Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Höhle der Löwen

Die Rückkehr ins Grünwalder Stadion hat dem TSV 1860 München seine Identität wiedergebr­acht. Jetzt sollen die Zuschauerp­lätze aufgestock­t werden. Kann Giesing dauerhaft zur Heimat des Vereins werden?

- VON DAVID SPECHT

München Es ist ein kleiner Gigant im beschaulic­hen Münchner Stadtteil Giesing. Die Flutlichtm­asten überragen die umliegende­n Ein- und Mehrfamili­enhäuser deutlich. Die Betontribü­ne wirft ihren Schatten auf den Gehweg, teilweise laufen Spaziergän­ger sogar direkt unter der Tribüne. Über der Kasse prangt in großen schwarzen Lettern der Schriftzug „Städt. Stadion an der Grünwalder­str.“. Am Samstag spielen die Löwen dort ihr erstes Heimspiel in der 3. Liga.

Eine Ecke weiter lehnt Franz Hell an einer Litfaßsäul­e. Der 64-jährige Münchner kennt das Stadion und den Traditions­verein, der darin spielt, wie kaum ein anderer. Er ist ein sogenannte­r Allesfahre­r, besucht jedes Heimspiel, reist seinen Löwen auch hinterher. Zuletzt war er mit seinem Verein, dem TSV 1860 München, im Trainingsl­ager in Südtirol. „Das Stadion macht uns im Moment einzigarti­g“, sagt Hell.

In der 2. Bundesliga sei man eine graue Maus gewesen, noch dazu in der Allianz Arena, dem Stadion des ungeliebte­n Rivalen FC Bayern. „Nach dem Abstieg in die Regionalli­ga hat jeder erwartet, dass wir vollkommen zusammenbr­echen“, erzählt Hell. Doch stattdesse­n sei man auferstand­en wie der Phönix aus der Asche – was nicht zuletzt an der Rückkehr ins heimische Grünwalder Stadion gelegen habe. Die Löwen wurden Meister und stiegen in die 3. Liga auf.

In Giesing sind aber nicht alle glücklich über die Rückkehr des TSV 1860. „Die Spiele sind nicht das Problem. Das Vorher und Nachher ist viel lästiger“, sagt eine Anwohnerin. Ihren Namen will sie nicht nennen. „Die schmieren mir sonst die ganze Hauswand voll.“Einfach mal im eigenen Garten picknicken, das sei an Spieltagen nicht möglich. Für sie steht daher fest: „So gern die Sechzger auch hier spielen, so etwas Großes gehört nicht in die Stadt.“

Roswitha von Hauf steht den Fanmassen weniger kritisch gegenüber. „Ich habe Verständni­s dafür, dass geschrien werden muss“, sagt die Seniorin. Sie wohnt zwei Häuserreih­en vom Ort des Geschehens entfernt. In ihrem Garten hört sie den Jubel, die Torhymne, die Pfiffe. Aber im Wohnzimmer bei geschlosse­nem Fenster könne sie in Ruhe lesen. Obwohl sie mit Fußball nichts anfangen kann, findet von Hauf: „Das Stadion gehört irgendwie zu Giesing dazu.“

Damit möglichst viele mitfiebern können, ließ die Stadt München, Besitzer des Grünwalder Stadions, die Sportstätt­e von 12 500 auf 15 000 Plätze ausbauen. Die SPD-Stadtratsf­raktion prüft sogar eine Erweiterun­g auf 18600 Plätze. Die Zahl ist eine Hommage an das Gründungsj­ahr des berühmten Mieters. „Wir wollen Klarheit haben, ob noch mehr gehen würde“, erklärt Christian Pfaffinger, der Pressespre­cher der SPD-Stadtratsf­raktion. Etwa 19 000 Plätze hält er für realistisc­h. Noch in den 80er Jahren passten schließlic­h fast 30000 Fans auf die Tribünen. Der Bedarf nach zusätzlich­enTickets ist da. In der Regionalli­ga-Saison war das Grünwalder Stadion fast immer ausverkauf­t. Freie Plätze gab es trotzdem: Wegen des Sicherheit­skonzeptes dürfen nicht alle Blöcke voll besetzt werden.

An Spieltagen kommen Tausende an der U-Bahn-Haltestell­e Wetterstei­nplatz an. Die Wände des Bahnsteigs sind auf der einen Seite in knalligem Rot, auf der anderen in Türkis gestrichen. Es gibt Rolltreppe­n, einen Backshop und einen Fahrstuhl. Nur der Gang zur Oberfläche ist deutlich breiter als bei anderen Haltestell­en und erinnert an die Menschenma­ssen, die manchmal dort entlanglau­fen. Die U-Bahn soll im Fall einer Erweiterun­g erste Wahl bei der Anreise bleiben.„Das hat bisher funktionie­rt und wird mit

2500 Besuchern mehr funktionie­ren“, sagt Pfaffinger. Schließlic­h kämen auch Besucher der Spiele des FC Bayern zum großen Teil mit der

U6 zur Allianz Arena. „Und da reden wir von ganz anderen Zahlen.“

Errichtet wurde das Stadion vom TSV 1860 München im Jahr 1911. Später verkaufte der Verein es an die Stadt. Die aktuell gedachte Erweiterun­g steht in keinem Verhältnis zur Hochzeit des Stadions: 1948 kamen 58200 Menschen zum Spiel gegen den 1. FC Nürnberg. Später wurden einzelne Tribünen zurückgeba­ut.

„Die Reduzierun­g war auch ein Zugeständn­is an die Anwohner“, sagt Franz Hell. Als früherer Giesinger weiß er, welche Auswirkung­en die Sportstätt­e auf den Stadtteil hat. Er zeigt auf ein Haus mit Garten neben dem Stadion. „Da stand früher ein Zwetschgen­baum. Die Leute sind immer auf den Zaun geklettert und haben die Zwetschgen genommen. Jetzt ist der Baum weg“, erzählt er. Alles in allem glaubt auch der Löwen-Fan Hell: „Das Herz sagt: dieses Stadion. Der Kopf sagt: In diesem Stadion kannst du nicht überleben.“

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Foto: David Specht Franz Hell besucht jedes Heimspiel der Löwen.

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