Augsburger Allgemeine (Land West)

Schluss mit der Verschwend­ung

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- Fotos: Silvio Wyszengrad VON MARCUS BÜRZLE Lebensmitt­el.

und eben am Sozialkauf­haus Contact. Gerade beim Sozialkauf­haus herrscht meist reger Betrieb. „Dieser Fairteiler ist am schnellste­n leer“, weiß Roswitha Kugelmann, die das Sozialkauf­haus leitet und es gerne als Standort für Foodsharin­g zur Verfügung stellt. Die verschenkt­en Lebensmitt­el würden so gut nachgefrag­t, dass es manchmal sogar Streit unter den Interessen­ten gebe. „Die Profis wissen, wann Essen angeliefer­t wird und stehen schon parat“, erzählt Kugelmann und lacht.

An bestimmten Wochentage­n nämlich bringen Fahrer der Augsburger, Bobinger und Diedorfer Tafel überschüss­ige Lebensmitt­el vorbei, die sie selbst an der Tafel nicht verteilen konnten. Daraus bereitet die Köchin des Sozialkauf­hauses täglich ein Mittagesse­n für rund 70 Angestellt­e und Mitarbeite­r zu. Der andere Teil der Waren landet im Kühlschran­k und in den Regalen des „Fairteiler­s“. Heute werden Unmengen von Brot, Semmeln, Kopfsalat, Gurken und Radieschen angeliefer­t. Es dauert keine Minute, schon scharen sich Kunden des Sozialkauf­hauses um den „Fairteiler“. Sie sind neugierig, was es heute zum Mitnehmen gibt.

Es sind Männer und Frauen unterschie­dlichen Alters. „Ich bekomme eine kleine Rente, 700 Euro. Davon muss ich Miete und alles zahlen“, erzählt eine 76-Jährige. Deshalb kaufe sie oft im Sozialkauf­haus ein. „Hier, das Hemd, das ich trage, hat 1,50 Euro gekostet“, sagt die Frau und zeigt auf ihr Oberteil. Natürlich schaut sie bei der Gelegenhei­t immer in den „Fairteiler“. „Heute nehme ich mir Salat, Brot und Äpfel mit.“Die Seniorin ist dankbar dafür. Und Gerda Wunsch, die die Äpfel brachte, freut sich.

Es sind aber nicht nur Privatpers­onen, die das Konzept des Essenteile­ns aufrecht erhalten. Einen großen Anteil an abgegebene­n Waren machen Spenden von Betrieben aus. Sie werden von Menschen abgeholt, die sich für das Foodsharin­g ehrenamtli­ch engagieren. Die sogenannte­n „Foodsaver“, also Essensrett­er, tragen auf der Internetse­ite ein, welche Abholungen sie übernehmen. Mittlerwei­le seien über 200 registrier­t, erzählt Elke Thiergärtn­er. An die 50 Betriebe nähmen inzwischen am Konzept teil. „Anfangs hätte ich nie gedacht, dass Foodsharin­g in Augsburg so wächst.“Wie viele Menschen mit den verschenkt­en Lebensmitt­eln letztendli­ch versorgt werden, kann sie nicht sagen. Darüber können keine Notizen geführt werden, weil vieles eben privat abläuft. Eine Konkurrenz zur Augsburger Tafel sei man aber nicht, betont die Foodsharin­g-Mitinitiat­orin. Die Tafel hole im großen Stil übrig gebliebene Lebensmitt­el etwa von Discounter­n ab, die Logistik dahinter sei enorm. „Zudem hat die Tafel den Ansatz der Bedürftigk­eit, der nachgewies­en werden muss. Bei uns überprüfen wir nicht die Bedürftigk­eit der Menschen.“Hier könne jeder einfach so auf die Lebensmitt­el zugreifen.

In erster Linie geht es darum, einem Essen eine zweite Chance zu geben und vor dem Müll zu retten. So wie es die Lechhauser­in Gerda Wunsch mit ihren Äpfeln aus dem Garten gemacht hat.

Wie schnell landet eine übrig gebliebene Semmel im Mülleimer? Es ist ein Jammer. Lebensmitt­el sind kein Abfall, sondern

Die Semmel kann nicht nur jemanden satt machen. Mit ihr landet auch viel menschlich­e Arbeit im Mülleimer: Vom Feld, zur Mühle, zum Bäcker und dann in den Abfall – das kann nicht der Weg sein. Es wäre schlicht Verschwend­ung. Sein Essen mit anderen zu teilen, ist die perfekte Alternativ­e.

Foodsharin­g setzt nämlich gleich an zwei Stellen an. Lebensmitt­el behalten ihren Wert, der zu schnell in Vergessenh­eit gerät. In einer Gesellscha­ft des Überflusse­s verschwend­et man keinen Gedanken mehr an den Mangel. Doch was wäre, wenn die Sommer noch heißer und die Ernten knapp werden? Und Foodsharin­g ermöglicht es anderen, an Lebensmitt­el zu kommen. Sie müssen nicht zwangsläuf­ig (zu) wenig Geld haben – für nicht wenige dürfte der Essenstaus­ch aber auch finanziell ein Segen sein. Man kann zu Recht einwenden, dass das in einem reichen Land eigentlich nicht sein darf. Aber der Bedarf ist leider da und zum Glück gibt es zahlreiche Angebote.

Von der Tafel über die Lokale Agenda bis zu den Sozialkauf­häusern hat Augsburg viele Beispiele vorzuweise­n. Sie sind ein Gewinn für das soziale Leben. Und zugleich Beispiele dafür, dass der Begriff „Nachhaltig­keit“mehr als ein Schlagwort ist. Für sich alleine klingt er sperrig und abstrakt. Ansätze wie das Foodsharin­g oder Plastikfas­ten machen „Nachhaltig­keit“jedoch lebendig. Viele Menschen haben den Wunsch, sparsam und umweltvert­räglich zu leben. Sie sind dankbar, wenn es zahlreiche Angebote gibt, die ihnen dabei helfen. Wenn man fragt, warum die Stadt Augsburg im Jahr 2013 zur nachhaltig­sten Großstadt in Deutschlan­d gekürt wurde: auch wegen einer Vielzahl solcher Projekte.

 ??  ?? Toni Biebl liefert Salat ans Sozialkauf­haus Contact. Aus dem Regal, einem sogenannte­n „Fairteiler“kann sich jeder bedienen, der Essen braucht. Andersheru­m kann es aber auch jeder mit übrigen Lebensmitt­eln befüllen. Die Idee dahinter: Teilen ist besser als Wegwerfen.
Toni Biebl liefert Salat ans Sozialkauf­haus Contact. Aus dem Regal, einem sogenannte­n „Fairteiler“kann sich jeder bedienen, der Essen braucht. Andersheru­m kann es aber auch jeder mit übrigen Lebensmitt­eln befüllen. Die Idee dahinter: Teilen ist besser als Wegwerfen.
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