Augsburger Allgemeine (Land West)
Vom Leiden der CSU
Politik Max Strehle saß 31 Jahre für die Christsozialen im Landtag. Er hat für seine Partei gestritten, aber in dieser Zeit auch einiges mitgemacht. Heute kann er Geschichten erzählen über knallharte Machtkämpfe, gravierende Fehler und die Frage, was das
Gessertshausen Es gibt in der CSU ein Wortspiel, dessen Botschaft, je nachdem wie es zelebriert wird, zwischen Selbstironie und Bitterkeit schwankt. Mit Philipp Graf von und zu Lerchenfeld, einem ehemaligen, mittlerweile verstorbenen CSULandtagsabgeordneten aus der Oberpfalz, ließ es sich in kleiner Runde besonders treffend zum Besten geben. Anrede: „Mensch, Herr Lerchenfeld, haben Sie es schon gehört? Der CSU-Chef sagt, die CSU ist jetzt eine Mitmachpartei.“Antwort Lerchenfeld: „Ach, wissen Sie, das war schon immer so. Was ich mit der Partei schon alles mitg’macht hab.“Der adlige Herr konnte das mit derart bierernster Miene sagen, dass die Umstehenden erst einmal zusammenzuckten, ehe sie den Witz und seine tiefere Bedeutung erkannten.
In Gessertshausen im Landkreis Augsburg lebt ein Mann, der fast fünf Jahrzehnte für seine Partei gestritten, aber auch mit ihr und an ihr gelitten hat. Franz Josef Strauß, Theo Waigel, Edmund Stoiber, Horst Seehofer – der heute 71-jährige Max Strehle hat sich als CSULandtagsabgeordneter von 1982 bis 2013 auch von „Staatsmännern der Luxusklasse“, wie er es nennt, nicht beeindrucken lassen, wenn es um die Interessen der Bürger ging. Er ist einer von denen, die so allerhand „mitg’macht“haben mit ihrer Partei. Und er ist ein ganz spezieller Zeitzeuge für die Entwicklung der CSU. Strehle nämlich blieb, wohl weil er immer wieder aufmüpfig war, stets einfacher Abgeordneter. Er wurde nie in ein Kabinett berufen. Er schaute immer von unten nach oben. Längst nicht alles, was er da sehen musste, hat ihm gefallen.
Die Stärke der CSU, so lautete ein Mantra von Strauß, bestehe in ihrem Wurzelgeflecht. Strehle hatte solche Wurzeln. Sein Vater war zwar nicht in der CSU, aber parteiloser ehrenamtlicher Bürgermeister von Deubach. Das elterliche Wohnzimmer war zugleich Amtsstube der damals noch eigenständigen Gemeinde. Das sollte den Buben nachhaltig prägen.
Für eine kurze Zeit orientierte sich der junge Max Strehle politisch ganz anders. Man schrieb das Jahr 1968. Es war die Zeit der Studentenrevolte. Strehle arbeitete als freier Architekt in München und studierte zusätzlich noch Betriebswirtschaft. Er nahm an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teil, merkte aber bald, dass ihm die jungen Revoluzzer „zu links und zu intolerant“waren. Und so blieb er zwar in München wohnen, politisch aber kehrte er zu seinen Wurzeln zurück und trat 1969 daheim in Schwaben in die Junge Union und die CSU ein. Er wurde erst in den Kreistag, dann in den Bezirkstag, dann zum Frakti- im Kreistag gewählt und schaffte schließlich 1982 den Sprung in den Landtag.
Dort regierten Parteichef Strauß und CSU-Fraktionschef Gerold Tandler mit harter Hand. „Die waren ein Team. Da ging kein Wasser durch“, sagt Strehle. Den Brief, in dem Strauß ihn zur Schnecke machte, weil er sich als Neuling erlaubt hatte, in dem damals heftig geführten Streit um die neue ICE-Trasse für Augsburg Stellung zu beziehen, hat er heute noch. „Einige Ihrer Ausführungen sind mir“, so schrieb Strauß, „nicht recht begreiflich.“Auf gut Deutsch hieß das: Misch Dich nicht ein! Die jungen Abgeordneten sprachen Strauß mit Sie an, er duzte jeden.
