Augsburger Allgemeine (Land West)

Ansturm auf den Fünffinger­lesturm

Wegen des großen Interesses gab es nonstop Führungen. Die Reaktion auf die umstritten­e Treppe fällt unterschie­dlich aus: Vielen gefällt sie, andere finden sie einfach nur nützlich

- VON STEFANIE SCHOENE

Endlich geerdet und erstmals begehbar: Der Ex-Treppentor­so am Fünffinger­lesturm zog die Augsburger zum Tag des offenen Denkmals in seinen Bann. Die Alt-AugsburgGe­sellschaft bot nicht wie vorgesehen zwei Besichtigu­ngstermine für je 15 Personen an, sondern gab nonstop Führungen. Noch vor dem ersten Startschus­s standen 40 Interessen­ten vor dem Turm, der über zehn Jahre lang die Gemüter erhitzte.

Erst in den letzten drei Wochen wurde die Treppe, über die die Besucher von außen in den mittelalte­rlichen Turm gelangen, vervollstä­ndigt. Den seit 150 Jahren zugemauert­en Wehrzugang im zweiten Stock legten die Maurer frei, unten verlängert­en die Schlosser die im Nichts endende Treppe auf der Kanalseite hin bis zur Erde. Nach einem Baustopp 2008 hatten die Stufen an beiden Enden ins Nichts geführt. Politik, Alt-Augsburg-Gesellscha­ft und Bürgerinit­iative waren so ineinander verhakt, dass trotz ordnungsge­mäßer Baugenehmi­gung und dreier gewonnener Gerichtsve­rfahren nichts ging, und die Medien bundesweit über den „Augsburger Treppenwit­z“spotteten.

Für Detlef Lange, der aus Norddeutsc­hland stammt und seit 18 Jahren in Augsburg wohnt, ein klarer Fall: „Das war viel Dampf um nichts.“Wie die Treppe aussieht – ob aus Stahl und Beton, modernisti­sch oder historisti­sch – ist ihm egal. „Hauptsache, sie erfüllt ihre Funktion. Und das tut sie. Was man oben im Turm zu sehen bekommt, ist wirklich einmalig“, erklärt er. Von dem politische­n Treppenstr­eit hat Laura Weber nichts mitbekom- men. Sie ist einfach begeistert, dass der geheimnisv­olle Turm, um den sie mit ihrer Tochter, die auf die nahe Montessori-Schule geht, seit sechs Jahren neugierig herumgesch­lichen ist, endlich geöffnet wird. Ihre Sorge war, dass der Sohn, den sie vor sieben Tagen geboren hat, später, womöglich genau am Tag des offenen Denkmals, zur Welt kommt. „Das hätte uns mächtig geärgert, wir freuen uns schon seit Wochen darauf, einen Blick in die- sen Märchentur­m zu werfen“, sagt Weber lachend. Die Familie hat gezielt von Göggingen aus eine Wohnung in diesem Quartier gesucht, wohnt seit kurzem am Oblatterwa­ll und genießt die kurzen Wege zur Stadt, zur Schule und in die historisch­e Atmosphäre rings um den Kanal. Wie die Treppe aussieht, spielt für sie eine untergeord­nete Rolle. „Hauptsache, sie führt zum Ziel.“

Ortrun Pentek hingegen hat auch zur Ästhetik eine Meinung: „Die Treppe ist doch schön. Ein Bauwerk, das historisch der alten Mauer nachempfun­den worden wäre, hätte verkrampft und künstlich ausgesehen.“Es sei das Nebeneinan­der von alt und neu, das den Charme des Turms jetzt ausmache. Nur die schmale Spindeltre­ppe, auf der man innen vom zweiten Stock ins Dachgescho­ss gelangt, sei für ältere Menschen schwer zu bewältigen. „Da lässt sich wohl nichts ändern, aber ein bisschen mehr Licht würde schon helfen“, so Pentek. Über die weiteren Nutzungsmö­glichkeite­n werde jetzt mit den zuständige­n Stellen der Stadt, aber auch mit der Regio Tourismus diskutiert, erläutert Gerlinde Graf, langjährig­es Mitglied der Alt-Augsburg-Gesellscha­ft. „Wir wollen natürlich nicht, dass der Turm nach dem Erfolg heute einfach wieder zugesperrt wird. Er soll für die Öffentlich­keit, zum Beispiel auch für Führungen, zugänglich sein“, sagt sie.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Viele Menschen wollten am Sonntag das Innere des Fünffinger­lesturms besichtige­n. Dank der neuen Treppe konnten sie das. Das Interesse war so groß, das mehr Führungen als geplant angeboten wurden.
Foto: Annette Zoepf Viele Menschen wollten am Sonntag das Innere des Fünffinger­lesturms besichtige­n. Dank der neuen Treppe konnten sie das. Das Interesse war so groß, das mehr Führungen als geplant angeboten wurden.

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