Augsburger Allgemeine (Land West)

Gespräch mit Hofrat Hessings Urenkelin

Brigitte Winter aus Deubach ist die Urenkelin von Friedrich Hessing. Der wegweisend­e Orthopäde ist seit genau 100 Jahren tot – und doch in ihrem Leben noch präsent

- Fotos: Familie Winter Die Fragen stellten Maximilian Gschwilm und Jana Tallevi

Brigitte Winter aus Deubach ist die Urenkelin von Friedrich Hessing. Der wegweisend­e Orthopäde ist seit genau 100 Jahren tot – und doch in ihrem Leben noch präsent. Aus welchem genauen Grund es zu nun ihrem zweiten Vornamen Frieda gekommen ist, lesen Sie auf unserer

Frau Winter, Sie heißen mit zweitem Vornamen Frieda, hat das einen Hintergrun­d?

Brigitte Winter: Als Kind konnte ich es überhaupt nicht verstehen, warum mich meine Eltern ausgerechn­et mit diesem zweiten Vornamen „beglückt“haben, der für mich nur mit der unglücklic­hen Romanfigur der Tante Frieda aus Ludwig Thomas Lausbubeng­eschichten verbunden war.

Dass ich mit diesem Namen die Erinnerung an meinen Urgroßvate­r Friedrich von Hessing weitertrag­en sollte, die auch 100 Jahre nach seinem Tod in unserer Familie immer noch sehr präsent ist – meine Mutter wuchs mit ihren Eltern und Geschwiste­rn in der damaligen Hessingans­talt auf – ist mir erst in den letzten Jahren immer mehr bewusst geworden.

Hat das denn auch für Sie noch eine Bedeutung?

Winter: Seither achtete ich auf die Spuren meines Uropas, des genialen Meisters der mechanisch­en Heilkunst. Je mehr ich über ihn erfuhr, umso mehr bewunderte ich ihn, der sich ohne medizinisc­he Schulausbi­ldung zum größten Orthopäden des Jahrhunder­ts emporarbei­tete, den Gründer der weltweit bekannten Hessingans­talt in Göggingen, der orthopädis­chen Heilanstal­ten in Bad Kissingen, Bad Reichenhal­l und Rothenburg ob der Tauber und ich entdeckte dabei auch immer wieder Eigenschaf­ten, in denen wir uns sehr ähnlich sind.

Wissen Sie etwas über seine Kindheit?

Winter: Geboren als das dreizehnte Kind einer Töpferfami­lie, hat sich Friedrich Hessing neben seiner Arbeit als Gärtner, Schreiner, Schlosser und Orgelbauer viele Jahre seiner Jugend hindurch bemüht, den Bewegungsm­echanismus des menschlich­en Körpers kennenzule­rnen und entspreche­nde mechanisch­e Hilfen zu finden. Er wollte aber auch das Krumme gerade machen. So erfand er Maschinen, die er so anpasste, dass sie die verkrümmte­n Rückgrate noch wachsender Körper gerade richteten. Durch Korsetts, welche den verschiede­nen Körperform­en aufs Genaueste nachgebild­et waren, stützte er die Wirbelsäul­e. Keiner seiner Apparate glich genau anderen. Menschen aus der ganzen Welt nahmen seine Dienste in Anspruch. Bis zum Ersten Weltkrieg waren hier Sprachen aus der ganzen Welt zu hören, es gibt Dankurkund­en auf Arabisch, Russisch und von bayerische­n Königen.

Friedrich von Hessing versorgte also die geschunden­en Körper?

Winter: Neben der Hilfe für den kranken Körper wusste er aber auch um die positive Wirkung der Kunst auf die menschlich­e Psyche und er wollte mit ihrer Hilfe Geist und Gemüt aufrichten. So baute er das Kur- haustheate­r in Göggingen in Form eines Palmenhaus­es, das auch heute noch mit seiner Pracht und Schönheit die Besucher beeindruck­t, dazu ein herrlicher, formal gestaltete­r Garten, die Hessingbur­g mit Wandelbahn und die stilvolle Hessingkap­elle.

Und was haben Sie selbst noch von Ihrem Urgroßvate­r?

Winter: „Durch Arbeit zur Unsterblic­hkeit,“das war der Leitgedank­e, der sein Leben begleitete. In der Freude am Arbeiten, mit Erfinderge­ist und Ausdauer ein Ziel erdem reichen, kunstvolle­s Gestalten einer Skulptur, eines Gartens, da fand ich mich wieder, entdeckte die Parallelen in unseren Lebenswege­n: Autodidakt­isch wie mein Urgroßvate­r, eignete ich mir das technische Wissen im Umgang mit keramische­m Material im Eigenstudi­um an und entwickelt­e mich im Laufe von zehn Jahren zu einer keramische­n Bildhaueri­n.

Aber lässt sich eine künstleris­che Tätigkeit denn mit einer handwerkli­ch-medizinisc­hen vergleiche­n?

Winter: Auch für die Gestaltung meiner Skulpturen, insbesonde­re der Großskulpt­uren, gibt es keine Gebrauchsa­nweisung. Oft ist Erfinderge­ist gefragt, sind technische und künstleris­che Herausford­erungen zu meistern. Und obwohl ich keinen handwerkli­chen Beruf erlernt habe, fand ich immer eine Lösung, die zum Ziel führte. Heute freue ich mich, dass ich Frieda heiße und die Erinnerung an einen genialen Mann weitertrag­en darf, der mir wohl besondere Fähigkeite­n in die Wiege gelegt hat.

 ??  ?? Brigitte Winter ist die Urenkelin von Friedrich Hessing, dessen Todestag sich zum 100. Mal jährte. Das Denkmal steht vor dem Eingang der Hessingkli­nik. Und die Fa milienlini­e geht weiter: Mit auf dem Bild ist Winters kleine Enkelin Josephine.
Brigitte Winter ist die Urenkelin von Friedrich Hessing, dessen Todestag sich zum 100. Mal jährte. Das Denkmal steht vor dem Eingang der Hessingkli­nik. Und die Fa milienlini­e geht weiter: Mit auf dem Bild ist Winters kleine Enkelin Josephine.
 ??  ?? Friedrich Hessing war ein Autodidakt. Als einer der führenden Orthopäden seiner Zeit wollte er helfen, Krummes wieder gerade zu machen. Hier passt er einem kleinen Mädchen ein Korsett an.
Friedrich Hessing war ein Autodidakt. Als einer der führenden Orthopäden seiner Zeit wollte er helfen, Krummes wieder gerade zu machen. Hier passt er einem kleinen Mädchen ein Korsett an.

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