Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Leid der Frauen in Saudi Arabien
Kholoud Bariedah hat gefeiert und kam dafür ins Gefängnis
Dass Frauen ans Steuer dürfen, ist wohl nur in Saudi-Arabien eine Schlagzeile wert. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman weckt mit seinen Plänen für eine offenere Gesellschaft Hoffnungen auf Tauwetter in dem erzkonservativen Land. Doch die Verhaftung der 29-jährigen Menschenrechtsaktivistin Loujain al-Hathloul und die ihr drohende Hinrichtung zeigen eine andere Seite des Landes. Auch Kholoud Bariedah, die 2012 ihrem Heimatland den Rücken kehrte, heute in Berlin lebt und sich vom Islam abwandte, hat die rigiden Disziplinierungsmethoden des Regimes am eigenen Leib erfahren. In ihrem Buch „Keine Tränen für Allah“schildert sie, „wie ich von Tugendwächtern verurteilt wurde und dem Frauengefängnis von Mekka entkam“.
Es ist ein ehrlicher, wenn auch manchmal etwas larmoyanter Bericht aus einem Land, in dem Frauen rechtlos sind und Tugendwächter das Leben bestimmen. Als Kholoud die ganze Härte des Regimes zu spüren bekommt, ist sie gerade mal 20 Jahre alt und feiert mit Freunden eine Party, die von Tugendwächtern gestürmt wird. Wie ihre Freunde landet die junge Frau hinter Gittern, einer Besserungsanstalt für gefallene Mädchen. Sie wird verurteilt: Zu vier Jahren Haft und 2000 Stockschlägen. Für etwas, was in anderen Ländern für junge Leute selbstverständlich ist, kommt sie zunächst in Einzelhaft, darf weder Vater noch Mutter sehen und zerbricht fast daran: „Jeden Tag stellte ich aufs Neue fest, dass ich noch immer einer unerbittlichen religiösen Macht ausgeliefert war, die keine Menschlichkeit kennt. Einer Macht, die uns als verkommene Huren betrachtete.“
Später lernt Kholoud die anderen Insassinnen ihres Gefängnisses ken- nen und erfährt von Schicksalen, die noch viel schlimmer sind als das ihrige: Von vergewaltigten Frauen, die gezwungen werden, ihren Peiniger zu heiraten. Von Mädchen, die lieber ins Gefängnis gehen, als unter der Knute ihres Vaters zu vegetieren – und von unbarmherzigen Todesstrafen.
Kholoud hat immer noch ihren Vater, der trotz allem zu ihr hält. Doch auch sie leidet unter dem Sadismus der Wärterinnen. Trotzdem stellt sich auch hinter Gittern eine Art Alltag ein, Freundschaften werden geschlossen, Intrigen gesponnen. Auch das schildert Kholoud. Genauso wie ihr Projekt, den Koran auswendig zu lernen. Wenn sie das schafft, so hat sie erfahren, könnte sie freikommen. So taucht sie ein in die Poesie der Suren, die sie fast süchtig machen. Sie hat es geschafft, ist freigekommen, während ihre Freundin hingerichtet wurde.
Andere Schicksale sind noch viel schlimmer als das ihrige
O Kholoud Bariedah: Keine Tränen für Allah. Übs. Günther Orth, Knaur, 315 S., 6,99 ¤