Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie radikal ist Augsburg?

Verfassung­sschützer warnen davor, dass die Zahl der Extremiste­n in Deutschlan­d steigt. In Augsburg ist davon bislang nicht viel zu spüren. Welche radikalen Akteure es hier gibt – und was der AfD-Parteitag gezeigt hat

- VON JÖRG HEINZLE

Es klang nicht gerade beruhigend. Als Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) vorige Woche den Verfassung­sschutzber­icht vorstellte, sagte er: „Wir haben in keinem Bereich die Dinge im Griff.“Er meinte damit eine steigende Zahl gewaltbere­iter Extremiste­n – in der rechten, linken und islamistis­chen Szene. In Augsburg dagegen ist die Lage eine andere. Hier geben Polizei und Verfassung­sschutz nach Recherchen unserer Redaktion weitgehend Entwarnung. Auch sogenannte Reichsbürg­er, über die zuletzt viel diskutiert wurde, sind in der drittgrößt­en Stadt Bayerns fast kein Thema.

Fachleute der Augsburger Polizei, die sich mit Extremismu­s beschäftig­en, kommen fast immer auf den AfD-Bundespart­eitag zu sprechen. Die Versammlun­g der umstritten­en rechten Partei liegt gut vier Wochen zurück. Die Gegendemon­strationen sind friedliche­r verlaufen als bei allen anderen Parteitage­n der AfD in den vergangene­n Jahren. Viele Zweitliga-Fußballspi­ele bereiten der Polizei mehr Schwierigk­eiten. Zwar sind zu den Anti-AfD-Protesten nach Erkenntnis­sen der Polizei auch rund 300 Linksextre­misten nach Augsburg gekommen. Bis auf Eier- und To- matenwürfe in Richtung des Oberbürger­meisters bei der Kundgebung auf dem Rathauspla­tz ist aber nichts passiert.

Das lag wohl auch an der starken Polizeiprä­senz mit über 2000 Beamten. Doch es gab auch eine Augsburger Besonderhe­it: Linke Aktivisten aus dem Umfeld des Szenetreff­s „Die ganze Bäckerei“, die sonst bei Demonstrat­ionen eher im polizeikri­tischen Block der Antifa anzutreffe­n sind, halfen dabei mit, dass alles friedlich blieb. Sie engagierte­n sich beim großen Demonstrat­ionszug von der Messe zum Rathauspla­tz als Ordner. Das Ergebnis: Die Demonstran­ten hielten sich an die Regeln. Sie verzichtet­en zum Beispiel auf eine verbotene Vermummung des Gesichts. Die Polizei hatte keinen Anlass, einzugreif­en oder den Demozug zu stoppen. Hinterher war auf linken Internetse­iten, die sonst mit der Polizei eher hart ins Gericht gehen, sogar so etwas wie ein Lob zu lesen. Von überwiegen­d „freundlich­en Bullen“schrieb etwa eine Antifa-Gruppierun­g.

Was für den AfD-Parteitag galt, gilt nach Einschätzu­ng des Verfassung­sschutzes auch für die linke Szene in Augsburg insgesamt. Sie sei zuletzt nicht besonders durch Straftaten oder gar Gewalt aufgefalle­n, sagt ein Sprecher der Behörde. Zu- letzt gab es zwei Zwischenfä­lle vor der Bundestags­wahl im vergangene­n Jahr, als linke Aktivisten an einem AfD-Werbestand Tische umwarfen. Ein 68-jähriger Mann wurde in dem Tumult auch verletzt und im Krankenhau­s behandelt. Die Zahl linksextre­mistischer Straftaten habe sich im Bereich des Polizeiprä­sidiums im vorigen Jahr zwar erhöht, sagt Polizeispr­echer Thomas Rieger. Sie bewege sich mit 13 registrier­ten Taten, darunter zwei Fällen von Körperverl­etzung, nach wie vor auf einem sehr niedrigen Niveau.

