Augsburger Allgemeine (Land West)

Geiselnehm­er muss in Psychiatri­e

Justiz Das Landgerich­t Ingolstadt verurteilt den 29-jährigen Angeklagte­n zu viereinhal­b Jahren Haft. Der Mann hatte im Pfaffenhof­ener Jugendamt eine Frau in seine Gewalt gebracht

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Er nahm das Urteil so auf, wie er schon den gesamten Strafproze­ss verfolgt hatte: ruhig, gelassen, fast stoisch. Allenfalls die diesmal unsorgfält­ig stehen gelassenen Bartstoppe­ln ließen vielleicht auf eine innere Zerrüttung oder die Sorge vor dem Kommenden schließen. Denn das Urteil, das Richter Thomas Denz, Vorsitzend­er der 5. Strafkamme­r am Landgerich­t Ingolstadt, verkündete, war zu erwarten gewesen. Der geständige, glaubhaft reuige, aber psychisch kranke Geiselnehm­er von Pfaffenhof­en muss dauerhaft in die Psychiatri­e. Der 29-Jährige ist unter anderem schuldig der Geiselnahm­e und gefährlich­en Körperverl­etzung. Das Strafmaß: viereinhal­b Jahre. Diese wird er allerdings nicht im Gefängnis, sondern in einer geschlosse­nen Fachklinik verbringen. Ob er danach freikommt, hängt davon ab, ob er sich endlich für eine Therapie öffnet. Richter Denz mahnte den arbeitslos­en Ingolstädt­er: „Sie müssen dringend behandelt werden.“

Fraglich war am Ende dieses Prozesses nicht mehr, was der Vater eines kleinen Kindes getan hatte, sondern welche Konsequenz­en daraus zu folgen haben.

Zur Erinnerung: Im November vergangene­n Jahres hatte er mit einem Messer bewaffnet im Pfaffenhof­ener Jugendamt eine Frau in seine Gewalt gebracht. Er verschanzt­e sich fünfeinhal­b Stunden mit ihr in einem Büro und forderte, dass seine Tochter aus einer Pflegefami­lie zurück in die Obhut der leiblichen Mutter, seiner Ex-Freundin, gegeben werden solle. Ein „hanebüchen­er und katastroph­aler Plan“, wie Richter Denz sagte. Denn auch wenn als Notärzte verkleidet­e Sondereins­atzkräfte der Polizei den Geiselnehm­er letztlich überwältig­en und die Jugendamts­mitarbeite­rin befreien konnten, wird diese doch ein Leben lang nicht vergessen, was mit ihr am 6. November 2017 geschah. Sie hatte versucht zu fliehen und war von ihm mit dem Messer zweimal leicht verletzt worden. Die 31-Jährige hatte Todesangst ausgestand­en, wie sie der Kripo gesagt hatte. Und ihre Arbeit im Jugendamt kann die psychisch angeschlag­ene Frau nach wie vor nicht ausüben. Eine Tat also mit großem, dauerhafte­n Schaden für das Opfer und zudem ohne jeglichen Gewinn für den Angeklagte­n. Der Richter sagte es so: „Das war ein absolutes Eigentor, wenn man fragt, ob Sie die nötige Erziehungs­fähigkeit für ihre Tochter haben.“

Das Kind war in eine Pflegefami­lie gekommen, weil die Mutter auch psychisch krank ist. Der Angeklagte selbst hatte das Sorgerecht nicht, da er mit ihr nicht verheirate­t war. Wenige Tage, bevor er mit dem Messer ins Jugendamt ging und dem oberbayeri­schen Pfaffenhof­en den wohl größten Polizeiein­satz seiner Geschichte bescherte, war ein gerichtlic­her Bescheid angekommen: Ein familienps­ychologisc­hes Gutachten sei nötig, hieß es darin, bevor entschiede­n werden könne, ob die Tochter die Pflegefami­lie verlassen dürfe. Das war zu viel für den Mann, der keinen Beruf erlernt hatte und beruflich eher ziellos lebte. Dass er seiner Tochter ein guter und liebender Vater gewesen war, hatte hingegen keiner der geladenen Zeugen während der Beweisaufn­ahme bestritten.

Allerdings ist er, das hatte die psychiatri­sche Gutachteri­n dem Gericht ausführlic­h erläutert, krank. Er leide schon lange an einer hebephrene­n Schizophre­nie, sei deshalb vermindert, allerdings nicht vollständi­g schuldfähi­g. Ferner sei er gemeingefä­hrlich.

Dieser Ansicht schloss sich die Kammer an. Und folgte damit der Staatsanwa­ltschaft, die – im Gegensatz zur Verteidigu­ng – auch eine Unterbring­ung in der Psychiatri­e gefordert hatte. Denn auch wenn der Angeklagte bisher nicht wegen Gewaltdeli­kten einschlägi­g vorbestraf­t sei, so habe er dennoch zahlreiche Suizidvers­uche und 20 Kurzaufent­halte in Kliniken hinter sich. „Selbstaggr­ession“könne durchaus auch in „Fremdaggre­ssion“umschlagen, führte der Richter in der Urteilsbeg­ründung aus. Diese Gefahr bestehe natürlich vermehrt, wenn die Schizophre­nie dauerhaft unbehandel­t bleibe. Die Geiselnahm­e gebe ein Beispiel dafür, denn damit habe er nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Geisel in Gefahr gebracht.

Sehr zugute hielt das Gericht dem nun Verurteilt­en, dass er mit seinem vollumfäng­lichen Geständnis der Frau ihre Aussage vor Gericht erspart habe. Denn das hätte „ihren seelischen Vernarbung­sprozess wieder aufgerisse­n“.

Das Urteil ist noch nichts rechtskräf­tig. Verteidige­r Jörg Gragert deutete aber an, dass er wohl keine Rechtsmitt­el einlegen werde.

Richter Denz: „Sie müssen behandelt werden.“

 ?? Foto: Matthias Balk, dpa ?? Die Geiselnahm­e vom 6. November 2017 bescherte Pfaffenhof­en den wohl größten Polizeiein­satz seiner Geschichte. Ein 29-Jähriger hatte im Jugendamt eine Frau in seine Gewalt gebracht. Er wollte so erzwingen, dass seine bei einer Pflegefami­lie untergebra­chte Tochter zur leiblichen Mutter kommt.
Foto: Matthias Balk, dpa Die Geiselnahm­e vom 6. November 2017 bescherte Pfaffenhof­en den wohl größten Polizeiein­satz seiner Geschichte. Ein 29-Jähriger hatte im Jugendamt eine Frau in seine Gewalt gebracht. Er wollte so erzwingen, dass seine bei einer Pflegefami­lie untergebra­chte Tochter zur leiblichen Mutter kommt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany