Augsburger Allgemeine (Land West)
Plötzlich stand ein „Ankerzentrum“auf dem Rathausplatz
Die einstündige Aktion des Flüchtlingsrats ruft bei Passanten gemischte Reaktionen hervor
Für eine knappe Stunde hatte Augsburg ein neues Ankerzentrum für Flüchtlinge. Mitten auf dem Rathausplatz. Die Szenerie, die sich dort am Samstagmittag abspielte, wirkte beklemmend. Passanten blieben interessiert stehen, manche ärgerten sich. Der Augsburger Flüchtlingsrat hatte mit seiner Aktion Aufmerksamkeit erregt und damit sein Ziel erreicht. Er wollte diese Form der Unterbringung von Geflüchteten in den öffentlichen Diskurs bringen.
„Hier entsteht für sie ein Ankerzentrum für 1500 Eindringlinge. Bis zu zwei Jahre können wir hier Sozialschmarotzer von der Bevölkerung isolieren“, kündigte Künstler Gerald Fiebig sarkastisch auf dem Rathausplatz über einen Lautsprecher an. Etliche Passanten blieben stehen. Einige Besucher der voll besetzten Cafés unterbrachen ihre Unterhaltungen. Sie schauten zu, wie mehrere Menschen in Windeseile aus Paletten und Bauzäunen ein symbolisches Ankerzentrum errichteten.
Der Aktionstag gegen Ankerzentren fand am Samstag bayernweit statt. Der Augsburger Flüchtlingsrat hatte sich für seine Kundgebung, die von der Stadt genehmigt worden war, etwas Besonderes einfallen lassen. In einer Aufführung zeigten die Darsteller, was sich ihrer Meinung nach und aus ihrer Erfahrung heraus in so einem Ankerzentrum abspielt. Schwarz gekleidete Sicherheitsleute, die niemanden hineinlassen, Flüchtlingshelfer, die an der Security scheitern und Flüchtlinge, die hinter den Zäunen verschwinden. Aus dem Lautsprecher waren plötzlich Stimmen zu hören. Etwa eine Frau, die vor Schmerzen wimmerte und ihr Mann, der um einen Arzt bat.
„Um die Zeit ist kein Arzt mehr im Lager, Sie müssen bis morgen warten“, antwortete eine barsche Männerstimme. Dann weinte ein Baby. Es wurde offenbar aus dem Schlaf gerissen. „Zimmerkontrolle, darauf können wir keine Rücksicht nehmen“, sagte jemand streng. Die Szenerie auf dem Rathausplatz ist bedrückend. „Wir haben Kontakt zu Menschen, die in Ankerzentren sitzen. Das sind alles wahre Geschichten, manche sind etwas überspitzt dargestellt“, erklärte Isabella Geier vom Flüchtlingsrat, die die Aktion mitorganisiert hat.
Bei der Kundgebung gehe es nicht um die neue Dependance in Augsburg. „Wir wollen auch diejenigen nicht kritisieren, die in Ankerzentren arbeiten und Verantwortung tragen. Die versuchen oft, das Beste draus zu machen“, betonte Geier. Dem Flüchtlingsrat gehe es vielmehr um die politische Entscheidung, wie mit Schutzsuchenden umgegangen wird. „Die Renaissance der Großlager ist für uns eindeutig ein humanitärer Rückschritt.“Dabei habe gerade Augsburg mit der dezentralen Unterbringung ein viel besseres Modell geschaffen. „Diese Bewohner leben ohne Zäune und Kontrollen und können ihre gewohnten Speisen selbst kochen. Die Polizei bestätigt, dass es wenig Probleme mit diesen Unterkünften gibt“, meinte die Organisatorin.
Die Aktion auf dem Rathausplatz zog einiges Interesse auf sich. Eine Frau glaubte gar, dass auf dem Rathausplatz ein reales Ankerzentrum entstehen soll. Ein älterer Herr schimpfte im Vorbeigehen: „Lauter Hirnrissige hier.“Maria Brandenstein hingegen war kurzzeitig den Tränen nahe. Die Aufführung bewegte sie. „Ich finde es wichtig, auf die Problematik der Ankerzentren aufmerksam zu machen und auf die Widersprüche, in die sich unser christliches Abendland verstrickt.“
Ursprünglich war die Aktion bis in den Nachmittag hinein angekündigt, doch nach einer knappen Stunde war Schluss. Manche Cafébesucher waren darüber froh. „Es war unangenehm laut. Wir treffen uns oft samstags hier und solche Veranstaltungen empfinden wir als störend“, sagte ein Mann, der mit einer größeren Runde auf dem Rathausplatz saß.