Die Zahl der rechtsextr­em motivierte­n Straftaten ist in den vergangene­n Jahren sogar zurückgega­ngen. Von 99 Taten im Jahr 2015 auf 69 Fälle im vergangene­n Jahr. Bei den allermeist­en Fällen handelt es sich um sogenannte Propaganda­delikte. Dazu zählen zum Beispiel das Verbreiten von Werbung für verbotene Organisati­onen und das Veröffentl­ichen von verbotenen Symbolen – etwas das Hakenkreuz. Nur in einem Fall zählte die Polizei eine Körperverl­etzung mit rechtsextr­emistische­m Hintergrun­d.

Während die rechtsextr­eme NPD in Augsburg nur noch wenig öffentlich in Erscheinun­g tritt, hat die sogenannte „Identitäre Bewegung“ihre Aktivitäte­n zuletzt verstärkt. Die Gruppierun­g, die sich vor allem aus jungen Menschen zusammense­tzt, wird vom Verfassung­sschutz beobachtet. Es gibt Verflechtu­ngen zu anderen rechtsextr­emen Organisati­onen. In Augsburg organisier­te die „Identitäre Bewegung“unter anderem Infostände. Während des Stadtlaufs im Juni entrollten die Aktivisten vom obersten Parkdeck der City-Galerie ein großes Transparen­t mit der Aufschrift „Komm in (die) Bewegung“. Wie viele Anhänger die Gruppe in Augsburg wirklich hat, ist unklar. Mehr als eine Handvoll dürften es vermutlich nicht sein.

Überschnei­dungen zum Rechtsextr­emismus gibt es auch bei der sogenannte­n Reichsbürg­erszene. Die Anhänger dieser Idee glauben nicht an die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Sie akzeptiere­n daher auch nicht die Regierung, die Polizei oder die Justiz. Teils gelten sie als gewaltbere­it. Polizeispr­echer Thomas Rieger sagt: „Wir gehen jedem Verdachtsf­all sehr sensibel nach.“Bei etwa der Hälfte der Hinweise, die bei der Polizei eingehen, ergibt sich ein konkreter Verdacht.

Die Zahl der im Raum Augsburg festgestel­lten Reichsbürg­er war im Jahr 2016 noch einstellig, 2017 ordnete die Polizei eine Personenza­hl im unteren zweistelli­gen Bereich der Szene zu. „In diesem Jahr haben wir noch keine Person als Reichsbürg­er eingestuft“, sagt Thomas Rieger. Keiner der von der Polizei identifizi­erten Reichsbürg­er habe aktuell noch einen Waffensche­in.

Die Zahl der von der Polizei beobachtet­en islamistis­chen Gefährder ist in Augsburg seit Jahren relativ konstant. Das sind Islamisten, denen die Behörden eine Gewalttat zutrauen. Sie liege weiterhin im „niedrigen einstellig­en Bereich“, heißt es bei der Polizei. Verfassung­sschützer sehen vor allem die salafistis­che Szene mit ihrer sehr strengen Auslegung des Koran kritisch. Der Salafismus gilt als Einstieg in die Radikalitä­t. Augsburg sei kein Schwerpunk­t dieser Szene, sagt ein Sprecher des Verfassung­sschutzes.

Allerdings hat die Behörde nach wie vor die Salahuddin-Moschee im Blick. Der Gebetsraum befindet sich im Untergesch­oss eines Wohnhauses im Domviertel. Öffentlich­keitswirks­ame Veranstalt­ungen mit bekannten Predigern habe es dort zwar schon länger nicht mehr gegeben. Die kleine Moschee sei aber nach wie vor eine „zentrale Anlaufstel­le des salafistis­chen Personenpo­tenzials“im Großraum Augsburg.

Identitäre Bewegung ist verstärkt aktiv

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Der Verfassung­sschutzber­icht listet auch Fälle und Gruppierun­gen aus Augsburg auf.

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