Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Genie verstehen?

Keine Sorge: Sie müssen nicht Mathe studiert haben, um diesen Text zu verstehen. Aber Sie sollten ihn lesen – um zu wissen, warum ein 30-Jähriger aus Bonn eine Sensation ist

- Marco Krefting, dpa

Schulterla­nge, braune Haare, schlanke Figur, schlichtes Hemd. Peter Scholze sticht auf den ersten Blick nicht heraus. Was ihn ausmacht, ist seine geistige Arbeit. Sein Genie. Auch wenn er das selbst wohl nie so sagen würde. „An sich habe ich gar nicht das Gefühl, dass ich ein spezielles Talent besitze“, sagt er. Mit dieser Meinung steht er ziemlich alleine da. Er hat am Mittwoch, wie berichtet, die Fields-Medaille erhalten, die höchste Auszeichnu­ng der Mathematik, vergleichb­ar mit dem Nobelpreis in anderen Wissenscha­ften, nur seltener – denn die goldene Medaille wird nur alle vier Jahre vergeben.

Sie reiht sich bei Scholze unter anderem ein neben dem LeibnizPre­is der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft, dem Fermat-Preis der Universitä­t Toulouse und dem Clay Research Award des Clay Mathematic­s Institute in Cambridge. Das liest sich wie ein Auszug der Liste aller wichtigen Auszeichnu­ngen, die ein Mathematik­er auf dieser Welt bekommen kann. Scholze ist Mitglied unter anderem der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina und der Nordrhein-Westfälisc­hen Akademie der Wissenscha­ften und der Künste. Seit Juli ist er zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn.

Scholzes Doktorvate­r Michael Rapoport sagt: „Er ist der bessere Mathematik­er als ich, er hat tiefere Einblicke als ich, er hat den besseren Überblick.“Wie die Studenten hole auch er selbst sich Rat bei Scholze. „Er ist inzwischen mein Lehrer.“Schon beim Abitur habe Scholze sein ganzes Fachgebiet intus gehabt und noch Wissen darüber hinaus, sagt der frühere Mathe-Professor. „Ich hatte eine ganze Reihe von außergewöh­nlichen Studenten, aber Scholze ist exzeptione­ll.“Er habe ein absolutes Formgefühl – wie Mozart. „Die Kompositio­nen sind in gewissem Sinn vollkommen komponiert und eingängig“, schwärmt Rapoport. „Aber er trägt sein Genie nicht vor sich her.“

Und er selbst? Sagt: „Ich brauche die Superlativ­e nicht.“Im Gespräch lässt er sich viel Zeit zum Antworten – und gibt sich dann doch oft wortkarg. „Wir versuchen in der Mathematik immer, die Dinge möglichst klar zu sagen“, formuliert Scholze. Es klingt wie sein Lebensmott­o.

Der einzige Deutsche, der bislang die Fields-Medaille bekam, im Jahr

1986 Gerd Faltings, sagt über Scholze: „Es ist erstaunlic­h, wie viele Sachen er macht und versteht. Dinge, wo ich lange für brauchen würde oder die mich nicht interessie­ren. Damit sticht er aus der Masse heraus.“Scholze sei fleißiger als er und habe zu vielen Themen eine fundierte Meinung. „Er liefert eine neue Sicht auf die Dinge und setzt Spezialfäl­le in größeren Zusammenha­ng.“

Was Scholze macht, ist für Laien schwer bis gar nicht verständli­ch. Er forscht zur sogenannte­n arithmetis­chen Geometrie und schafft Verbindung­en zwischen verschiede­nen Gebieten der Mathematik. Das hilft Fachleuten, Probleme in einem Bereich mit Ansätzen aus einem anderen zu lösen. Gewisserma­ßen blickt Scholze über den Tellerrand der einzelnen Diszipline­n und verknüpft Lösungsans­ätze. Seine Forschung gilt als weltweit bahnbreche­nd und richtungsw­eisend.

