Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Kunst, die nichts bezweckt

Koho Mori-Newton hat einen radikalen Weg eingeschla­gen. Seine Arbeiten verweisen nicht auf die Welt und haben dort kein Gegenüber

- VON RICHARD MAYR

Fünf Linien übereinand­er, mehr nicht. Hier ein bisschen ausradiert, dort ein wenig retuschier­t. Nicht perfekt, vor allem aber ohne eine Aussage, ohne Überhöhung. Einfach nur Linien, die auf dem Papier sind, übereinand­er gehängt, in Serie. Diese Kunst, die das Textil- und Industriem­useum Augsburg in der neuen Sonderauss­tellung mit dem Titel „No Intention“zeigt, möchte nichts bezwecken, was jenseits dieser Kunst liegt – keine Welt darstellen, keine gesellscha­ftspolitis­chen Debatten anstoßen.

Und es stellt sich beim Betrachten natürlich erst einmal ein Unbehagen ein: Denn Kunst, die nichts will, ist naturgemäß nicht aufdringli­ch, nicht marktschre­ierisch, nicht plakativ, eine solche Kunst ist leise, geradezu verschwieg­en. Man nähert sich ihr meditativ, muss Tempo herausnehm­en, sich der inneren Unruhe stellen – und hoffen. Hoffen, dass sich die Werke des japanische­n Künstlers Koho Mori-Newton von selbst offenbaren.

Das Textil- und Industriem­useum hat Mori-Newton, der 1951 in Katsuyama geboren ist, und von 1979 bis 1985 an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert hat, eine Retrospekt­ive auf der Sonderauss­tellungsfl­äche im ersten Stock zusammenge­tragen. Einige Arbeiten sind direkt für die Ausstellun­g entstanden, etwa der Pfad aus Seide, raumhohe Seidenbahn­en, die Mori-Newton bemalt hat – in gedeckten Tönen ohne konkret-gegenständ­liche Motive. Ein Irrgarten ohne Zentrum und Ziel ist entstanden, ein Raum, der zum Verweilen einlädt.

Vielleicht auch deshalb sind die Glasscheib­en in dieser Ausstellun­g nicht abgehängt, sondern offen. Das Tageslicht fällt so zusätzlich herein und verändert die Lichtstimm­ung je nach Uhrzeit und Bewölkungs­grad. Der geduldige Betrachter, der Verweilend­e wird belohnt.

Mori-Newton geht es in seinen Arbeiten um die Linie oder den Kreis an sich. Die Farbigkeit ist nicht grell, nicht plakativ. Von der Perfektion, die in Japan ein Ideal des Künstlers ist, hat sich Mori-Newton weit entfernt. Auf seinen Linien, Kreisen, Liniengesp­insten sind immer alle Ausbesseru­ngen zu sehen. Damit will er auch zeigen, wann er etwas als richtig und falsch empfingroß­en det. Eine Kunst also, die ihr eigenes Entstehen mit zum Thema macht und um das Sehen selbst kreist.

Mori-Newton adelt in seinen Serien außerdem die Kopie, die gemeinhin in der Kunst als nachgeordn­et und minderwert­ig gilt. Nicht so bei ihm. Jedes Blatt ist gleichbere­chtigt. Und natürlich drängt sich da auch die Frage auf, was das ist, was Mori-Newton künstleris­ch antreibt, wenn er Kreis um Kreis um Kreis oder Linie um Linie zeichnet. Bei ihm wird eine Kraft sichtbar, die noch hinter jeder Absicht und jedem Zweckdenke­n steckt. Ein Künstler, der Grundlagen­forschung macht, der sich vor Wiederholu­ngen nicht scheut. Bei ihm geht es um das Kunstschaf­fen an sich, um das Grundsätzl­iche.

Sinnlich wird die Ausstellun­g dann mit den Objekten. Dafür hat Mori-Newton zum Beispiel Alltagsgeg­enstände wie Blumentopf oder Teetasse so mit weiteren Dingen kombiniert, dass sie ihre Funktion und Bedeutung einbüßen. Mathematis­ch hieße das, durch das Addieren von Dingen eine Subtraktio­n von Bedeutung herbeizufü­hren. Und schon fallen einem die Formen an sich an den Dingen auf. Da stellen sich sofort Korrespond­enzen zu den anderen Arbeiten in der Ausstellun­g ein.

 ??  ?? Ein Pfad aus Seide – so heißt diese Installati­on des japanische­n Künstlers Koho Mori Newton im Textil und Industriem­useum Augsburg. Das Museum zeigt eine Retrospekt­ive auf das Werk des Künstlers.
Ein Pfad aus Seide – so heißt diese Installati­on des japanische­n Künstlers Koho Mori Newton im Textil und Industriem­useum Augsburg. Das Museum zeigt eine Retrospekt­ive auf das Werk des Künstlers.
 ??  ?? Kreiszeich­nungen von Koho Mori Newton im Tim.
Kreiszeich­nungen von Koho Mori Newton im Tim.

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