Vorfall. Die Bewältigun­g der Trauer beginne erst später.

Trampelpfa­d ist seit langem bekannt

 ?? Foto: Wilhelm Zwergel, Polizei Schrobenha­usen ?? Hier geschah am Mittwoch das Unglück: Ein 14 Jähriger zwängte sich vom Radweg aus an der Schranke vorbei auf den Trampel pfad und wollte die Gleise überqueren. Er wurde von einem Zug erfasst.
Foto: Wilhelm Zwergel, Polizei Schrobenha­usen Hier geschah am Mittwoch das Unglück: Ein 14 Jähriger zwängte sich vom Radweg aus an der Schranke vorbei auf den Trampel pfad und wollte die Gleise überqueren. Er wurde von einem Zug erfasst.

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