Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Sand verschwind­et

Natur Kaum ein Rohstoff ist so begehrt: Diebe transporti­eren ganze Strände mit Lastwagen ab, die Sandmafia agiert extrem gewalttäti­g – und die Welt nimmt kaum Notiz

- El País Carola Frentzen, dpa

Madrid Der Burj Khalifa glänzt in Dubais Wüstensonn­e. Seit der 828-Meter-Turm vor acht Jahren eingeweiht wurde, ist er das höchste Gebäude des Planeten. 330 000 Kubikmeter Beton wurden in ihm verarbeite­t – und Beton besteht aus Sand. Ganz in der Nähe recken bereits wieder Baukräne ihre Hälse gen Himmel, um neue Rekordtürm­e aus dem Boden zu stampfen.

Nicht nur in den Arabischen Emiraten, überall auf der Erde wird gebaut. Die Nachfrage nach Sand und Kies ist so dramatisch gestiegen, dass das alte Sprichwort „wie Sand am Meer“bald obsolet werden könnte. Im wahrsten Sinne des Wortes ist das in Jamaika geschehen, wo 2008 über Nacht der 400 Meter lange Strand von Coral Spring spurlos verschwand. Diebe transporti­erten unbemerkt 500 weißpudrig­e Lkw-Ladungen ab. Gefasst wurden sie nie. Medien spekuliert­en damals, der Sand sei entweder zur Aufschüttu­ng eines anderen Strandes benutzt oder in der Bauindustr­ie verwendet worden.

„Sand ist die Grundlage unserer modernen Gesellscha­ft“, sagt Aurora Torres, Wissenscha­ftlerin am Deutschen Zentrum für integrativ­e Biodiversi­tätsforsch­ung (iDiv), die die Auswirkung­en von Sandgewinn­ung auf die Ökosysteme erforscht. Torres glaubt, dass die meisten Menschen sich der „drohenden Tragödie“, wie sie es nennt, nicht bewusst sind. „Bei den Bürgern wird das Thema noch kaum beachtet.“Doch Sand steckt nicht nur in Häusern, sondern so ziemlich in allem, von Glas über Asphalt bis zu Kosmetika, Zahnpasta, Mikrochips, Smartphone-Bildschirm­en, Autos und Flugzeugen. Das aus Sand ge- wonnene Siliciumdi­oxid (SiO²) wird auch in der Weinindust­rie und vielen Lebensmitt­eln verwendet. Der globale Bedarf übersteigt bei weitem das, was durch Verwitteru­ng nachkommt. „Die Masse an Sand, die gebraucht wird, hat sich in den vergangene­n 20 Jahren verdreifac­ht“, rechnet Pascal Peduzzi vom UNUmweltpr­ogramm (UNEP) vor. Selbst für ein Einfamilie­nhaus werden Schätzunge­n zufolge 200 Tonnen gebraucht. Allein mit dem Jahresverb­rauch des Bausektors „könnte man eine 27 Meter hohe und 27 Meter breite Mauer rund um den Äquator aufschütte­n“.

Man könnte meinen, dass in den Wüsten der Welt genug von dem begehrten Rohstoff herumliegt. Das Problem: Wüstensand ist für die Herstellun­g von Beton nicht geeignet. Die Körner sind vom Wind so glatt und rund geschliffe­n, dass sie sich kaum verhaken können und nicht haften. Für den Burj Khalifa mussten daher riesige Mengen des Rohstoffs aus Australien importiert werden. Zur Sandgewinn­ung werden Schwimmbag­ger eingesetzt, die Tonne um Tonne vom Meeresgrun­d, aber auch aus Seen oder Flüssen abtragen.

Die Folgen für die empfindlic­hen Ökosysteme sind oft verheerend. Flussbette­n sinken ab, Küsten erodieren, die Fauna in den Ozeanen wird zerstört, ganze Inseln verschwind­en. Schutzmech­anismen, die eigentlich Stürme und Tsunamis abhalten, werden außer Kraft gesetzt. Indonesien etwa verliere durch hemmungslo­sen Sandabbau immer mehr seines Territoriu­ms, schrieb die renommiert­e spanische Zeitung zuletzt. Mehr als zwei Dutzend Inseln des Archipels seien bereits komplett weg

Aber auch Europa ist betroffen: „Die Strände der Kanarische­n Inseln etwa überleben heutzutage durch Sandimport­e aus der Westsahara.“Der bei weitem größte Exporteur der Ressource sind die USA, der größte Importeur das für seine Shopping Malls und Megabauten berühmte Singapur. Auf der Liste der Einfuhrlän­der belegt Deutschlan­d den achten Rang. Viele Länder, vor allem in Südostasie­n, haben den Export von Sand verboten. Jedoch wird weiter illegal mit dem Rohstoff gehandelt. Die „Sandmafia“operiere besonders erfolgreic­h in Indien, erklärt Aurora Torres. „Sie gilt dort als eine der gewalttäti­gsten und undurchdri­nglichsten Gruppen des Organisier­ten Verbrechen­s.“

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Foto: Bodo Schackow, dpa Ist Sand bald ganz aus der Wahrnehmun­g verschwund­en? Experten befürchten das – und arbeiten an Alternativ­en. Baustoff recycling und Versuche, Wüstensand zum Bauen nutzbar zu machen, gelten als vielverspr­echend.

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