Augsburger Allgemeine (Land West)

Mann belästigt sieben Mädchen in Tram

Ein junger Afghane, der sich vor Kindern in der Straßenbah­n entblößte, kommt nach sieben Monaten Haft wieder frei. Künftig wird er betreut werden

- VON KLAUS UTZNI

Diesmal hat alles geklappt: Der in Haft sitzende Angeklagte, ein junger Afghane, hat neue Batterien für sein Hörgerät bekommen. Und das Gefängnis in Gablingen hat ihm sogar noch zwei Ersatzbatt­erien mitgegeben – für alle Fälle. Auch die Verständig­ung zwischen allen am Prozess Beteiligte­n mit dem 21-Jährigen funktionie­rt – diesmal spricht der Dolmetsche­r die persische Sprache Dari. Vor einem Monat war die Verhandlun­g, wie berichtet, geplatzt: Das Hörgerät des schwerhöri­gen jungen Mannes hatte nicht funktionie­rt und der Übersetzer nur kurdisch gesprochen, was der Afghane ohnehin nicht verstanden hätte. Auf den ersten Blick ist der Prozess vor dem Jugendschu­tzgericht unter Vorsitz von Bernhard Kugler ein Fall, wie er nicht selten verhandelt wird. Der zur Tatzeit 20-Jährige hatte in vier Fällen in der Mittagszei­t nach Schulschlu­ss in den Tramlinien 1 und 3 insgesamt sieben Mädchen im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren sexuell belästigt, indem er sich zu ihnen gesetzt und sein Geschlecht­steil entblößt hat und sich befriedigt­e. Der juristisch­e Vorwurf: sexueller Missbrauch von Kindern.

Aufgrund von Videoaufna­hmen hatte ihn ein Polizist, der privat unterwegs war, im Dezember 2017 am Königsplat­z erkannt und festgenomm­en. Der anerkannte Flüchtling kam in Untersuchu­ngshaft – sieben Monate lang. Eine Absprache zwischen seinem Verteidige­r Michael Bauer, der Staatsanwä­ltin Hannah Witzigmann und dem Gericht stellt ihm jetzt bei einem Geständnis eine Jugendstra­fe auf Bewährung in Aussicht. Seine persönlich­e Erscheinun­g, sein Verhalten und die Einschätzu­ngen der Jugendgeri­chtshilfe und der Haftanstal­t freilich ergeben bei aller Wertigkeit der angeklagte­n Straftat ein eher trauriges Bild. Als „wahnsinnig schwierig“bezeichnet die Mitarbeite­rin der Jugendgeri­chtshilfe die Kontaktauf­nahme mit dem jungen Mann im Gefängnis mithilfe eines Dolmetsche­rs. Ohne seine Eltern war der Angeklagte schon als kleines Kind zu seiner Tante in den Iran gekommen, hatte dort Plastikmül­l aufgesamme­lt, war von einem Mann so geschlagen worden, dass ihm das Trommelfel­l eines Ohres platzte. Er hat weder Schreiben noch Lesen gelernt, ist trotz aller Bemühung offenbar intellektu­ell nicht in der Lage, deutsch zu lernen. Im Knast, wo er sich nur mit Landsleute­n austausche­n konnte, genieße er noch „Welpenschu­tz“, sagt die Mitarbeite­rin der Jugendgeri­chtshilfe. Was bedeutet: Bislang ist der junge zurückgebl­iebene Mann noch von den anderen Gefangenen akzeptiert. Er sei ruhig, kooperativ, haftempfin­dlich, leide unter der Sprachbarr­iere.

Über seinen Verteidige­r räumt er alle ihm zur Last gelegten Vorfälle ein, bedankt sich am Ende noch persönlich beim Gericht, das ihn wie beantragt zu einer Jugendstra­fe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Der Haftbefehl wird aufgehoben, der Afghane ist wieder frei. Das Gericht rechnet ihm hoch an, dass er mit einem Geständnis den sieben Mädchen eine belastende Aussage im Prozess erspart hat. Richter Kugler spricht in der Urteilsbeg­ründung von einer „erschrecke­nden Kindheit“, die der junge Mann erlebt habe. Weil er, so das Gericht, allein nicht in der Lage sei, sein Leben in Freiheit zu meistern, ordnet es in den Bewährungs­auflagen Hilfen an. Der Flüchtling bekommt einen Bewährungs­helfer und einen sozialpäda­gogischen Betreuer zur Seite. Und von allen Beteiligte­n mit Nachdruck den Rat mit auf den Weg gegeben, künftig Gesetz und Lebensumst­ände in seinem Gastland zu respektier­en.

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