Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer in Augsburgs Türmen „wohnt“

Jeder Augsburger kennt das Jakobertor. Aber kaum jemand weiß, was sich hinter den Mauern abspielt. Wir haben an drei bekannten Türmen in der Stadt angeklopft und wurden freundlich empfangen

- VON INA MARKS

Während unten der Verkehr fließt, wird oben gelernt, Kicker gespielt oder einem Vortrag gelauscht. Täglich fahren und laufen tausende Menschen am trutzigen Jakobertor vorbei. Die wenigsten wissen, dass sich hinter diesen dicken Mauern Menschen ihr eigenes kleines Reich geschaffen haben. Wie auch beim Wertachbru­cker Tor und beim Jakoberwal­lturm. Die Türme sind viel mehr als reine Wahrzeiche­n der alten Stadtbefes­tigung. Sie sind Denkmäler mit einem regen Innenleben.

Wenn Matthias Heinle mal Freunde mitnimmt und die gewaltige Tür aufsperrt, ist ihm das Erstaunen sicher. „Was, du hast einen Schlüssel zum Jakobertor?“, heißt es dann. Nicht nur der Lehramtsst­udent hat einen, auch andere Mitglieder von Rheno Palatia. Seit 20 Jahren nutzt die Burschensc­haft die Räume im Jakobertor, das 1346 erbaut wurde. Die Stadt Augsburg hat es an den Jugendhilf­everein vermietet, Untermiete­r ist die Studentenv­erbindung. „Als wir den Turm 2008 übernahmen, war er innen eine Ruine“, erzählt Werner Hauk, Mitglied der Burschensc­haft und Vorsitzend­er des Jugendhilf­evereins. Man habe viel Geld investiert, um die Räume herzuricht­en.

Im ersten Stock befinden sich ein Büro und ein großer Aufenthalt­sraum für die Studenten, wie man ihn sich vorstellt: In der Mitte steht ein Kicker, es gibt Sofas und eine Theke mit Barhockern. Hier treffen sich die Burschensc­haftler, lernen, reden oder feiern. Der Versammlun­gsraum auf der zweiten Etage wirkt offizielle­r, mit einem großen, langen Tisch und vielen Stühlen. „Hier veranstalt­en wir einen monatliche­n Treff mit Rednern zu verschiede­nen Themen“, berichtet Hauk. Auch Politiker seien zu Gast. Aufbewahru­ngsräume gibt es einige, ein Höhepunkt aber ist die Küche im dritten Stock. Nicht weil hier so viele steinerne Bierkrüge mit Wappen im offenen Regal stehen. Es ist der Blick durch das kleine Fenster auf die Innenstadt mit Jakoberkir­che und Rathaus, der beeindruck­t. Und was verbirgt sich hinter der Tür mit der Aufschrift „Sünde“? Hauk lacht. „Das ist die Damentoile­tte.“Die Burschensc­haft sei nur für Studenten, erklärt er. „Aber manchmal haben wir Frauen zu Gast.“Generell ist der Turm für die Öffentlich­keit nicht so oft zugänglich. Normalerwe­ise beteilige man sich am Tag des offenen Denkmals. Nur diesmal nicht, weil die Zugangstre­ppe saniert werden müs- se, erklärt Hauk. Gäste gibt es im Wertachbru­cker Tor häufiger.

Das bekannte Tor, das aus dem

14. Jahrhunder­t stammt, wird seit

1999 von der Schreineri­nnung Augsburg bespielt und Bürgern für besondere Anlässe anvertraut (siehe www.schreiner-innung-augsmännli­che burg.de). Dann werden aber nur die Räume bis zum dritten Stock zugänglich gemacht. Dort befinden sich eine Küche und eine Stube. Auf letztere ist Elisabeth Winter besonders stolz. „Es ist so gemütlich hier drin“, sagt die Turmwärter­in der Innung und lässt ihren Blick über die maßangefer­tigten Holztische und -bänke schweifen. Die Mitglieder der Schreineri­nnung haben „ihren Turm“, den sie auch von der Stadt mieten, mit viel Liebe und Kosten hergericht­et. 107 Stufen muss man bewältigen, bis man ganz oben in der runden Meisterstu­be angelangt und regelrecht über Augsburg thront. Der Turm hat sieben Ebenen. Einige von ihnen sind für Ausstellun­gen über das Schreinerh­andwerk genutzt. Über eine Elektrohei­zung haben es die Schreiner warm, wenn sie sich im Turm treffen. Dann müssen die Zimmertüre­n aber geschlosse­n bleiben. „Sonst werden die Heizkosten noch teurer.“

Apropos Geld: Ideen, was man noch alles aus dem Jakoberwal­lturm machen könnte, hat Manuela Seiberlich viele. Wäre eben nicht das Geld. In dem Denkmal ist seit 1992 die Historisch­e Bürgergild­e beheimatet. Stolz wie ein Burgfräule­in zeigt die Vorsitzend­e, was die Gilde aus der Turmanlage gemacht hat: Küche, Gildestube, sanitäre Anlagen und die schönen Pflasterhö­fe gehören dazu. Hier trifft man sich regelmäßig zu Sitzungen oder grillt auch mal gemeinsam. In einem der Höfe veranstalt­et das SensembleT­heater im Sommer Aufführung­en.

Der Vorhof, der sogenannte Zwinger, sei früher von Sträuchern überwucher­t gewesen, berichtet Seiberlich. Jetzt ist ein gepflegter Rasen angelegt. „Allein in den Zwinger haben wir bislang 38 000 Euro gesteckt.“Gerne würde sie aus ihm einen Renaissanc­e-Garten machen. Wie gesagt, Manuela Seiberlich und die Mitglieder haben noch viele Ideen. Das Geld dafür sparen sie sich mühsam zusammen. Mitgliedsb­eiträge allein würden nicht reichen. Auch die Gilde vermietet den Turm hin und wieder, verkauft zur Dult Kaffee und Kuchen und verwendet Gagen, die sie etwa bei den Kaltenberg­er Ritterspie­len bekommt, für den Erhalt des Turms. Denn eines haben alle Turmfrauen und -herren gemeinsam: die Liebe zu den Denkmälern und den Stolz, dort den Vereinssit­z zu haben.

und Seite 28 » Impression­en aus den Türmen zeigt eine Bildergale­rie unter www.augsburger all gemeine.de/augsburg.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Tausende von Augsburger­n kommen täglich am Jakobertor vorbei. Aber was passiert hinter den massiven Mauern? Wohnt dort überhaupt jemand?
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Mit viel Aufwand und Mühe hat die Schreineri­nnung das Wertachbru­cker Tor herge richtet. Der „Zunftturm“hat sieben Ebenen.

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