Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Höhle der Löwen
Die Rückkehr ins Grünwalder Stadion hat dem TSV 1860 München seine Identität wiedergebracht. Jetzt sollen die Zuschauerplätze aufgestockt werden. Kann Giesing dauerhaft zur Heimat des Vereins werden?
München Es ist ein kleiner Gigant im beschaulichen Münchner Stadtteil Giesing. Die Flutlichtmasten überragen die umliegenden Ein- und Mehrfamilienhäuser deutlich. Die Betontribüne wirft ihren Schatten auf den Gehweg, teilweise laufen Spaziergänger sogar direkt unter der Tribüne. Über der Kasse prangt in großen schwarzen Lettern der Schriftzug „Städt. Stadion an der Grünwalderstr.“. Am Samstag spielen die Löwen dort ihr erstes Heimspiel in der 3. Liga.
Eine Ecke weiter lehnt Franz Hell an einer Litfaßsäule. Der 64-jährige Münchner kennt das Stadion und den Traditionsverein, der darin spielt, wie kaum ein anderer. Er ist ein sogenannter Allesfahrer, besucht jedes Heimspiel, reist seinen Löwen auch hinterher. Zuletzt war er mit seinem Verein, dem TSV 1860 München, im Trainingslager in Südtirol. „Das Stadion macht uns im Moment einzigartig“, sagt Hell.
In der 2. Bundesliga sei man eine graue Maus gewesen, noch dazu in der Allianz Arena, dem Stadion des ungeliebten Rivalen FC Bayern. „Nach dem Abstieg in die Regionalliga hat jeder erwartet, dass wir vollkommen zusammenbrechen“, erzählt Hell. Doch stattdessen sei man auferstanden wie der Phönix aus der Asche – was nicht zuletzt an der Rückkehr ins heimische Grünwalder Stadion gelegen habe. Die Löwen wurden Meister und stiegen in die 3. Liga auf.
In Giesing sind aber nicht alle glücklich über die Rückkehr des TSV 1860. „Die Spiele sind nicht das Problem. Das Vorher und Nachher ist viel lästiger“, sagt eine Anwohnerin. Ihren Namen will sie nicht nennen. „Die schmieren mir sonst die ganze Hauswand voll.“Einfach mal im eigenen Garten picknicken, das sei an Spieltagen nicht möglich. Für sie steht daher fest: „So gern die Sechzger auch hier spielen, so etwas Großes gehört nicht in die Stadt.“
Roswitha von Hauf steht den Fanmassen weniger kritisch gegenüber. „Ich habe Verständnis dafür, dass geschrien werden muss“, sagt die Seniorin. Sie wohnt zwei Häuserreihen vom Ort des Geschehens entfernt. In ihrem Garten hört sie den Jubel, die Torhymne, die Pfiffe. Aber im Wohnzimmer bei geschlossenem Fenster könne sie in Ruhe lesen. Obwohl sie mit Fußball nichts anfangen kann, findet von Hauf: „Das Stadion gehört irgendwie zu Giesing dazu.“
Damit möglichst viele mitfiebern können, ließ die Stadt München, Besitzer des Grünwalder Stadions, die Sportstätte von 12 500 auf 15 000 Plätze ausbauen. Die SPD-Stadtratsfraktion prüft sogar eine Erweiterung auf 18600 Plätze. Die Zahl ist eine Hommage an das Gründungsjahr des berühmten Mieters. „Wir wollen Klarheit haben, ob noch mehr gehen würde“, erklärt Christian Pfaffinger, der Pressesprecher der SPD-Stadtratsfraktion. Etwa 19 000 Plätze hält er für realistisch. Noch in den 80er Jahren passten schließlich fast 30000 Fans auf die Tribünen. Der Bedarf nach zusätzlichenTickets ist da. In der Regionalliga-Saison war das Grünwalder Stadion fast immer ausverkauft. Freie Plätze gab es trotzdem: Wegen des Sicherheitskonzeptes dürfen nicht alle Blöcke voll besetzt werden.
An Spieltagen kommen Tausende an der U-Bahn-Haltestelle Wettersteinplatz an. Die Wände des Bahnsteigs sind auf der einen Seite in knalligem Rot, auf der anderen in Türkis gestrichen. Es gibt Rolltreppen, einen Backshop und einen Fahrstuhl. Nur der Gang zur Oberfläche ist deutlich breiter als bei anderen Haltestellen und erinnert an die Menschenmassen, die manchmal dort entlanglaufen. Die U-Bahn soll im Fall einer Erweiterung erste Wahl bei der Anreise bleiben.„Das hat bisher funktioniert und wird mit
2500 Besuchern mehr funktionieren“, sagt Pfaffinger. Schließlich kämen auch Besucher der Spiele des FC Bayern zum großen Teil mit der
U6 zur Allianz Arena. „Und da reden wir von ganz anderen Zahlen.“
Errichtet wurde das Stadion vom TSV 1860 München im Jahr 1911. Später verkaufte der Verein es an die Stadt. Die aktuell gedachte Erweiterung steht in keinem Verhältnis zur Hochzeit des Stadions: 1948 kamen 58200 Menschen zum Spiel gegen den 1. FC Nürnberg. Später wurden einzelne Tribünen zurückgebaut.
„Die Reduzierung war auch ein Zugeständnis an die Anwohner“, sagt Franz Hell. Als früherer Giesinger weiß er, welche Auswirkungen die Sportstätte auf den Stadtteil hat. Er zeigt auf ein Haus mit Garten neben dem Stadion. „Da stand früher ein Zwetschgenbaum. Die Leute sind immer auf den Zaun geklettert und haben die Zwetschgen genommen. Jetzt ist der Baum weg“, erzählt er. Alles in allem glaubt auch der Löwen-Fan Hell: „Das Herz sagt: dieses Stadion. Der Kopf sagt: In diesem Stadion kannst du nicht überleben.“