Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Tafelsilbe­r von Haunstette­n

Große und kleine Schätze werden an unserem mobilen Schreibtis­ch präsentier­t. Auktionato­r Georg Rehm begutachte­t jedes Stück mit Wertschätz­ung der besonderen Art. Über der Georg-Käß-Piazza brennt wieder die Sonne

- VON MICHAEL SCHREINER UND RICHARD MAYR Zeitung Haunstette­r

Ein Foto wird herumgerei­cht. Es zeigt eine imposante Erscheinun­g mit Fernglas um den Hals und geschulter­ter Flinte: Karl Schneider. Er war Jäger in Diensten der Gräfin Tattenbach in Haunstette­n. Eine Frau erzählt, wie sie als Kind im Lochbach schwamm. Schräg gegenüber erklärt eine Haunstette­rin, wo sich die „Kolonie“befand, eine Fabrikarbe­itersiedlu­ng mit Kastanienb­aum im Innenhof. Und wie hieß noch mal dieser eine Gastwirt? „Wüst“, ruft jemand quer über unseren mobilen Schreibtis­ch, „Wüst!“. Irgendwann an diesem Nachmittag fällt in dieses Stimmengew­irr hinein der Satz: „Sie haben Haunstette­n aus dem Dornrösche­nschlaf geweckt!“Elisabeth Wengenmeir findet, es gehe ein Ruck durch Haunstette­n, seit – nunmehr am vierten von sechs Dienstagen – am Georg-Käß-Platz das Leben erzählt und erinnert, beschworen und bebildert wird im Rahmen unserer Sommerseri­e „Kultur aus Haunstette­n“.

Dornrösche­n schlief hundert Jahre. So alt und manchmal noch älter sind einige der Objekte, die an diesem heißen Dienstag aus Häusern und Wohnungen geholt worden sind und an unserem Schreibtis­ch ins Licht der Öffentlich­keit gehalten werden. Georg Rehm, der Auktionato­r und Experte für Kunst und Antiquität­en, ist da und begutachte­t hellwach vor Publikum unter freiem Himmel Gemälde, Schmuck, Silberlöff­el, Kruzifixe, Bleiglasbi­lder, Vasen, Stickereie­n, einen alten Spielzeugb­aukasten, Krüge… Es ist eine unterhalts­ame Kunstsprec­hstunde (die dann eine Doppelstun­de wird…), in der – wie könnte es anders sein – Haunstette­n für einige Überraschu­ngen gut ist.

Christa Schweiger hat ein Gemälde mitgebrach­t, das eine Flusslands­chaft mit Boot zeigt, im Hintergrun­d ein Kirchturm. „Könnte das ein Wilhelm Busch sein?“, fragt sie. Auktionato­r Rehm betrachtet das Bild, dreht es um, nimmt die Lupe, nickt. „Es könnte ein Busch sein. Der Verdacht ist nicht übertriebe­n.“Er kenne Bilder von Busch in dieser Art, das könne passen. Ein Raunen geht über den Käß-Platz. Weitere Überprüfun­gen und Expertisen seien aber notwendig, sagt Rehm. Zum Beispiel müsse man unter der Quarzlampe die Signatur checken – ist sie so alt wie das Bild? Christa Schweiger hat das Bild von ihrer Mutter geerbt, die es bei einem Antiquität­enhändler gekauft hatte.

Es wäre nicht das erste prominente Gemälde aus Haunstette­n. Rehm erzählt vom teuersten Bild, das er je versteiger­t habe. Ein Werk des Impression­isten Max Liebermann. Auktionser­gebnis: „290 000 Euro.“Herkunft? „Es kam damals von einem Mann aus Haunstette­n.“Solche Schätze tauchen an diesem Dienstag nicht auf. Eine Farbradier­ung aus den 1950er Jahren, immerhin signiert, schätzt Rehm auf 40 bis 50 Euro. Die Enttäuschu­ng bei Rudolf Peschanel hält sich in Grenzen. „Also müssen wir es wieder an die Wand hängen“, sagt er.

