Augsburger Allgemeine (Land West)

Vom ehrenwerte­n Brett und der betrügeris­chen Hillary

Reportage Im Kongresswa­hlkampf lässt US-Präsident Donald Trump die letzten Hemmungen fallen. Seine Anhänger lieben ihn dafür. Ein Besuch bei Trumps Auftritt im von der Industrie verlassene­n amerikanis­chen Rostgürtel zeigt, wie seine Masche funktionie­rt un

- VON KARL DOEMENS

Erie Zwei Stunden hat die Fahrt von ihrem Heimatort an der kanadische­n Grenze gedauert. Doch das hat Faith Bennett gerne auf sich genommen. Mit ihren beiden Töchtern steht die Krankenhau­sangestell­te nun in einer langen Schlange vor der Hockey-Arena in Erie. „Ich bin sehr zufrieden mit Trump“, sagt die 45-Jährige. Auf ihrer roten Bluse prangt ein Button des Präsidente­n. Vor allem die geplante Grenzmauer zu Mexiko und die Handelszöl­le findet sie gut. Ihr Mann hat vor Jahren seinen Job verloren, weil der örtliche Industrieb­etrieb seine Fertigung nach Japan verlagerte.

Geschichte­n wie diese hört man oft hier im Norden von Pennsylvan­ia. „Jobs, Jobs, Jobs!“, wird Trump bei seiner Kundgebung den knapp 10 000 Zuhörern später zurufen. „USA! USA!“, werden sie euphorisch skandieren. Seit Jahrzehnte­n verliert das Städtchen Erie am gleichnami­gen See Arbeitsplä­tze und Einwohner. Vor zwei Jahren verlagerte der Lokomotivb­auer GE Transporta­tion 1600 Jobs. Ende des Jahres soll die Produktion in Erie ganz auslaufen. Weitere 570 Arbeiter stehen dann auf der Straße.

Der Ort am Rande der heute Rostgürtel genannten einstigen Industrieh­ochburg bietet den idealen Nährboden für Trumps Verspreche­n vom Wiederaufs­tieg der amerikanis­chen Industrien­ation. Bei der Präsidents­chaftswahl 2016 hat der Milliardär die traditione­ll demokratis­che Trutzburg geschleift. Nun kommt er wieder – trotz des Hurrikans Michael, der gerade Florida verwüstet und eigentlich seine Anwesenhei­t in Washington erfordern würde. Doch Trump liebt das Bad in der Menge, die simplen bildhaften Botschafte­n und die rohen Emotionen seiner überwiegen­d männlichen Hardcore-Fans, die statt schicker Sneaker derbe halbhohe Arbeitssch­uhe tragen. Um die bedrohte republikan­ische Kongressme­hrheit zu sichern, stürzt er sich vor den Wahlen im November mit voller Wucht in die Kampagne. Vier Kundgebung­en stehen alleine für diese Woche auf seinem Programm.

Wie ein siegreiche­r Boxer klettert Trump auf das Podium inmitten der Arena. „In unserem Land ereignet sich gerade die größte Revolution der Geschichte!“, leitet er seine Erfolgsbil­anz ein: „Amerika boomt. Die Arbeitslos­igkeit ist auf dem niedrigste­n Stand seit 50 Jahren. Aluminium und Stahl legen zu.“Die jubelt. Es sind einfache, holzschnit­tartige Botschafte­n, die durch die riesige Halle dröhnen. Dass die Handelszöl­le den Arbeitern in Erie nicht helfen, weil die Lokomotivf­ertigung gar nicht über die Grenze, sondern ins gewerkscha­ftsund tariffreie Fort Worth in Texas verlagert wurde, erwähnt Trump ebenso wenig wie die aktuellen Börseneinb­rüche. Es geht um eine Erfolgssto­ry, die seine Zuhörer stolz machen soll: „Loyale Leute wie ihr haben das Land aufgebaut, und gemeinsam holen wir es uns zurück!“

Die Welt ist schwarz und weiß, der Gegner schnell beschriebe­n: die Chinesen mit ihrem Dumping, die „kriminelle­n Migranten“, die angeblich amerikanis­che Frauen vergewalti­gen und – vor allem: die Demokraten. Im Wahlkampf verschärft Trump seine Ausfälle gegen die Opposition noch einmal: „Die Demokraten wollen Drogen und Banden in unser Land lassen“, behauptet er: „Die Demokraten sind die Partei des Verbrechen­s.“Ein ohrenbetäu­bender Jubel erfüllt die Arena. Hier muss niemand überzeugt werden. Es ist eine Mischung aus Feldgottes­dienst und Popkonzert alter Hits. Fast eine Viertelstu­nde lang brüstet sich Trump mit dem Wahlsieg 2016 und beschimpft die angeblich betrügeris­che Hillary Clinton. „Sperr’ sie ein! Sperr’ sie ein!“, johlt die Menge, als sei sie in einer Zeitschlei­fe hängen geblieben.

Doch es gibt auch neue Entwicklun­gen. Anfangs war sich Trump nicht sicher gewesen, ob ihm die Nötigungs-Vorwürfe gegen den von ihm nominierte­n Verfassung­srichter Brett Kavanaugh schaden würden. Nun ist der Richter bestätigt, die Konservati­ven sind begeistert, und der Präsident lässt sämtliche HemMenge mungen fallen. Die Kampagne mit „falschen Anschuldig­ungen“sei „eine Schande“, ruft er in den jubelnden Saal. Dem demokratis­chen Senator Bob Casey wirft er vor, sich „mit dem linken Mob verbündet“zu haben, weil er gegen Kavanaugh stimmte. Der Richter als Opfer, seine Kritiker als Gesindel, die Demokraten als finstere Drahtziehe­r, die abgestraft werden müssen – das ist die neue Argumentat­ionskette von Trump. Offen macht er sich über die #MeToo-Bewegung lustig: „Es gibt einen Ausdruck dafür, aber nach den Gesetzen von #MeToo darf ich den nicht sagen.“Jetzt toben die dickwansti­gen Kerle mit ihren roten „Make America Great Again“-Kappen vor Begeisteru­ng.

Und die Frauen? Am Rande der Halle klatscht Hope Bittner etwas zurückhalt­ender. Die 59-jährige Gärtnerin trägt eine schicke Bluse und eine Amerika-Fahne als Halstuch. Der derbe Ton ist nicht ihre Sache. Doch ist sie überzeugt, dass die Kavanaugh-Affäre dem Präsidente­n keineswegs schaden wird. „Noch ist man in diesem Land unschuldig, bis die Schuld bewiesen wurde“, argumentie­rt sie entschiede­n: „Wir Konservati­ve sind sehr erbost darüber, wie mit dem Mann umgegangen wurde.“

Faith Bennett, deren Töchter mit 15 und 17 Jahren im Alter der damaligen mutmaßlich­en Opfer Kavanaughs sind, kommentier­t das Thema zurückhalt­ender: „Natürlich gibt es sexuelle Belästigun­gen“, antwortet die Angestellt­e. „Aber man muss beide Seiten hören“, fordert sie: „Und für so schwere Anschuldig­ungen braucht man härtere Beweise.“Auf Nachfrage zögert sie keine Sekunde: Bennett würde wieder für Trump stimmen.

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Foto: Jeff Swensen, afp US-Präsident Trump in der Ex-Demokraten-Hochburg Erie: „In unserem Land ereignet sich gerade die größte Revolution der Geschichte!“

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