Augsburger Allgemeine (Land West)
„Beim nächsten Mal kippt dieses Land“
Interview „Er ist wieder da“-Autor Timur Vermes warnt mit seinem neuen Buch „Die Hungrigen und die Satten“: Wenn die Flüchtlingspolitik keine Lösung findet, brauche er Hitler gar nicht noch mal fiktiv wiederauferstehen lassen
Würden Sie sich eigentlich als ein mutiger Mensch bezeichnen?
Timur Vermes: Was heißt schon: mutig? Ich habe zum Beispiel angefangen zu klettern, habe das dann aber aus Höhenangst wieder eingestellt. Was ich beim Schreiben mache, erfordert halt nicht mehr Mut, als ich habe.
Aber gewagt ist es doch schon, wenn man Hitler wiederauferstehen lässt in die deutsche Gegenwart hinein wie in „Er ist wieder da“. Oder wenn jetzt eine geradezu monumentale Flüchtlingskatastrophe an der deutschen Grenze inszeniert wird wie in „Die Hungrigen und die Satten“.
Vermes: Na ja, was riskiere ich denn groß? Das sind ja nur Buchstaben. Und schlimmstenfalls mag’s einer nicht und sagt: Das ist aber doof. Damit kann ich ganz gut umgehen. Es ist halt kein Beliebtheitswettbewerb. Wenn Sie es aus dieser Warte sehen, ist gar nicht so viel Mut notwendig, um dann auch Dinge sagen zu können, die man für wichtig und richtig hält.
Warum jetzt die Flüchtlingskrise in Ihrem zweiten Buch?
Vermes: Weil es ein Thema war, über das ich viel rumgestritten und debattiert habe. Und weil es mich fassungslos gemacht hat, wie diese Debatte vor sich ging, nachdem die Flüchtlinge begannen, über die Autobahn zu marschieren. Wie das plötzlich total zerfallen ist. Einerseits: Willkommen, willkommen, mehr, mehr, mehr. Andererseits: Oh Gott, oh Gott, wir müssen alle sterben, macht die Grenzen dicht. Aber niemand stellt die Frage: Ja, und dann? Gerade, wenn Sie die Grenzen dichtmachen wollen. Um sich das auszumalen, brauchen Sie keinen großen Autor, das kann sich ja jeder an fünf Fingern abzählen. Und trotzdem sagen die Leute: Machen wir es doch lieber so. Und das macht einen dann irgendwann so sauer, dass man sich denkt: Okay, dann probieren wir das jetzt mal aus. Da quatscht mir dann wenigstens keiner rein. Das ist der Vorteil als Autor.
Weil Ihr Buch in derselben Woche erschienen ist wie das neue von Thilo Sarrazin, wurden Sie mitunter als Gegenspieler auf der liberalen Seite der Debatte gelesen. Fühlen Sie sich da richtig verstanden?
Vermes: Eigentlich nicht. Weil ich finde, man muss nicht mit Leuten diskutieren, die keine Debatte suchen, sondern ein Geschäftsmodell verfolgen. Welches Interesse hat der Metzger an veganer Ernährung? Nein, der Punkt ist: Meine Idee eines großen Flüchtlingszugs Richtung Deutschland ist ja die direkte Folge der vielgewünschten Abschottung. Und es liegt nun wirklich bei jedem Einzelnen, zu entscheiden, wie er das regeln will. Wir können das Problem jetzt angehen oder wir können es aufstauen, bis es unbeherrschbar wird – das sind halt die beiden Möglichkeiten. Und man wundert sich ein bisschen, wie unverdrossen die Leute so tun, als würde sich das im Grunde von selber regeln oder käme vielleicht gar nicht so. Das Interessante ist: In all den Reaktionen, die ich auf das Buch kriege, sagt keiner, das Szenario sei unrealistisch. Es zeigt relativ deutlich, was unsere Hausaufgaben sind, und was passiert, wenn wir sie nicht machen.
