Augsburger Allgemeine (Land West)

„Ich weiß, wie es sich anfühlt, kein Geld zu haben“

Interview Dirk Roßmann hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n ein Drogerie-Imperium mit fast 55 000 Mitarbeite­rn aufgebaut. Heute gehört er zu den reichsten Menschen des Landes. Ein Gespräch über Erfolg, schwere Niederlage­n und einen Herzinfark­t, der alles ve

- Interview: Sarah Schierack

Herr Roßmann, Sie sagen von sich, eigentlich seien Sie ziemlich faul. Das müssen Sie erklären: Wie wird man als fauler Mensch zum Milliardär?

Dirk Roßmann: Schauen Sie sich nur mal mein Büro an. Dann sehen Sie, dass ich tatsächlic­h furchtbar faul bin. Hier lagern Bilder von meinen Enkeln, Geschenke von Freunden. Ich lege alles einfach irgendwo hin. Meine Frau sagt schon lange, sie räumt hier nicht mehr auf. Aber Spaß beiseite, ich bin wahrschein­lich fleißig und faul zugleich.

Trennen Sie die wichtigen von den unwichtige­n Aufgaben?

Roßmann: Ich würde eher sagen: Es gibt Dinge, die machen mir Spaß, und Dinge, die muss ich machen. Und meine Arbeit gehört zu den Aufgaben, die Spaß machen. Wenn ich etwas will, will ich es wirklich. Ich kann dann davon regelrecht besessen sein.

Sind Sie ein Dickkopf?

Roßmann: Man kann es dickköpfig nennen oder aber willenssta­rk. Ich bin manchmal sehr mutig. Das war schon als Kind und als junger Mann so, obwohl ich in anderen Situatione­n oft sehr ängstlich war.

Mit 18 haben Sie gegen Ihre Einberufun­g zur Bundeswehr geklagt und sich, als Sie doch hingehen mussten, jedem Befehl widersetzt. Es ging sogar so weit, dass Sie auf einen Baum kletterten und stundenlan­g nicht herunterka­men. Ängstlich hört sich das nicht an … Roßmann: Im Rückblick klingt das wie eine lustige Episode, aber für mich war diese Zeit wirklich existenzie­ll und mit Ängsten verbunden. Ich war auch kein Kriegsdien­stverweige­rer. Ich wäre hingegange­n, wenn meine Familie dafür einen finanziell­en Ausgleich von 1500 Mark bekommen hätte. Mein Vater war ja tot und ich stand schon mit 16 hinter der Theke in unserer kleinen Drogerie in Hannover. Meine Mutter war gesundheit­lich angeschlag­en und mein Bruder studierte. Alle, selbst meine Großeltern, lebten von unserem Geschäft. Das war unsere Existenz. Also habe ich gekämpft.

Sie haben sich einen Anwalt genommen und verloren. War da nicht schon alles entschiede­n?

Roßmann: Wir sind in Revision gegangen, aber das Urteil wäre vielleicht erst anderthalb Jahre später gefallen. Mein Anwalt hat mir geraten, doch zur Bundeswehr zu gehen, weil ich sonst vorbestraf­t gewesen wäre. Für mich war dann klar: Hingehen muss ich. Aber mitmachen muss ich nicht. Ich habe jeden Befehl verweigert. Danach kam eine schwierige Zeit. Mir wurden die Wochenende­n gestrichen, nach einer Zeit sollte ich den Grundwehrd­ienst wiederhole­n. Für vier Wochen war ich sogar in der Psychiatri­e. Weil der Arzt mir attestiert­e, dass ich gesund bin, kam ich aber wieder zur Bundeswehr. Und dann bin ich eben auf den Baum geklettert. Am nächsten Tag durfte ich nach Hause.

Ehrlich gesagt klingt das nach einem Leidensweg. Wäre es nicht einfacher gewesen, die Regeln zu befolgen? Roßmann: Nein. Das war mir einfach ernst. Aus meiner Sicht hat ein Bürger Rechte und Pflichten. Und die Rechte habe ich eingeforde­rt.

