Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie radikal ist Augsburg?
Verfassungsschützer warnen davor, dass die Zahl der Extremisten in Deutschland steigt. In Augsburg ist davon bislang nicht viel zu spüren. Welche radikalen Akteure es hier gibt – und was der AfD-Parteitag gezeigt hat
Es klang nicht gerade beruhigend. Als Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorige Woche den Verfassungsschutzbericht vorstellte, sagte er: „Wir haben in keinem Bereich die Dinge im Griff.“Er meinte damit eine steigende Zahl gewaltbereiter Extremisten – in der rechten, linken und islamistischen Szene. In Augsburg dagegen ist die Lage eine andere. Hier geben Polizei und Verfassungsschutz nach Recherchen unserer Redaktion weitgehend Entwarnung. Auch sogenannte Reichsbürger, über die zuletzt viel diskutiert wurde, sind in der drittgrößten Stadt Bayerns fast kein Thema.
Fachleute der Augsburger Polizei, die sich mit Extremismus beschäftigen, kommen fast immer auf den AfD-Bundesparteitag zu sprechen. Die Versammlung der umstrittenen rechten Partei liegt gut vier Wochen zurück. Die Gegendemonstrationen sind friedlicher verlaufen als bei allen anderen Parteitagen der AfD in den vergangenen Jahren. Viele Zweitliga-Fußballspiele bereiten der Polizei mehr Schwierigkeiten. Zwar sind zu den Anti-AfD-Protesten nach Erkenntnissen der Polizei auch rund 300 Linksextremisten nach Augsburg gekommen. Bis auf Eier- und To- matenwürfe in Richtung des Oberbürgermeisters bei der Kundgebung auf dem Rathausplatz ist aber nichts passiert.
Das lag wohl auch an der starken Polizeipräsenz mit über 2000 Beamten. Doch es gab auch eine Augsburger Besonderheit: Linke Aktivisten aus dem Umfeld des Szenetreffs „Die ganze Bäckerei“, die sonst bei Demonstrationen eher im polizeikritischen Block der Antifa anzutreffen sind, halfen dabei mit, dass alles friedlich blieb. Sie engagierten sich beim großen Demonstrationszug von der Messe zum Rathausplatz als Ordner. Das Ergebnis: Die Demonstranten hielten sich an die Regeln. Sie verzichteten zum Beispiel auf eine verbotene Vermummung des Gesichts. Die Polizei hatte keinen Anlass, einzugreifen oder den Demozug zu stoppen. Hinterher war auf linken Internetseiten, die sonst mit der Polizei eher hart ins Gericht gehen, sogar so etwas wie ein Lob zu lesen. Von überwiegend „freundlichen Bullen“schrieb etwa eine Antifa-Gruppierung.
Was für den AfD-Parteitag galt, gilt nach Einschätzung des Verfassungsschutzes auch für die linke Szene in Augsburg insgesamt. Sie sei zuletzt nicht besonders durch Straftaten oder gar Gewalt aufgefallen, sagt ein Sprecher der Behörde. Zu- letzt gab es zwei Zwischenfälle vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr, als linke Aktivisten an einem AfD-Werbestand Tische umwarfen. Ein 68-jähriger Mann wurde in dem Tumult auch verletzt und im Krankenhaus behandelt. Die Zahl linksextremistischer Straftaten habe sich im Bereich des Polizeipräsidiums im vorigen Jahr zwar erhöht, sagt Polizeisprecher Thomas Rieger. Sie bewege sich mit 13 registrierten Taten, darunter zwei Fällen von Körperverletzung, nach wie vor auf einem sehr niedrigen Niveau.
Die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten ist in den vergangenen Jahren sogar zurückgegangen. Von 99 Taten im Jahr 2015 auf 69 Fälle im vergangenen Jahr. Bei den allermeisten Fällen handelt es sich um sogenannte Propagandadelikte. Dazu zählen zum Beispiel das Verbreiten von Werbung für verbotene Organisationen und das Veröffentlichen von verbotenen Symbolen – etwas das Hakenkreuz. Nur in einem Fall zählte die Polizei eine Körperverletzung mit rechtsextremistischem Hintergrund.
Während die rechtsextreme NPD in Augsburg nur noch wenig öffentlich in Erscheinung tritt, hat die sogenannte „Identitäre Bewegung“ihre Aktivitäten zuletzt verstärkt. Die Gruppierung, die sich vor allem aus jungen Menschen zusammensetzt, wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Es gibt Verflechtungen zu anderen rechtsextremen Organisationen. In Augsburg organisierte die „Identitäre Bewegung“unter anderem Infostände. Während des Stadtlaufs im Juni entrollten die Aktivisten vom obersten Parkdeck der City-Galerie ein großes Transparent mit der Aufschrift „Komm in (die) Bewegung“. Wie viele Anhänger die Gruppe in Augsburg wirklich hat, ist unklar. Mehr als eine Handvoll dürften es vermutlich nicht sein.
Überschneidungen zum Rechtsextremismus gibt es auch bei der sogenannten Reichsbürgerszene. Die Anhänger dieser Idee glauben nicht an die Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Sie akzeptieren daher auch nicht die Regierung, die Polizei oder die Justiz. Teils gelten sie als gewaltbereit. Polizeisprecher Thomas Rieger sagt: „Wir gehen jedem Verdachtsfall sehr sensibel nach.“Bei etwa der Hälfte der Hinweise, die bei der Polizei eingehen, ergibt sich ein konkreter Verdacht.
Die Zahl der im Raum Augsburg festgestellten Reichsbürger war im Jahr 2016 noch einstellig, 2017 ordnete die Polizei eine Personenzahl im unteren zweistelligen Bereich der Szene zu. „In diesem Jahr haben wir noch keine Person als Reichsbürger eingestuft“, sagt Thomas Rieger. Keiner der von der Polizei identifizierten Reichsbürger habe aktuell noch einen Waffenschein.
Die Zahl der von der Polizei beobachteten islamistischen Gefährder ist in Augsburg seit Jahren relativ konstant. Das sind Islamisten, denen die Behörden eine Gewalttat zutrauen. Sie liege weiterhin im „niedrigen einstelligen Bereich“, heißt es bei der Polizei. Verfassungsschützer sehen vor allem die salafistische Szene mit ihrer sehr strengen Auslegung des Koran kritisch. Der Salafismus gilt als Einstieg in die Radikalität. Augsburg sei kein Schwerpunkt dieser Szene, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes.
Allerdings hat die Behörde nach wie vor die Salahuddin-Moschee im Blick. Der Gebetsraum befindet sich im Untergeschoss eines Wohnhauses im Domviertel. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen mit bekannten Predigern habe es dort zwar schon länger nicht mehr gegeben. Die kleine Moschee sei aber nach wie vor eine „zentrale Anlaufstelle des salafistischen Personenpotenzials“im Großraum Augsburg.
Identitäre Bewegung ist verstärkt aktiv