Empfinden Sie die Verantwortung oder haben Sie die Hoffnung, mit Ihrem Buch etwas zu bewirken? Vermes: Ich schildere die Dinge gern so, dass man bei aller Unterhaltsam- keit schon den Leser dahin bringt, Stellung zu beziehen. Ich mag ihm aber diese Meinung nicht vorgeben. Ich habe schon bei „Er ist wieder da“festgestellt, dass nicht immer eintritt, was der Autor gern hätte. Der neue Roman bietet in der Person des CSU-Innenministers Leubl einen soliden Vorschlag, wie man sich mit dem Problem halbwegs erwachsen auseinandersetzen könnte. Den Vorschlag muss man nicht mögen, aber es ist eine Grundlage, die sich dem Problem stellt. Doch es gibt derzeit keine Partei, die den Stier bei den Hörnern packt und offensiv mit der Flüchtlingsfrage umgeht. Darum muss ich mir so einen wie den Leubl ja auch aus den Fingern saugen. Einen, der sagt: Wenn’s denn sein muss, dann machen wir eben ein Geschäftsmodell draus, so haben wir alle was davon. Und das ziehen wir jetzt durch.
Was ist da als Autor zu gewinnen? Vermes: Es gibt durchaus Dinge, die kann man erreichen. Was bei „Er ist wieder da“toll war: Dass sehr viele Schüler sich das Buch als Schullektüre gewünscht haben. Und damit ein Thema, bei dem sie ansonsten sagen: Hitler – ich kann’s nicht mehr hören. Auf einmal beschäftigen sie ● Timur Vermes 1967 in Nürnberg geboren, arbeitete der Historiker und Politikwissenschaftler lange als freier Journalist. 2012 erschien sein Debütroman „Er ist wieder da“– ein Sensationserfolg, drei Millionen Mal verkauft, fürs Kino verfilmt. Vermes lebt in München; gerade erschien sein zweiter Roman „Die Hungrigen und die Satten“(Eichborn, 512 S., sich freiwillig damit. Ich fände es natürlich gut, wenn sich jemand wieder mit dem Problem der „Hungrigen und der Satten“befasst, weil es unterhaltsam ist. Wenn er dann eben nicht als Erstes sagt: Das ist links, das rechts, das ist doof, da halte ich mir die Ohren zu. Und darum ist es auch wichtig, das bei aller Satire realistisch durchzuspielen. Darum werden Sie bei mir auch nicht erleben, dass der Innenminister völlig irrational handelt – Sie finden bei mir keinen Seehofer. Ich will einen Minister, der sagt: Jetzt bin ich mal verantwortungsbewusst und jetzt stelle ich mich mal dem Problem. Den kriegen Sie von mir geliefert – aber Sie kriegen eben auch die Aussicht, dass so einem Minister nicht gerade Dankbarkeit entgegenschlägt.
Ohnehin sind Ihre Prognosen ja so gar nicht satirisch, sondern alarmierend. Vermes: Na ja, aber diese Prognosen liefert Ihnen jeder, der bis vier zählen kann, oder? Wenn dieses Land keine Lösung in der Flüchtlingspolitik findet, dann kippt es beim nächsten unkontrollierten Flüchtlingsaufkommen nach rechts. Und rechts bedeutet nicht so ein kleines bisschen nach rechts. Sondern rechts bedeutet richtig rechts, wenn’s denen 22 Euro; als Hörbuch gelesen von Christoph Maria Herbst).
● Lesung Vermes stellt das Buch beim Literaturabend unserer Zeitung zur Frankfurter Buchmesse vor: Freitag, 5. Oktober, 19.30 Uhr, in der Stadtbücherei Augsburg. Karten gibt es bei der Stadtbücherei, der Buchhandlung am Obstmarkt und dem Ticketservice, Maximilianstr. 3, in Augsburg. der Gauland nicht extrem genug macht, dann werden sie einen finden, der noch rechter ist. Es gibt ja kein „Nazi light“. Dann wird eingesperrt, dann wird gejagt und alles, was dazugehört. Also: Ist Faschismus in diesem Land denkbar? Wer, wenn nicht wir, sollte es wissen?