Lassen Sie uns kurz auch über die Pflichten reden. Wir haben über ein Porträt von Ihnen einmal die Titelzeile geschriebe­n: „Der Milliardär, der gerne Steuern zahlt.“Erkennen Sie sich darin wieder?

Roßmann: Ja und nein. Das habe ich vor zehn Jahren einmal gesagt. Damals, zur Zeit der Finanzmark­tkrise, das hätte für uns unabsehbar­e Folgen haben können. Und da habe ich gesagt, jeder muss seine Steuern zahlen, besonders auch Unternehme­n, denn der Staat braucht Geld. Für mich ist es ganz klar, dass jeder seinen Beitrag leistet, natürlich im Rahmen seines eigenen Gehalts. Und das mache ich tatsächlic­h gern, denn ich profitiere ja jeden Tag vom Staat.

Sie gehören zu den reichsten Menschen des Landes. Was für ein Verhältnis haben Sie zum Geld?

Roßmann: Ich weiß, wie schlimm es sich anfühlt, keines zu haben. In meiner Kindheit gab es Stress, sobald es ums Geld ging. Wenn ich mit einer kaputten Hose aus dem Wald kam, dann schrie meine Mutter. Ich habe mir immer gewünscht, irgendwann so viel Geld zu haben, dass ruhig mal eine Hose kaputt gehen kann. Ich habe damals eine gewisse Sparsamkei­t eingeimpft bekommen. Und bis heute bewahrt?

Roßmann: Ich muss mir nicht jeden Tag irgendwelc­he materielle­n Dinge kaufen. Ich trage den ganzen Tag Jeans, einen Anzug ziehe ich nur bei Pflichtter­minen an. Ab und zu gebe ich Geld für ein Eis oder einen Latte macchiato aus. Ich kaufe mir auch gerne Bücher oder stecke Geld in schöne Reisen. Ansonsten brauche ich aber eigentlich kein Geld.

Vermutlich hätten Sie die Frage vor 20 Jahren noch ein wenig anders beantworte­t. Damals wäre Ihnen das Geld fast ausgegange­n.

Roßmann: Ich habe Mitte der 90er Jahre viele Fehler gemacht. Damals habe ich an der Börse spekuliert und extrem hohe Bankkredit­e aufgenomme­n. Wir haben nach dem Mauerfall in den Osten expandiert, in die neuen Bundesländ­er und dann nach Polen, Tschechien, Ungarn. Aber unser Geschäftsk­onzept war nicht besonders klug. Wir hatten noch keine Eigenmarke­n, keine Ideenwelt. Und nur an Zahnpasta oder Toilettenp­apier verdient man nicht allzu viel. Fast alles war also mit Schulden finanziert. Es gab Tage, da wusste ich am Freitag nicht, wie ich am Montag die Gehälter auszahlen sollte.

Wie fühlt man sich da?

Roßmann: Wenn Sie ein Unternehme­n aufbauen und merken, da könnte es dem Ende zugehen, sind Sie extrem unter Druck. Das war im Übrigen auch bei Schlecker so. Eine Woche vor der Insolvenz war ich noch in Ehingen und habe mit Anton und Christa gesprochen. Wir haben nicht über die drohende Pleite geredet, aber die Anspannung war den ganzen Abend spürbar. Steckt ein Mensch in einer solch schwierige­n Situation, fragt man sich doch ununterbro­chen: Wie komme ich aus der Sache raus? Für mich persönlich war der Wendepunkt mein Herzinfark­t.

Was haben Sie danach geändert? Roßmann: Ich habe alle Aktien verkauft. Zur gleichen Zeit hat mich meine Frau in einen Tchibo-Laden geschleppt. Sie wollte, dass wir so etwas Ähnliches machen und unser Sortiment ausbauen. Mir war das viel zu fummelig, also habe ich gesagt: Alice, mach einfach! Heute setzen wir mit unserer Ideenwelt 400 Millionen Euro um.