In der Fraktion, so Strehle, habe eine strenge Hierarchie geherrscht, aber es sei dort auch sehr ernsthaft diskutiert worden. „Da waren die Fraktionssitzungen noch interessant, da ist es noch um was gegangen.“Auch unter Fraktionschef Alois Glück (bis 2003) sei das noch so gewesen. Da habe man Themen gesetzt, nach vorne gedacht. Als Strehle 2013 den Landtag verließ, sagt er, war das längst anders gewesen. Da seien die ersten Abgeordneten nach einer Stunde schon wieder gegangen, und gegen Ende sei die Fraktion oft gar nicht mehr beschlussfähig gewesen.
Strehle hat 1993 den ersten großen Machtkampf in der CSU nach der deutschen Wiedervereinigung hautnah miterlebt. Als klar war, dass Max Streibl, der Strauß-Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, die Amigo-Affäre um allzu Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft politisch nicht überleben wird, prallten zwei mächtige Konkurrenten aufeinander: Parteichef Theo Waigel, damals Bundesfinanzminister, und der bayerische Innenminister Edmund Stoiber. Strehle schlug sich, obwohl er wie Waigel ein Schwabe ist, auf die Seite Stoibers. Er erinnert sich an eine CSU-Fraktionssitzung, die nach einem tumultartigen Streit einfach abgebrochen wurde. Er weiß noch genau, wer da mit wem Allianzen geschmiedet hat und bei welchen Geheimtreffen die Sache ausgefochten wurde. Doch es habe einen entscheidenden Unterschied zu späteren Machtkämpfen gegeben: „Da hat es gekracht, die haben sich gefetzt und dann auch wieder verständigt – aber eben nicht öffentlich.“Bei der Landtagswahl im Seponschef tember 1994 holte die CSU 52,8 Prozent der Stimmen.
Rund zehn Jahre lang blieb Strehle ein treuer Stoiber-Unterstützer, auch wenn er in seinem jahrelangen Kampf für eine bessere Ausstattung des Augsburger Klinikums mit der Staatsregierung um jeden Euro ringen musste. 2003 war ein Wendepunkt. Stoiber hatte, nachdem er im Jahr zuvor knapp als Kanzlerkandidat der Union gescheitert war, bei der Wahl in Bayern eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag erobert. Da war plötzlich alles anders. „Da ist der Stoiber durch die Decke gegangen“, sagt Strehle.
Die Fraktion hatte nichts mehr zu melden. Illustres Beispiel: Bis zuletzt hatten die Abgeordneten im Wahlkampf versprochen, dass das neunjährige Gymnasium bleiben wird. In Stoibers Regierungserkläenge rung erfuhren sie, dass das G8 eingeführt werden soll. Gefragt hatte sie vorher keiner. Und einen harten Sparkurs mussten sie auch abnicken: Behördenstandorte wurden geschlossen, Büchergeld und Studiengebühren eingeführt, die Arbeitszeit für Beamte verlängert und das Bayerische Oberste Landesgericht, der ganze Stolz der bayerischen Justiz, im Handstreich abgeschafft. 2005 brachte Stoiber zudem die Fraktion gegen sich auf, als er einen Wechsel als „Superminister“in die Bundesregierung ankündigte und dann doch einen Rückzieher machte. Trotzdem war er Stoiber gegenüber, so sagt Strehle, lange Zeit „loyal bis in die Knochen“.
