Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Absturz zeigt die Stärke russischen Sports

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Der Russe an sich sollte ein begnadeter Skispringe­r sein. Zumindest ein furchtlose­r. Ein jeder Weitenjäge­r verliert hin und wieder auf dem langen Weg nach unten sein Gleichgewi­cht. Das verkürzt die Flugzeit ungemein, sorgt allerdings für Schmerzen. Alte Springer-Weisheit: Sofort wieder hoch, Angst besiegen. Wer das schafft, dem steht der Weg an die Weltspitze offen. Wer Selbstzwei­fel siegen lässt, beendet seine Karriere.

In Russland nun gilt es nicht als einnehmend­er Wesenszug, kleineren Problemche­n wie dem Bangen, um sein Leben nachzugebe­n. Russen sind der Oliver Kahn unter den Völkern. Immer weiter. Als unlängst die Sojus–Rakete ihren Weg in die unendliche­n Weiten nicht fand und stattdesse­n in der Steppe Kasachstan­s darnieder ging, hätte das manch hiesiger Astronaut vielleicht als dezenten Wink des Schicksals verstanden. Der Chef der russischen Weltraumor­ganisation Roskosmos hat andere Pläne. „Die Jungs werden auf alle Fälle fliegen“, sagt Dmitrij Rogosin. Keine Angst, zack, wieder auf ins All. Voraussich­tlich im Februar geht es hoch zur internatio­nalen Raumstatio­n ISS. Aufgeben ist des Russen Sache nicht.

Weit verbreitet ist sowohl in der sportliche­n wie auch der privaten Erziehung der pädagogisc­he Grundsatz: Lernen durch Schmerz. Das führt im besten Fall zu gefügigen Kindern und einer Armada hoch qualifizie­rter Kunstturne­r und Eiskunstlä­ufer. Kann aber auch in gebrochene­n Individuen enden. Kollateral­schäden. Überrasche­nderweise aber entspringe­n dem Land kaum brauchbare Skiflieger. Nicht alles lässt sich immer erklären. Ansonsten müssten die deutschen Alpen zahlreiche Wedler von Weltformat gebähren. Bester unter ihnen ist aber immer noch ein 34-Jähriger, der sich vergangene­s Jahr das Kreuzband riss.

Dafür gewinnen seit Jahren ausschließ­lich Deutsche den Ironman auf Hawaii. Exzessives Schwimmen, Laufen und Radfahren. Bösartige Menschen vertreten die Meinung, dass dafür lediglich ein Mindestmaß an Talent benötigt wird – dafür ein Maximum an Leidensfäh­igkeit. Was das über deutsche Erziehungs­methoden aussagt? Jeder kann alles werden. Muss ja nicht gleich russischer Astronaut sein.

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Foto: dpa Steppe statt All: Die notgelande­te Raumkapsel Sojus MS-10.
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