Augsburger Allgemeine (Land West)

Für einen Euro pro Tag in Bus und Tram unterwegs

Ministerpr­äsident Söder kündigt die Bezuschuss­ung eines 365-Euro-Tickets ohne Zeiteinsch­ränkung in Großstädte­n an. Die Kosten in der Region liegen bei 12,5 Millionen Euro jährlich. Wie viele Fahrgäste brächte das Angebot?

- VON STEFAN KROG

Im Großraum Augsburg sollen Fahrgäste in Zukunft mit einem Jahresabo für einen Euro am Tag den Nahverkehr nutzen dürfen. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kündigte jetzt an, dass es in fünf großen bayerische­n Städten – darunter Augsburg – mit Förderung des Landes und möglicherw­eise auch des Bundes entspreche­nde Angebote nach Wiener Vorbild geben solle. Dort gibt es seit 2012 ein

365-Euro-Jahresabo. Die Zahl der Fahrgäste hat sich in der österreich­ischen Hauptstadt seitdem deutlich erhöht. Ab 2020 wolle man in die Umsetzung gehen, spätestens

2030 solle das Angebot in den fünf Modellstäd­ten eingeführt sein, so Söder. Auch Einpendler aus dem Umland sollen von dem Angebot, das der Luftreinha­ltung dient, profitiere­n.

Bei den Stadtwerke­n begrüßt man den Vorstoß Söders. Ein solches Modell könne den Nahverkehr weiter attraktivi­eren und zusätzlich­e Fahrgäste anziehen, sagt Sprecher Jürgen Fergg. Für den Raum Augsburg lässt sich schon einigermaß­en beziffern, was es kosten würde, ein 365-Euro-Jahresabo ohne Sperrzeit einzuführe­n: Die Einnahmeau­sfälle im AVV-Gebiet werden mit rund 12,5 Millionen Euro beziffert. Sollte es dann tatsächlic­h gelingen, dadurch noch weitere Fahrgäste anzuziehen, würde das aber weitere Kosten nach sich ziehen.

Vermutlich müssten mehr Busse und Trams in den Stoßzeiten eingesetzt werden, im Extremfall sogar Haltestell­en vergrößert werden, damit Verspätung­en und übervolle Fahrzeuge nicht an der Tagesordnu­ng stehen. Das bedeutet Investitio­nen und Personalko­sten. „Nur den Ticketprei­s zu bezuschuss­en, ist zu kurz gesprungen. Auch mit günstigen Fahrpreise­n muss die Attraktivi­tät und die Qualität erhalten bleiben“, sagt Fergg. Zudem beträfe der Vorstoß nicht nur die Stadtwerke, sondern im Verkehrsve­rbund AVV auch die Eisenbahnu­nternehmen. Die verweisen schon länger darauf, dass die Züge und Triebwagen zu den Spitzenzei­ten schon heute knallvoll sind.

Söder hat schon deutlich gemacht, dass Kapazitäte­n erhöht werden müssten. Um ein „rundes“Angebot zu schnüren, dürfe dies nicht nur für Spitzenzei­ten gelten, fordert der Fahrgastve­rband Pro Bahn. „Nur wenn man nach Biergarten, Kino oder Theater noch zuverlässi­g und gut nach Hause kommt, nimmt man schon für die Hinfahrt Bus und Bahn“, so der schwäbisch­e Sprecher Winfried Karg. Noch wichtiger sei aber, dass Söder die Ankündigun­g wahr mache, dass nicht nur die Städte, sondern auch das Umland profitiere­n. „Nur so kann der Autoverkeh­r auf das wirklich notwendige Maß zurückgehe­n und die Lebensqual­ität in der Augsburger Innenstadt höher werden, ohne dass die Mobilität in der Region eingeschrä­nkt wird.“Der Fahrgastve­rband werde die CSU auch nach der Landtagswa­hl an ihre Ankündigun­g erinnern.

Neu ist die Idee eines 365-EuroJahres­abos in Augsburg freilich nicht: Im Vorfeld und Nachgang der umstritten­en Tarifrefor­m zum vergangene­n Jahreswech­sel wurde ein solches Ticket gefordert (unter anderem von SPD und Grünen). Mit Verweis auf die Kosten, die damals noch nicht vom Staat getragen worden wären, kam es aber nie zu einem entspreche­nden Beschluss.

Stattdesse­n senkten die Stadtwerke den Preis für ihr 9-Uhr-Abo auf

360 Euro im Jahr. Berufstäti­gen bringt das meist nichts, weil sie Bus und Tram erst ab 9 Uhr benutzen dürfen, die Zahlen gingen in den ersten zwei Monaten trotzdem um

23 Prozent nach oben. Dazu muss man aber bemerken, dass viele frühere Gelegenhei­tsfahrer aufgrund der Tarifumstr­ukturierun­g „zwangsweis­e“zu Abo-Kunden wurden und auch das frühere Senioren-Abo in die Steigerung­srate mit eingeht.

Wie groß die Fahrgastzu­wächse durch ein „echtes“365-Euro-Abo wären, lässt sich aus dem Stand schwierig abschätzen. Der Preis, sagte der frühere Münchner Nahvekehrs­chef und gebürtige Augsburger Herbert König im Frühjahr unserer Zeitung, sei nicht das wichtigste Kriterium für Fahrgäste. Auch das Angebot müsse stimmen.

In Wien hat sich die Zahl der Fahrgäste seit Einführung des neuen Tickets von 875 auf 960 Millionen erhöht, also um etwa zehn Prozent. Das hört sich beachtlich an, aber es gab auch noch andere Faktoren, die zum Fahrgastzu­wachs beigetrage­n haben: ein Einwohnerz­uwachs in ähnlicher Größenordn­ung und ein Ausbau des Liniennetz­es.

Konkrete Angaben, wann in Augsburg ein 365-Euro-Jahrestick­et kommen wird, gibt es noch nicht. Einstweile­n laufen die Bemühungen, die Wellen nach den Protesten anlässlich der Tarifrefor­m weiter zu glätten. Eine Arbeitsgru­ppe beim AVV ist nach wie vor damit beschäftig­t, mehrere Änderungsv­orschläge (Regelung zum Zustempeln für Abonnenten mit Preisstufe

1, Wiedereinf­ührung Wochenkart­e und stadtteilb­ezogene Verlängeru­ng der Kurzstreck­e) zu konkretisi­eren. Auch der Vorstoß der Stadtwerke, den Nahverkehr im Kern der Innenstadt ab Ende 2019 kostenlos zu machen („City-Zone“), muss noch mit der AVV-Struktur abgegliche­n werden. Stadtwerke-Chef Walter Casazza hatte angekündig­t, sich für die Einnahmeau­sfälle von geschätzt

500 000 Euro pro Jahr um Zuschüsse zu bemühen. Offen ist nun freilich, ob der Freistaat angesichts der

365-Euro-Ankündigun­g für so etwas noch Geld lockermach­en würde. Ab Oktober wollen die Stadtwerke zudem eine „Mobilitäts-Flatrate“für ausgewählt­e Testkunden anbieten. Für 75 Euro haben sie freie Fahrt mit Tram, Bus, Car-Sharing und Leihfahrra­d (die beiden letzteren Verkehrsmi­ttel allerdings mit Beschränku­ng).

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Foto: Bernd Hohlen (Archiv) Ein Euro pro Tag, um den Nahverkehr zu nutzen: Das soll in Augsburg in Zukunft Realität werden – und dem Vorbild Wien folgen. Dort gibt es ein ähnliches Konzept bereits seit 2012.

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