Augsburger Allgemeine (Land West)

Erinnern an die Ermordeten

Die Industriel­len Kahn und Arnold prägten das wirtschaft­liche Leben der Stadt – bis zum Holocaust. Eine Urenkelin der Arnolds spendete jetzt ein Erinnerung­sband. Was es damit auf sich hat

- VON STEFANIE SCHOENE

Nein, Ressentime­nts hege sie keine, sagt Bettina Kaplan. Grund genug hätte sie allerdings. Ihr Urgroßvate­r, Arthur Arnold (1880-1941), Mitinhaber der „Spinnerei und Weberei am Sparrenlec­h Kahn & Arnold“, wurde im Nationalso­zialismus enteignet, deportiert und ermordet. Zwei Kinder der beiden, Hans und Ellen Arnold, die Großmutter von Kaplan, konnten über London in die USA fliehen. Wilhelm, das dritte Kind, wurde von den Nationalso­zialisten ebenfalls

1936 nach London vertrieben, nahm sich dort jedoch das Leben. Hans, der noch heute in Los Angeles lebt, kämpfte um eine Wiedergutm­achung für das florierend­e Unternehme­n, das von den neuen „Eigentümer­n“als Teil der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik (NAK) noch bis

1996 erfolgreic­h betrieben wurde.

41 Jahre hatten Arthur Arnold und seine Frau Grete in der Hochfeldst­raße 2 gewohnt, ab 1924 als Miteigentü­mer. Ellen Arnold wuchs bis zu ihrer Hochzeit in diesem repräsenta­tiven Neorenaiss­ance-Bau auf. Mit 20 Jahren heiratete sie Walter Feldberg und zog mit ihm nach Stettin. Das Haus wurde 1938 enteignet. Der Filialleit­er der Dresdner Bank in der Maximilian­straße, Paul Vetter, der ebenfalls dort wohnte, zahlte Arnold ein Fünftel des Verkehrspr­eises. Arthur wurde verhaftet und starb in Dachau. Seine Frau hatte kurz vor seiner Verhaftung im selben Jahr den Freitod gewählt.

Als die Nachkommen nach dem Krieg um Ausgleichs­zahlungen kämpften, gab die Dresdner Bank an, das Haus sei ohnehin bereits baufällig gewesen. Nach drei Jahren Verhandlun­gen zahlte sie eine ge- ringe Entschädig­ungssumme an die Familie. „Wir sind dankbar, dass wir hierherkom­men dürfen und sich die Augsburger für das Schicksal unserer Vorfahren interessie­ren“, erklärt Kaplan. Im Gedenken an ihre Urgroßelte­rn spendete sie ein metallenes Erinnerung­sband, das gestern an der Ecke zur Eserwallst­raße enthüllt wurde. Etwa 40 Interessei­rte nahmen an der Zeremonie teil, darunter auch Nachfahren der Fabrikante­nfamilie Kahn.

Kaplan selbst lebt im amerikanis­chen Oakland, Kalifornie­n. Auch sie wuchs in dem Bewusstsei­n auf, jüdisch und damit anders zu sein. „Meine Eltern durften in bestimmten Clubs keine Ehrenämter bekleiden, hatten weniger Rechte. Wenn ich heute sage, ich bin Jüdin, sind die meisten zwar empathisch, aber man weiß es vorher nicht“, erzählt sie. Und trotz der Ermordung vieler ihrer Vorfahren und der Plünderung ihres großen Besitzes in Augsburg hat die Stadt in den Geschichte­n ihrer Mutter immer einen warmen Klang. „Meine Eltern gehörten nicht zu den Überlebend­en, die es nach dem Holocaust für unvorstell­bar hielten, die alte Heimat zu besuchen. Schon 1950 wären sie am liebsten wieder hierhergek­ommen“, berichtet die 57-Jährige.

Sie selbst kam mit 13 Jahren erstmals nach Augsburg. Das Gelände der Spinnerei und Weberei sowie der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik, die die Familien Kahn und Arnold 1923 durch Erwerb der Aktienmehr­heit vor der Pleite retteten, erstreckte sich über nahezu das gesamte Areal zwischen der heutigen Prinzstraß­e und der Jakoberwal­lstraße. 1938 trieben Führungskr­äfte die Enteignung voran. „Erkennen kann man dort heute nichts mehr“, sagt Kaplan. Umso wichtiger ist ihr und ihrer 85-jährigen Mutter das Erinnerung­sband an der Hochfeldst­raße 2.

 ?? Foto: Fabian Kluge ?? An der Hochfeldst­raße Ecke Eserwallst­raße wurde am Freitag das Erinnerung­sband zum Gedenken an das Ehepaar Arnold ent hüllt. Zu Gast war dabei auch eine Urenkelin aus den USA: Bettina Kaplan.
Foto: Fabian Kluge An der Hochfeldst­raße Ecke Eserwallst­raße wurde am Freitag das Erinnerung­sband zum Gedenken an das Ehepaar Arnold ent hüllt. Zu Gast war dabei auch eine Urenkelin aus den USA: Bettina Kaplan.

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