Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Tochter auf der Spur des Vaters

Für ein Konzert kam die Musikerin ins Stadttheat­er nach Landsberg. Für sie kein Ort wie jeder andere: Hier erstand der Army-Rekrut Johnny Cash seine erste Gitarre

- VON FRANZ NEUHÄUSER

Landsberg Rosanne Cash in Landsberg? Das wirft Fragen auf. Gut, sie ist kein Superstar im Musikgesch­äft. Aber die Tochter von Johnny Cash besitzt nicht nur einen guten Namen, sondern auch einen ausgezeich­neten Rang in der Szene. Unter anderem erhielt sie für ihr bislang letztes Album aus dem Jahr 2014 drei Grammys, die Oscars der Musikwelt. Was aber führt eine Größe wie Rosanne Cash in eine bayerische Kleinstadt, in ein Stadttheat­er mit 350 Plätzen? Kenner der Cash-Historie können natürlich eine Verbindung herstellen. Eine, die ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Familie Cash und Landsberg – da gibt es doch eine Geschichte…

Und die geht so: 1951 träumt John R. Cash, den damals noch niemand Johnny nennt, von einer Karriere als Sänger. Scheinbar verwegene Hirngespin­ste. Musikalisc­h hat er noch nichts zustande gebracht. Und das wird sich auch nicht so bald ändern. Denn John R. ist Soldat und wird demnächst nach Deutschlan­d versetzt. Kurz vor der Abreise trifft der 19-Jährige die 17-jährige Vivian Liberto. Schon nach den ersten Rendezvous steht für John R. fest: Das ist meine Frau fürs Leben.

Zunächst einmal aber sind sie drei Jahre getrennt. John R. in Landsberg/Bayern, Vivian in San Antonio/Texas. Es gibt keinen Heimaturla­ub und nur ein Telefonges­präch – pro Jahr. Also schreibt John R. seiner Vivian Briefe. Jeden Tag, manchmal auch mehrere. Viele sei- ner Kameraden erhalten irgendwann die finale Antwort: Es ist aus, es gibt einen anderen… Die Liebe zwischen John R. und Vivian aber übersteht drei Jahre Trennung. Nach der Heimkehr heiraten sie, im Mai 1955 kommt Rosanne zur Welt, die erste von vier Töchtern.

Die Geschichte von John R. und Vivian ist kein Märchen, es gibt kein „... und sie lebten glücklich zusammen bis ans Ende ihrer Tage“. John R. wird bald zu Johnny. Der Star hat Affären, trinkt, nimmt Medikament­e im Übermaß. Schluss mit Romantik, stattdesse­n Trennung, Scheidung.

Edmund Epple kennt die CashGeschi­chte natürlich ganz genau. Er ist beim Stadttheat­er für das Musikprogr­amm zuständig und führt gleich nebenan einen kleinen, feinen Platten- und Buchladen. Jahre hat er versucht, die große Rosanne ins kleine Landsberg zu holen. 2015,

2016, als gerade eine viel beachtete Ausstellun­g zum Thema „Johnny Cash und die Amerikaner in Landsberg“lief, hat es noch nicht geklappt. Aber jetzt, am Mittwochab­end, war sie eben zum 140-jährigen-Jubiläum des Stadttheat­ers da, und Edmund Epple durfte sie, vor natürlich voll besetztem Haus, ansagen, nervös und glücklich.

Auf ihren Platten bietet Rosanne Cash, unterstütz­t von kompletter Bandbesetz­ung, wohltemper­ierten Rock, gemeinhin unter der Rubrik Americana geführt. Auf der Bühne präsentier­t sie ihr Repertoire radikal reduziert, ausschließ­lich akustisch, im Duo mit John Leventhal. Ihr Ehemann und Plattenpro­duzent ist der heimliche Star der Show. Leventhal spielt die Akustikgit­arre zum Niederknie­n schön. Warm, melodiös, mal dezent, mal akzentuier­t. Ja, auch virtuos, aber nie in seelenlose Fingergymn­astik abgleitend. Er baut Stimmung und Spannung auf, lässt Raum für die Stimme seiner Frau.

Rosanne Cash hat ihre vokalen Fähigkeite­n selbst einmal als „okay“eingestuft. Charmantes Understate­ment. Sie singt seelenvoll, dosiert voluminös, ihr Auftritt wird getragen von Authentizi­tät und Autorität, mit einem einzigen Fingerschn­ippen hat sie den ganzen Raum in der Hand. Das kuschelige Ambiente des Stadttheat­ers bildet den perfekten Rahmen für einen intensiven, intimen Abend, meilenweit entfernt vom Mainstream. Die Hitze im Raum? Rosanne Cash erkundigt sich zwischendu­rch besorgt, wie das Publikum damit zurechtkom­mt. Es kommen keine Klagen, und John Leventhal merkt trocken an: „These are sturdy people here – Die Leute hier sind hart im Nehmen.“

Das Programm rekrutiert sich vor allem aus Cashs letzten beiden Platten, „The River & the Thread“(2014) und „The List“(2009), also eine Mischung aus Eigenkompo­sitionen (u. a. „Modern Blue“, „Sunken Lands“, „A Feather’s not a Bird“, „When the Master calls the Roll“) und Songs aus dem Kanon der amerikanis­chen Folkmusik („Sea of Heartbreak“, „Long Black Veil“, „Bury me beneath the Weeping Willow“), die ihr Vater ihr einst ans Herz gelegt hatte. Dazu noch ein kleiner Vorgeschma­ck auf das neue Album „She Remembers Everything“, das im Oktober erscheinen soll. Speziell für Landsberg hat sie „Radio Operator“parat. Ein Lied aus ihrem 2006er-Album „Black Cadillac“, das den ArmeeJob von John R. Cash thematisie­rt. Seine Aufgabe war es, sowjetisch­e Morse-Signale aus dem Äther zu fischen.

Für ein touristisc­hes Rahmenprog­ramm auf den Spuren von Daddy ließ der enge Terminkale­nder Rosanne Cash kaum Platz. Edmund Epple konnte sie lediglich vor dem Konzert auf eine Mini-Stadtführu­ng nehmen. Unter anderem zu dem Haus, in dem sich einst das Musikgesch­äft Ballach befand. Dort hatte John R. Cash erstmals eine Gitarre gekauft.

Ihr ganzes Leben habe sie von Landsberg gehört, erzählt Rosanne Cash beim Konzert. Daheim bewahrt sie auch die rund tausend Briefe auf, die ihr Vater in den drei Jahren Landsberg an ihre Mutter geschriebe­n hat. Unglaublic­h, dass sie nun nach so langer Zeit tatsächlic­h hier sei. Es fühle sich wie eine Zeitreise an, es sei ein ganz besonderer Moment für sie.

Das war es auch für alle anderen an diesem Abend im Stadttheat­er: Rosanne Cash in Landsberg!

Seine Aufgabe war es, Morse Signale abzufangen

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Fotos: afp; Julian Leitenstor­fer Johnny Cash – hier während der Zeit als Army Rekrut – hat so viel von Landsberg erzählt: Rosanne Cash bei ihrem Auftritt im Stadttheat­er.
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