Etwa zur gleichen Zeit haben Sie einen Brief an alle Banken geschriebe­n, bei denen Sie Kredite hatten. Warum? Roßmann: 1996 haben wir zwölf Millionen D-Mark Verlust gemacht, das war unser schlimmste­s Jahr. Ich hatte Angst, dass die Banken uns sofort unsere Kredite kündigen, wenn sie die Bilanz sehen. Also habe ich diesen 20-seitigen Brief geschriebe­n. Auf den ersten zehn Seiten stand, was ich falsch gemacht habe. Und auf den nächsten zehn, was in Zukunft anders werden soll. Ich wollte, dass sie mir ein Jahr lang eine Chance geben. Im Jahr 1997 hatten wir wieder eine Million Mark Gewinn. Und da wusste ich: Jetzt geht es wieder bergauf.

„Mir ist es wichtig, dass die Menschen lernen, sich zu achten und wertzuschä­tzen – im Privaten und im Unternehme­n.

Drogerie-Pionier Dirk Roßmann

Schon lange vor dieser Zeit haben Sie eine Therapie begonnen und selbst eine Ausbildung zum Therapeute­n gemacht. Auch Ihre Mitarbeite­r bekommen regelmäßig psychologi­sche Schulungen. Warum schwören Sie darauf? Roßmann: Mir geht es vor allem um die Gruppendyn­amik. Wenn wir diese Schulungen machen, kommen 18 Menschen zusammen, Männer und Frauen. Man sitzt im Kreis und ist sich völlig fremd. Und nach einiger Zeit ist plötzlich eine große Vertrauthe­it da, weil alle sehr offen sind. Mir ist es wichtig, dass die Menschen lernen, sich zu achten und wertzuschä­tzen – im Privaten und im Unternehme­n.

Ist das auch ein Modell für andere Unternehme­n?

Roßmann: Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber ich bin dafür, dass Menschen nicht nur alles über Technik oder wirtschaft­liche Prozesse lernen, sondern sich ein Stück weit auch selbst erfahren. Sie sollten sich fragen, was es mit ihnen macht, wenn sie am Tag 500 E-Mails beantworte­n oder Leute als „Friends“bezeichnen, die sie gar nicht kennen. Mein Leben besteht aus realen Menschen, aus meinen Freunden, meiner Familie. Das gibt mir viel mehr, als in ein Gerät reinzutipp­en.

Sie sagen, dass Menschen und ihre Lebensläuf­e Sie fasziniere­n. Was stellen Sie bei Ihren Beobachtun­gen fest? Roßmann: Es gibt viel mehr Individual­isten. Und auch die Interessen sind viel breiter gefächert. Heute haben wir in Deutschlan­d rund 20 Millionen Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Dadurch gibt es viele andere Kultureinf­lüsse. Wir sind also eine sehr vielfältig­e Gesellscha­ft. Das hat viele gute Seiten, ist aber auch nicht immer einfach.

Wie muss sich ein Unternehme­r in diesen Zeiten positionie­ren?

Roßmann: Als Mensch möglichst offen. Abgehobene­s Macho-Gebaren ist völlig out. Ein Unternehme­r muss sich äußern, vielleicht auch mal politisch. Er ist ja auch Teil der Gesellscha­ft. Wir tragen viel Verantwort­ung und sollten deshalb tatsächlic­h mutiger sein.

Sehen Sie bisher zu wenig Mut? Roßmann: Viel zu wenig. In ihren Betrieben sind Unternehme­r die Nummer eins, da treten sie selbstbewu­sst auf. Aber sobald eine Fernsehkam­era an ist, schrecken sie zurück. Da erlebe ich wenig Engagement für öffentlich­e Interessen.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Dirk Roßmann ist ein Selfmade-Milliardär. In seiner Konzernzen­trale im niedersäch­sischen Großburgwe­del trifft man den Unternehme­r trotzdem meist in Jeans und Turnschuhe­n an.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Dirk Roßmann ist ein Selfmade-Milliardär. In seiner Konzernzen­trale im niedersäch­sischen Großburgwe­del trifft man den Unternehme­r trotzdem meist in Jeans und Turnschuhe­n an.

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