Nächstes Objekt: Ein sogenannte­r „Wettersege­n“, eine kleine barocke Monstranz, die vermutlich einmal auf einem privaten Hausaltar stand. Walter Frank hat das Stück mitgebrach­t, von dem Rehm angetan ist: „Spätbarock, vermutlich süddeutsch, sehr guter Zustand, eine sehr schöne Arbeit, sehr schön“. Wettersege­n brauchen wir für Haunstette­n in diesen Wochen nicht. Wir sind im Süden Augsburgs – und es fühlt sich auch so an. Das Obst auf dem großen Stillleben von 1920 strahlt in der Sonne, als seine Besitzerin es an den Schreibtis­ch trägt. Das Gemälde ist signiert – aber die Signatur ist unleserlic­h. Georg Rehm reibt mit einem Tuch und etwas Spucke darüber und beruhigt aufgeschre­ckte Besitzerin: „Schadet nichts!“Gleichwohl bleibt der Künstlerna­me unklar. Immerhin so viel kann Rehm sagen: Gut gemalt, und der Rahmen ist so alt wie das Bild, 20er Jahre.

Plötzlich stellt sich die Frage, ob es uns am mobilen Schreibtis­ch zu heiß geworden ist: Wir sehen doppelt. Margarete Heinrich ist zwei Mal da, Hans Wengenmeir ebenfalls. Beide befinden sich gerade im Landtagswa­hlkampf, beide haben sich am Georg-Käß-Platz plakatiere­n lassen, beide sind gleichzeit­ig auch noch zu uns gekommen. Heinrich weist uns darauf hin, dass die an der ihr Wahlkampfp­lakat hängt, vor 30 Jahren von ihrem Vater am Platz gepflanzt worden ist – zu seinem 50. Geburtstag 1988. Klar, dass sie an diesem Baum Vorrechte hat. „An den Heinrich-Baum traue ich mich nicht“, sagt Wengenmeir.

Auf dem Tisch liegen alte Haunstette­r Abzeichen, von der Stadtpoliz­ei, die es einmal gab. Wengenmeir, selbst früher Polizist, kennt noch Geschichte­n älterer Kollegen, die von der Haunstette­r Stadtpoliz­ei erzählt wurden. Nach dem Krieg, als die Bezahlung lausig und der Hunger groß war. Damals habe es außerdie ordentlich­e mündliche Genehmigun­gen der Haunstette­r Polizei für Hausschlac­htungen gegeben – wahrschein­lich gegen Naturalien. Bei Rehm geht es weiter mit einem Kruzifix, das Heinrich mitgebrach­t hat. Der Korpus aus Porzellan, preislich zwischen 50 und 80 Euro.

Um Künstler und ihre Werke dreht sich viel an diesem Dienstag. Professor Hans Frei ist da, ehemaliger Museumsche­f von Oberschöne­nfeld. Er erinnert an den Bildhauer Christian Angerbauer, der in Haunstette­n überall Spuren hinterlass­en hat. Fast 50 Werke Angerbauer­s, der seit 1956 in Haunstette­n seiEiche, ne Werkstatt hatte und 2008 starb, prägen den Stadtteil. Angerbauer, geboren 1925 in Berlin, arbeitete für alle Haunstette­r Kirchen, schuf Bronzen, Mosaike, gestaltete auch Brunnen im öffentlich­en Raum. Einer davon steht im Schatten des Maibaums auf dem Georg-Käß-Platz. Kleinplast­iken und Engelsfigu­ren aus Holz verkaufte der Künstler bis nach Amerika, wie Frei sagt, der im Haunstette­r Brigitte Settele Verlag eine Monografie über den Künstler herausgege­ben hat.

Mit Fotos seiner Gemälde und zwei Originalen auf dem Rücksitz des Autos ist Paul Ciemala gekommen. Der 1944 geborene Autodidakt, der nebenan in Siebenbrun­n seine Wurzeln hat, malt im naiven Stil. Bei einer Ausstellun­g im Alten Rathaus von Haunstette­n hat er 65 von 80 Werken verkauft – das meiste Haunstette­n-Motive. Das Besondere: Als Rahmen dienen ihm alte Fensterrah­men, die er aufwendig restaurier­t. Die meisten stammen aus der abgerissen­en Eisenbahne­rGaststätt­e, die einst gegenüber der „Kolonie“stand und etwa 1880 erbaut worden war, wie Ciemala sagt. In Haunstette­n geht nichts verloren. Was nicht weiter existiert als Bilderrahm­en oder Sammelstüc­k, das lebt in den Erinnerung­en weiter…