Womit wir wieder bei Hitler wären. Können Sie sich eine Fortsetzung von „Er ist wieder da“vorstellen? Vermes: Das wäre zunächst mal bloß ein Aufguss. Ich schicke ihn überall hin, wo er noch nicht war. Das sind dann die Gewerkschaften und die Kirchen. Geht genauso. Und dann schick ich ihn ins Ausland. Das bedeutet letztlich, dass sich das Ausland auch nicht schlauer anstellt. Dann heißt es, siehste mal, sind wir gar nicht so schlimm, sind wir gar nicht so doof, weil: Die anderen fallen ja auch drauf rein. Es ist eine Relativierung – und das alles für den Preis, dass die Leute hinterher sagen: Ja, aber das erste war witziger. Da haben Sie, wenn Sie das durchdenken, nichts zu gewinnen.
Also eindeutig: Nein?
Vermes: In dem Fall sicher. Es gibt ein Beispiel, wo so was ganz ordentlich funktioniert hat, das ich recht reizvoll finde: die Rabbit-Romane des US-Autors John Updike. Alle zehn Jahre ließ er seinen Helden wieder durch die Gegend spazieren und zeigte ein bisschen, wie sich die Welt veränderte in den 60ern, 70ern, 80ern. Das fand ich sehr spannend. Man könnte also schon mal sagen, man schaut in zehn Jahren, ob sich was gewandelt hat. Die Frage ist natürlich, ob in zehn Jahren ein fiktiver Hitler überhaupt noch interessant ist. Weil da womöglich die AfD gerade die ersten Lager errichtet. Interview: Wolfgang Schütz
Hier eine Verstärkung, da eine Steigerung, dort ein Superlativ – so funktioniert Sprache und Schrift, wenn sie Bedeutung erzielen und Wind machen will. Politik und Medien haben das drauf – manchmal zum Ergötzen, oft zur Polemik, meist aus Verkaufsgründen. Klappern gehört zum Handwerk.
Also sprach die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland im Augsburger Rathaus, dass sie „quicklebendig“sei. Das ist natürlich ein Grund zur Freude angesichts des Umfangs ihrer Aufgaben und Arbeitsfelder. Eine „Götterdämmerung“für Angela Merkel, wie sie vergangene Woche – düster raunend, dunkel witternd – in Aussicht gestellt wurde, wäre bei ihrer umfangreichen Verantwortung doch eher hinderlich. Da ist es besser, lebendig zu sein. Noch besser quicklebendig. Die Kanzlerin hätte im Augsburger Rathaus auch sagen können, sie sei lebhaft, munter, frisch und aufgeräumt – oder auch kregel, um mal an einen – ein bisschen aus der Mode gekommenen – Begriff zu erinnern. Quick hängt übrigens, etymologisch betrachtet, mit keck zusammen, mit einer Eigenschaft also, die erstaunlicherweise eher selten im Zusammenhang mit hohen Staatsämtern und Würdenträgern genutzt wird.
Jedenfalls ist lebendig das Gegenteil von tot – und quicklebendig mithin das Gegenteil von mausetot. Quick, das hat schon einiges von jenen bildstarken Cranach’schen Jungbrunnen, in die gereifte Frauen ein- und blutjunge Mädchen auftauchen. Quick tendiert geradezu in Richtung tatendurstig. Was soll sich der Bundesbürger von seiner Kanzlerin mehr wünschen als quicklebendig und quietschvergnügt zu sein? Für Papst Franziskus ist Kunst der zweitwichtigste Weg, Christus zu bezeugen – nach dem persönlichen Lebenszeugnis. „Kunst war und ist ein Königsweg zum Glauben, mehr als viele Worte und Ideen es sind, weil sie mit dem Glauben den Sinn für Schönheit teilt“, so der Papst in einer Rede vor der Vereinigung „Patrons of the Arts“im Vatikan. Große Kunst als Ausdruck des Glaubens zu betrachten, helfe den Menschen, „das wiederzuentdecken, was im Leben zählt“. Christliche Kunst führe jemanden in sich hinein und erhebe ihn gleichzeitig über sich hinaus. „Patrons of the Arts“fördert die Vatikanischen Museen.