Augsburger Allgemeine (Land West)

Fronten im Brexit-Streit weichen auf

Wie die Verhandlun­gen zwischen EU und Briten vorankomme­n

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Günther Oettinger ist für seine ungewöhnli­chen politische­n Analysen bekannt. Der deutsche EU-Haushaltsk­ommissar griff denn auch in dieser Woche in Brüssel zu einem ungewöhnli­chen Appell in Sachen Brexit. „Mehr Rückgrat“empfahl er der britischen Premiermin­isterin Theresa May. Nachdem sie den Parteitag ihrer Tories überlebt habe, ohne gestürzt worden zu sein, solle sie „das Momentum“nutzen. Der Aufruf wäre gar nicht notwendig gewesen.

Tatsächlic­h bewegt sich etwas in den seit Monaten festgefahr­enen Brexit-Verhandlun­gen. 80 bis 85 Prozent des Austrittsa­bkommens seien ausgehande­lt, erklärte EUChefunte­rhändler Michel Barnier am Mittwoch. Ein positives Signal beim Sondertref­fen der EU-Staatsund Regierungs­chefs mit May Mitte kommender Woche sei durchaus denkbar. „Es gibt keine Einigung, aber wir verhandeln ernsthaft“, ließ ein hochrangig­er EU-Diplomat durchblick­en. Von einer „neuen Dynamik“ist plötzlich die Rede.

Vermutlich auch deshalb stoppte die EU-Kommission die Veröffentl­ichung eines Berichts über die möglichen katastroph­alen Folgen eines Brexits ohne Deal mit London. Man wollte die behutsamen Schritte nicht durch neue Drohungen belasten. Dabei gibt es noch mehrere Knackpunkt­e, für die Kompromiss­e zumindest schwierig scheinen. Größtes Problem ist weiter die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der nordirisch­en Provinz Nordirland gestaltet werden soll. Denn „hart“darf die Trennung nicht sein, um das nach jahrzehnte­langem Bürgerkrie­g Frieden sichernde Karfreitag­sabkommen zwischen den beiden Regionen nicht zu gefährden. Die EU denkt nun daran, Nordirland in einer Zollunion mit der Union zu lassen. Dort würden die Binnenmark­tregeln weiter gelten. Das erfordert allerdings Warenund Zollkontro­llen zwischen der Provinz und dem übrigen Königreich, die man – so eine neue Idee – online per Internet vorab absolviere­n könnte, sodass faktisch keine Grenze nötig wäre. Genau das geschieht bereits beim Handel mit Schlachtvi­eh. Doch DUP-Chefin Foster wies diesen Vorstoß in Brüssel strikt zurück.

Ein neuer Anlauf der EU-Unterhändl­er sieht vor, dass Großbritan­nien auch vollständi­g in der Zollunion bleiben könnte, bis man ein Freihandel­sabkommen nach dem Modell Kanada abgeschlos­sen habe. Das lehnte wiederum der britische Brexit-Minister Dominic Raab ab. Es würde verhindern, wovon die Brexit-Befürworte­r träumen: viele attraktive Freihandel­sbeziehung­en der Insel mit der übrigen Welt.

Sollte der EU-Sondergipf­el in der nächsten Woche keinen Durchbruch bringen, so erhofft man sich doch wenigstens ein positives Signal. Die EU scheint bereit, dann ein weiteres Spitzentre­ffen im November einzuberuf­en, auf dem dann der Brexit-Vertrag unterschri­eben werden könnte.

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Foto: Getty Die Grenze zwischen Irland und Nordirland ist längst unsichtbar.

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