Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Unermüdliche
Als Klinikmanager versucht Jörg Roehring, aus der Situation am Klinikum das Beste zu machen. Niemals aufzugeben lernte er durch einen persönlichen Schicksalsschlag
Neusäß Wenn die Stadtratssitzung in Neusäß seit wenigen Minuten angefangen hat und jemand gehetzt zur Türe hereinkommt, ist es höchstwahrscheinlich Jörg Roehring. Der
38-Jährige sitzt seit 2008 für die CSU im Neusässer Stadtrat, seit
2015 ist er CSU-Ortsvorsitzender. Obwohl ihm sein Beruf dafür eigentlich keine Zeit lässt. Roehring ist seit sieben Jahren Klinikmanager an der Augsburger Kinderklinik, Mitglied des Klinikumvorstands und Zweiter Vorsitzender des Mukis-Fördervereins. Seit seinem 14. Lebensjahr ist er bei der Neusässer Feuerwehr und rückt auch heute noch aus, wenn nachts und am Wochenende der Alarm losgeht. Und dann ist da noch die Familie, eine Ehefrau und zwei kleine Kinder mit zwei und vier Jahren. Kein Wunder also, dass er von Termin zu Termin hetzt und kaum Freizeit hat.
Warum er sich so viel zumutet? „Das kommt wahrscheinlich durch die Feuerwehr. Da hab ich schon früh gelernt, nützlich zu sein, stabil im Leben zu stehen.“Das politische Engagement ist für den 38-Jährigen nur die logische Konsequenz, „wenn man für die Gemeinschaft etwas besser machen, den eigenen Lebensraum mitgestalten will“.
Zur Politik kam er auch irgendwie über die Feuerwehr – und Richard Greiner. Der heutige Bürgermeister war damals noch CSU-Ortsvorsitzender und animierte den jungen Roehring zur Kandidatur für den Stadtrat. „Er sagte, da könne man viel bewegen, auch für die Vereine, und das Amt bedeute etwa einen Termin pro Woche.“Roehring kann sich das Lachen nicht verkneifen: „Das war wohl etwas untertrieben, wie ich heute weiß.“
Das alles versucht er unter einen Hut zu bekommen mit seiner Führungsposition im Klinikum. In einer Zeit, in der das Krankenhaus in der Kritik steht für rigide Sparmaßnahmen, überfüllte Notaufnahme, wenig Personal für immer mehr Patienten, ist der Job eines Managers nicht sehr angenehm. „Ich wünschte, es würde nicht nur das Schlechte am Klinikum gesehen, sondern auch die hervorragende Versorgung, die am Klinikum jeden Tag geleistet wird, wie viele Menschen fürsorglich und mit Herzblut trotz der schwierigen Situation betreut werden.“Und das ganze Krankenhaus funktioniere ja nicht, weil zehn schlaue Leute an der Spitze stehen, die ihre Sache gut machen, sondern weil die rund 5500 Mitarbeiter professionell arbeiten und das gleiche Ziel verfolgen: das Beste für die Patienten. Derzeit hat Roehring besonders viel zu tun, denn der Übergang zur Uniklinik steht ja bevor. Ein riesiger Organisationsaufwand. Das bedeutet unzählige Vorstandssitzungen, Meetings, Papierkram. „Ich bin immer wieder begeistert, wie sehr sich unsere Mitarbeiter jeden Tag engagieren, versuchen, anderen zu helfen, Gutes zu tun und ihr Bestes zu geben in einer Zeit, die wirklich schwierig ist.“
Besonders schlimm war die Lage im vergangenen Herbst, als das überlastete Klinikpersonal unter anderem mit Streik klare Zeichen gesetzt hat, dass es so nicht weitergehen kann. „Wir haben viele kleine Maßnahmen zur Entlastung ergriffen“, erklärt Roehring. Es ist ein Balanceakt, unter verschärften Bedingungen wie Sparzwang und akutem Fachkräftemangel an den Krankenhäusern trotzdem eine Verbesserung für das Personal und die Patienten zu erreichen. „Das geht zum Beispiel durch ganz kleine organisatorische Maßnahmen.“Zum Beispiel wurden für das Auffüllen der Lagerbestände Hilfskräfte und Servicekräfte zur Unterstützung einge- stellt. Vorher musste das Pflegepersonal teilweise das Material in die Regale einräumen.
Roehring plädiert auch für einen anderen Blick auf den Pflegeberuf: „Wenn die Pflegenden nur als Pflege-,Kraft‘, also pure Arbeitskraft, gesehen werden, wird das dem Beruf nicht gerecht. Hier wollen schließlich Menschen anderen Menschen helfen, kommen ihnen ganz nah. Das wird dem Anspruch wirklich nicht gerecht.“
Seine Leidenschaft für den Pflegeberuf kommt nicht von ungefähr: Er ist selbst gelernter Kinderkrankenpfleger, hat nach seinem Zivildienst und der Ausbildung als junger Mann zehn Jahre auf der Kinderkrebs-Station gearbeitet – damals noch eine Frauendomäne. Ein anspruchsvoller Arbeitsplatz. „Was ich dort lernen durfte, davon profitiere ich bis heute.“Dort habe er erlebt, wie Familien in scheinbar ausweglosen Situationen immer noch Kraft schöpfen können, nicht aufzugeben. Und trotzdem ihr Schicksal zu akzeptieren. „Das hat mich tief beeindruckt und das lässt mich bis heute auch nicht los. Begonnen habe ich als Praktikant in der Spülküche des Klinikums, alles sehr wertvolle Lebenserfahrungen.“
Nicht verzweifeln, nicht aufgeben – das hat er dann als junger Mann ebenfalls schmerzlich lernen müssen. „Ich hatte mit 26 auf dem Weg zum Feuerwehreinsatz einen schweren Motorradunfall. Eine Zeit lang war nicht klar, ob ich jemals wieder laufen kann.“Diese Perspektive als Patient helfe ihm heute noch, vieles besser zu verstehen. Neun Monate lang lag er in verschiedenen Kliniken – Murnau, Klinikum Augsburg – und wurde 15-mal operiert. Seine Prognose war eine Zeit lang schlecht. Doch nach mehr als einem Jahr Physiotherapie und 450 Behandlungen hat er sich seine Mobilität zurückerobert.
Er habe das Glück gehabt, dass Familie, Freunde und Kollegen ihm in dieser Zeit beistanden. „Im Klinikum war ich selten eine halbe Stunde allein, und ganz viele Menschen haben mich immer wieder motiviert, nicht aufzugeben.“Mit Sport versucht er seither, seine Gelenke und Knochen fit zu halten.
Doch weil klar war, dass er körperlich dem anstrengenden Beruf des Pflegers vermutlich nicht mehr gewachsen sein würde, hat Roehring dann berufsbegleitend ein Studium in Pflegemanagement begonnen. Nach seinem Abschluss wurde er zum pflegerischen Leiter der Kinderklinik.
Aktuell studiert Jörg Roehring an der Universität Ulm für seinen Master in Wissenschafts- und Innovationsmanagement. Heute trägt er als stellvertretender Pflegevorstand für 2400 Mitarbeiter die Verantwortung. Die drückt manchmal schwer. „Man muss gut auf sich aufpassen. Aber meine Familie gibt mir großen Rückhalt.“Die Zeit mit Frau und Kindern sei zwar knapp, aber extrem wertvoll. Überhaupt ist das ein inniger Wunsch von Jörg Roehring: mehr Zeit zu haben.