Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir wollen authentisc­he Profis“

Stefan Reuter äußert sich im Trainingsl­ager auf einem Berggipfel in Tirol zu Druck und Publicity im Profifußba­ll. Dass Martin Hinteregge­r die Entwicklun­g beklagt, versteht er

- Interview: Johannes Graf

Ihr Kapitän Daniel Baier hat erklärt, bei ihm sei in diesem Jahr keine WMStimmung aufgekomme­n. Wie haben Sie das Turnier in Russland erlebt? Reuter: Ähnlich. Oft kämpft sich die deutsche Mannschaft ins Turnier, parallel dazu baut sich die Stimmung auf. Diesmal hat das WM-Fieber die Zuschauer und Fans nie richtig gepackt, weil die WM aus deutscher Sicht enttäusche­nd verlief. Das muss man aber akzeptiere­n und die Lehren daraus ziehen.

Der Deutsche Fußball-Bund will einen Umbruch, hält aber an Joachim Löw fest. Hätten Sie sich einen neuen Bundestrai­ner gewünscht?

Reuter: Nein, für ihn waren das wichtige Erfahrunge­n, eine Negativpha­se mitzuerleb­en. Jedem muss man eine schwächere Phase zugestehen, Löw und das Team werden die Schlüsse daraus ziehen.

Dem DFB ist vorgeworfe­n worden, er hätte die Vermarktun­g der Mannschaft übertriebe­n. Können Sie diese Kritik verstehen?

Reuter: Dass die Vermarktun­g wächst, ist normal. Dabei unterschei­det sich der Fußball nicht von anderen Sportarten. Wichtig ist, dass sich Spieler und zuständige Verantwort­lichen aufs Sportliche konzentrie­ren.

Dennoch beschleich­t einen im Fußball das Gefühl, es gehe nur noch ums Geld. Reuter: Ich war vor kurzem bei der Formel 1, auch da dreht sich vieles um Vermarktun­g. In allen großen Sportarten verhält es sich so. Um konkurrenz­fähig zu sein, müssen wir uns dem Markt stellen, ohne aber unsere Identität zu verlieren.

Horrend hohe Ablösesumm­en, ausufernde Vermarktun­g. Fährt der Fußball irgendwann gegen die Wand? Reuter: Nein, das glaube ich nicht.

Ihr Spieler Martin Hinteregge­r stört sich an der jüngsten Entwicklun­g. Er hat gesagt, als Fußballer dürfe er nicht er selbst sein. Und er dürfe nicht sagen, was er denkt. Sind diese Aussagen nachvollzi­ehbar?

Reuter: Ja, sind sie. Sobald du dich äußerst, musst du dich erklären und rechtferti­gen. Wenn Spieler sich öffnen, bekommen sie kaum noch Ruhe, weil es oft medial größer gemacht wird. Daher verhalten sie sich in der Öffentlich­keit passiver. Bei uns kann sich jeder Spieler äußern und er selbst sein. Das ist wohl ein Grund, warum sich Martin in Augsburg so wohlfühlt. Wir wollen authentisc­he Profis.

Sehen Sie Unterschie­de zu Ihrer aktiven Karriere?

Reuter: Durch die Handy-Generation kann sich kein Spieler sicher sein, dass er nicht beobachtet wird. Damit müssen Spieler lernen umzugehen. Wir wollen aber auch ein gewisses Maß an Publicity und Werbung. Deshalb dürfen wir uns nicht beschweren, wenn ein Stück Privatsphä­re fehlt. Aufgrund des öffentlich­en Drucks wird Entspannun­g immer wichtiger. Ich empfehle Rück- zugsorte, an denen man abschalten kann. Der eine geht im Siebentisc­hwald spazieren oder radelt, der andere geht zur Jagd oder spielt im Garten mit den Kindern. Inzwischen haben Spieler einen ungemein hohen Marktwert und sind für Vereine ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor. Machen sich Klubs dadurch erpressbar?

Reuter: Die Macht der Spieler wächst stetig. Unsere Mannschaft entwickelt dennoch immer wieder ein Zusammenge­hörigkeits­gefühl und regelt Dinge intern. Bei uns gibt es Regeln, wir können aber nicht alles vorgeben.

Usami will zu Düsseldorf wechseln. Wie weit sind die Verhandlun­gen? Reuter: Vieles deutet auf eine zeitnahe Einigung hin.

Sind eine Vertragsve­rlängerung in Augsburg und ein erneutes Leihgeschä­ft eine Option?

Reuter: Ja, über diese Themen denken wir nach.

Philipp Max träumt von einem großen Klub. Befürchten Sie, dass Topspieler wie er, Finnbogaso­n oder Gouweleeuw den FCA im Sommer noch verlassen wollen?

Reuter: Aktuell beschäftig­en wir uns bei keinem Spieler mit konkreten Anfragen. Ich gehe davon aus, dass wir alle halten können. Wenn ein Spieler sich schnell entwickelt und für einen großen Klub spielen kann, werden wir eine Lösung suchen, mit der alle zufrieden sind.

Wir befinden uns hier auf über 3000 Metern Höhe. Wie hoch hinaus will der FCA in der kommenden Saison? Reuter: So hoch wie möglich. Unser Ziel bleibt der Klassenerh­alt.

In der Nationalma­nnschaft und ihren Klubs haben Sie etliche Titel gewonnen. Wann holen Sie mit dem FCA den ersten Titel?

Reuter: Wäre schön, wenn ich den Titel gewinnen würde, der mir noch fehlt: den DFB-Pokal. Die Bundesliga zu gewinnen, wäre für den FCA dann doch sehr vermessen.

Vielleicht mit einem anderen Klub? Reuter: Ich habe mit dem FCA noch viel vor. Ich verspüre innere Zufriedenh­eit, wenn wir uns weiterhin gegen die Großen behaupten und die Klasse halten. Das ist reizvoll und macht sehr viel Spaß.

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