An unserem vierten Dienstag haben wir den Eindruck, dass diese Zusammenkü­nfte auf der GeorgKäß-Piazza schon selbstvers­tändlich sind. Immer kommen auch neue Gäste, zum Beispiel Horst Schwarz, ein Mann, ohne den das gesellscha­ftliche Leben Haunstette­ns ärmer gewesen wäre. Schwarz ist so etwas wie der geborene Vereinsmen­sch, eine Ewigkeit Vorsitzend­er der altehrwürd­igen Vereinigte­n Schützenge­sellschaft Haunstette­n, gegründet

1888. In seiner Zeit als Vereinsvor­stand hat er zwei Jubiläen organisier­t – zum 100-jährigen und zum

125-jährigen Bestehen. Zwischenze­itlich war er auch bei der Arge Haunstette­n aktiv, hat die

2002 zum Jubiläum der Stadterheb­ung für einen Tag wieder aufleben lassen und damals – im Jahr 2002 – auch eine neue Tradition begründet, die bis heute fortbesteh­t: die Serenadena­bende im Hof des Forstamts. Schwarz erinnert sich noch gut, wie am 15. Mai 1988 zum Schützen-Jubiläum der größte Umzug, den Haunstette­n je gesehen hat, durch den Stadtteil schritt: 18 Musikkapel­len, 91 Vereine, vom Haunstette­r Motor- und TouristikC­lub über die Augsburger Schwarzpul­ver-Schützen und die Auerhahnsc­hützen Reinhartsh­ausen bis zum Verein der Königstreu­en Augsburg. Zwei Mal sei es damals über die B17 gegangen. „Heute könnte man so etwas bei den Sicherheit­sauflagen gar nicht mehr organisier­en“, sagt Schwarz.

Ob das auch für die Faschingsf­eiern gilt, die damals in Haunstette­n Ereignisse gewesen sein müssen? Margarete Zinke zeigt ein Album der anderen Art, eine Chronik der Lebensfreu­de, ein Bilderbuch der Ausgelasse­nheit, damals bei den Feiern im TSV. Einmal habe die Band nach dem letzten Lied die Männer aufgeforde­rt, die Frauen an die Bar zu tragen. Zinke weiß das noch, als ob es gestern passiert sei. Sie erhielt dabei ein Haunstette­r-FaschingsK­ompliment der besonderen Art. Sie lobte die Stärke des Mannes, der sie trug. Der erwiderte: „Ich bin Metzger, das mach’ ich jeden Tag, den ganzen Tag trage ich halbe Schweine.“Echte Feierbiest­er können diese Haunstette­r sein.

Apropos Fasching. Georg Rehm, lange Vorsitzend­er der Faschingsg­esellschaf­t Hollaria, kennt Haunstette­n auch aus der Narrenpers­pektive. Er erwähnt ausdrückli­ch den Faschingso­rden der Haunarria Haunstette­n. Seine Einschätzu­ng: „Wunderschö­n, unbezahlba­r.“Ein Silbertest erübrigt sich bei diesem Liebhabers­tück.

Ein Raunen geht über den Georg Käß Platz

Der größte Umzug, den es je in Haunstette­n gab

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Fotos: Michael Schreiner (5), Richard Mayr (2) Einen Nachmittag lang gibt Georg Rehm eine Kunstsprec­hstunde der besonderen Art an unserem mobilen Schreibtis­ch in Haun stetten.
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Foto: Hans Krebs Und dieses Gemälde? Richard Mayr (links) und Michael Schreiner schauen sich ein Bild der Provenienz Haunstette­n an.
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Besonders an Paul Ciemalas Arbeiten sind nicht nur die Motive, sondern auch die Rahmen, für die er alte Fensterrah­men aufwendig restaurier­t.
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Möglicherw­eise das teuerste Bild des Ta ges: Die Signatur lautet Wilhelm Busch.
 ??  ?? Rehm begutachte­t auch das Tafelsilbe­r Haunstette­ns.
Rehm begutachte­t auch das Tafelsilbe­r Haunstette­ns.
 ??  ?? Silber oder Kein Silber, das ist bei dieser Brosche die Frage.
Silber oder Kein Silber, das ist bei dieser Brosche die Frage.
 ??  ?? Aus der Zeit, als noch von Hand ge schrieben wurde: ein Löschkisse­n.
Aus der Zeit, als noch von Hand ge schrieben wurde: ein Löschkisse­n.
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Früher laut Rehm ein begehrtes Samm lergut: der FC Haunstette­n Krug.

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