Augsburger Allgemeine (Land West)
Ansturm auf den Fünffingerlesturm
Wegen des großen Interesses gab es nonstop Führungen. Die Reaktion auf die umstrittene Treppe fällt unterschiedlich aus: Vielen gefällt sie, andere finden sie einfach nur nützlich
Endlich geerdet und erstmals begehbar: Der Ex-Treppentorso am Fünffingerlesturm zog die Augsburger zum Tag des offenen Denkmals in seinen Bann. Die Alt-AugsburgGesellschaft bot nicht wie vorgesehen zwei Besichtigungstermine für je 15 Personen an, sondern gab nonstop Führungen. Noch vor dem ersten Startschuss standen 40 Interessenten vor dem Turm, der über zehn Jahre lang die Gemüter erhitzte.
Erst in den letzten drei Wochen wurde die Treppe, über die die Besucher von außen in den mittelalterlichen Turm gelangen, vervollständigt. Den seit 150 Jahren zugemauerten Wehrzugang im zweiten Stock legten die Maurer frei, unten verlängerten die Schlosser die im Nichts endende Treppe auf der Kanalseite hin bis zur Erde. Nach einem Baustopp 2008 hatten die Stufen an beiden Enden ins Nichts geführt. Politik, Alt-Augsburg-Gesellschaft und Bürgerinitiative waren so ineinander verhakt, dass trotz ordnungsgemäßer Baugenehmigung und dreier gewonnener Gerichtsverfahren nichts ging, und die Medien bundesweit über den „Augsburger Treppenwitz“spotteten.
Für Detlef Lange, der aus Norddeutschland stammt und seit 18 Jahren in Augsburg wohnt, ein klarer Fall: „Das war viel Dampf um nichts.“Wie die Treppe aussieht – ob aus Stahl und Beton, modernistisch oder historistisch – ist ihm egal. „Hauptsache, sie erfüllt ihre Funktion. Und das tut sie. Was man oben im Turm zu sehen bekommt, ist wirklich einmalig“, erklärt er. Von dem politischen Treppenstreit hat Laura Weber nichts mitbekom- men. Sie ist einfach begeistert, dass der geheimnisvolle Turm, um den sie mit ihrer Tochter, die auf die nahe Montessori-Schule geht, seit sechs Jahren neugierig herumgeschlichen ist, endlich geöffnet wird. Ihre Sorge war, dass der Sohn, den sie vor sieben Tagen geboren hat, später, womöglich genau am Tag des offenen Denkmals, zur Welt kommt. „Das hätte uns mächtig geärgert, wir freuen uns schon seit Wochen darauf, einen Blick in die- sen Märchenturm zu werfen“, sagt Weber lachend. Die Familie hat gezielt von Göggingen aus eine Wohnung in diesem Quartier gesucht, wohnt seit kurzem am Oblatterwall und genießt die kurzen Wege zur Stadt, zur Schule und in die historische Atmosphäre rings um den Kanal. Wie die Treppe aussieht, spielt für sie eine untergeordnete Rolle. „Hauptsache, sie führt zum Ziel.“
Ortrun Pentek hingegen hat auch zur Ästhetik eine Meinung: „Die Treppe ist doch schön. Ein Bauwerk, das historisch der alten Mauer nachempfunden worden wäre, hätte verkrampft und künstlich ausgesehen.“Es sei das Nebeneinander von alt und neu, das den Charme des Turms jetzt ausmache. Nur die schmale Spindeltreppe, auf der man innen vom zweiten Stock ins Dachgeschoss gelangt, sei für ältere Menschen schwer zu bewältigen. „Da lässt sich wohl nichts ändern, aber ein bisschen mehr Licht würde schon helfen“, so Pentek. Über die weiteren Nutzungsmöglichkeiten werde jetzt mit den zuständigen Stellen der Stadt, aber auch mit der Regio Tourismus diskutiert, erläutert Gerlinde Graf, langjähriges Mitglied der Alt-Augsburg-Gesellschaft. „Wir wollen natürlich nicht, dass der Turm nach dem Erfolg heute einfach wieder zugesperrt wird. Er soll für die Öffentlichkeit, zum Beispiel auch für Führungen, zugänglich sein“, sagt sie.