Der Sturz Stoibers, der im Jahr 2007 folgte, beherrschte über Monate die Schlagzeilen. Auf die „Nacht der langen Messer“bei der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth folgte eine quälend lange Übergangsphase zu dem neuen Führungsduo Erwin Huber und Günther Beckstein. „Das war ein Fehler“, sagt Strehle. Das hätte schneller gehen müssen. Die Wahl 2008 wurde mit 43,4 Prozent zu einem Debakel für die CSU. Und, was auf Dauer noch weitaus mehr schmerze, Hubert Aiwanger und seine Freien Wähler setzten sich als bürgerliche Konkurrenz im Landtag fest.
Dann kamen Seehofer und die Koalition mit der FDP. Da hatte die CSU-Fraktion dann noch weniger zu melden, weil nun alle entscheidenden Fragen in der Koalition ausgehandelt werden mussten. Seehofer aber hatte Erfolg. Er nahm Schritt für Schritt Stoibers Reformen zurück. 2013 war die FDP wieder draußen und Seehofer der alleinige Chef. Er führte schließlich sogar das G9 wieder ein – gegen Widerstand der CSU-Fraktion, die es zunächst nicht wieder haben wollte.
Seehofer steht bei Strehle hoch im Kurs, „weil er als Ministerpräsident mehr für das Augsburger Klinikum getan hat als seine fünf Vorgänger zusammen“. Doch Seehofer habe auch gravierende Fehler gemacht. „Man sagt nicht fünf Jahre vorher, dass man in fünf Jahren aufhört, und dann vier Jahre später, dass man doch nicht aufhört.“Der entscheidende Fehler aber sei Seehofers Umgang mit Markus Söder gewesen. Er habe ihn, obwohl er ihn erklärtermaßen nicht als Nachfolger haben wollte, zum wichtigsten Minister gemacht. „Das soll begreifen, wer will“, sagt Strehle. Söder konnte sich als Finanzminister eine Hausmacht in der Fraktion aufbauen. „Der Streit, der dann losging, hat uns, weil er öffentlich ausgetragen wurde, noch einmal runtergezogen. Die Leute mögen keinen Streit.“
Auch im Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel sei Seehofer
Strauß hat ihn damals per Brief zur Schnecke gemacht
Die Leute mögen keinen Streit, sagt er
nicht konsequent gewesen. Auf den Streit über die Flüchtlingspolitik folgte 2017 vor der Bundestagswahl eine Phase der Harmonie. Bei einer CSU-Versammlung in Nördlingen im Juli 2017 habe Seehofer gesagt: „Der Sieg ist dort, wo Eintracht herrscht.“Er habe Merkel als „Stabilitätsanker in einer unruhigen Welt“angepriesen. Diesen Sommer sei wieder gestritten worden.
Und dann auch noch die vielen ungelösten Themen: die „völlig verkorkste Energiewende“, die Maut, der Diesel. „Solche Fehler machen wir in Berlin am laufenden Band“, sagt Strehle. Das gelte auch für die vermeintlich kleinen Themen in der Landespolitik. Zum Beispiel von den Schülern in Altenpflegeschulen Schulgeld zu verlangen, während Soziologiestudenten keines zahlen und obendrein Bafög bekommen, das verstehe kein Mensch. Das hätte längst korrigiert werden müssen.
Den Kern seiner Analyse zur Entwicklung der CSU fasst er in wenigen Worten zusammen: „Wer in der Politik zu lange über ein Thema redet, aber nicht handelt, der verliert das Vertrauen. Dieser Vertrauensverlust ist die Ursache der ganzen Misere.“So etwas könne auch wieder korrigiert werden. „So weitermachen aber dürfen wir nicht.“
Trotz allem, was er mit seiner Partei mitmacht – Max Strehle bleibt auch im Ruhestand der CSU treu, engagiert sich weiter im Kreistag und für das Klinikum. Am Wahlabend wird er live bei a.tv als Experte im Studio sein. Er hofft, dass das Ergebnis, das er dort kommentieren darf, besser ist als die Umfragen. Sein Tipp für die CSU lautet: „Wir schaffen es über 40 Prozent.“