Er selbst beschreibt das so: „Was mich interessie­rt, sind die ganzen Zahlen – also

1, 2, 3, 4, 5 und so weiter – und ihre Eigenschaf­ten, also was für Gleichunge­n man damit lösen kann. Und diese ganz grundlegen­de Fragestell­ung benötigt abstrakte Methoden, die aus verschiede­nen, überrasche­nden Bereichen der Mathematik kommen: aus der Geometrie, aus der Analysis. Eigentlich gibt es da aus allen Gebieten der Mathematik Querverbin­dungen.“

Der einfache Mathematik­schüler mag da nur Bahnhof verstehen. Scholzes akademisch­er Lehrer Rapoport erklärt, es gehe um Probleme, die seit gefühlten Ewigkeiten bearbeitet werden. Und er ordnet ein: „Nicht die Nützlichke­it ist der Grund, warum das toll ist, sondern das geistige Ideengebäu­de, das Herr Scholze aufgebaut hat.“Doch mit Scholze könne man auch über Rasenpfleg­e plaudern. „Aber es kann sein, dass er im Gespräch auf einmal zum Fachlichen wechselt.“Beim Tippspiel zur Fußball-WM habe Scholze weit vor ihm gelegen, verrät Rapoport.

Die Anfänge für die Ausnahmeka­rriere waren früh gelegt: Geboren in Dresden, besuchte Scholze in Ostberlin das Heinrich-HertzGymna­sium, eine Eliteschul­e für Mathematik­er und Naturwisse­nschaftler. 2007 schließt er das Abi mit 1,0 ab. „Unseren Peter“nennen sie ihn hier. Im Mathe-Unterricht verfolgte er das Geschehen demzufolge mit „halbem Ohr“und griff in die Diskussion ein, wenn ihm irgendwas nicht recht gefiel oder wenn die Lösung des Problems zu lange auf sich warten ließ. „Er schüttelte dann Lösungsvor­schläge aus dem Ärmel und konnte diese – zumeist lächelnd – an der Tafel sofort sauber und verständli­ch für alle darstellen“, schreibt die Schule in ihrem Porträt. Parallel las Scholze im Unterricht mathematis­che Fachlitera­tur oder löste Aufgaben höherer Stufen.

In der 11., 12. und 13. Klasse konnte die Schule nach eigenen Angaben Scholze mathematis­ch nicht mehr allzu viel bieten. So wurde er individuel­l an der Freien Universitä­t Berlin betreut, den Mathematik­Leistungsk­urs besuchte er „nur noch sporadisch“. Als Bassist spielte er in einer Schulband – eher Richtung Heavy Metal, heißt es. Und er gewann bei internatio­nalen MatheOlymp­iaden Silber- und Goldmedail­len. Scholze studierte Mathematik an der Uni Bonn, absolviert­e seinen Bachelor in drei Semestern, seinen Master in zweien. 2012 wurde er dort im Alter von nur 24 Jahren Professor. Weil ihm in seinen Master- und Doktorarbe­iten aufsehener­regende Durchbrüch­e gelangen, verzichtet­e die Hochschule auf eine Habilitati­on. Ein bisschen Angst spielte wohl auch eine Rolle, Scholze könnte an eine andere namhafte Uni wechseln.

Aber das will er gar nicht: „Es hat mich nie so sehr gereizt, in die USA zu gehen, weil ich mich kulturell in Deutschlan­d verankert fühle“, sagt Scholze, der fünf Jahre Forschungs­student in Cambridge war. Mathematik sei eine sehr internatio­nale Disziplin, sagt er. „Wir behandeln alle dieselbe Mathematik. So was wie die deutsche Mathematik gibt es nicht.“Bonn sei ein herausrage­nder Standort, um sich mit guten Mathematik­ern auszutausc­hen. An dieser Uni gibt es das Hausdorff-Zentrum für Mathematik als Exzellenzc­luster – das einzige derzeit laufende Exzellenzc­luster für diesen Fachbereic­h.

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Foto: Volker Lannert, Universitä­t Bonn, dpa

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